Tilmann Moser

Albert Edelfelt: Christus und Maria Magdalena, eine finnische Legende

1890, Finnish National Gallery, Helsinki

Maria Magdalena: Ist es Leidenschaft oder Frömmigkeit, die mich durchglüht, Begehren oder Andacht, leiblicher oder jenseitsgerichteter Erlösungswunsch? Ich habe meine Familie verlassen, bin dir gefolgt, Freundin oder Gefährtin, Dienende oder Leitende, Besänftige, Unterrichtende, Diszipliniernde, Streit schlichtende Mittlerin unter der rauen Schar deiner Jünger. Wie hast du es ausgehalten unter ihnen, den groben Klötzen, die doch in deiner Nähe ungeheuer gewachsen sind zu Missionaren, Predigern, Erweckern zum Glauben, Märtyrern, Weltreisenden, Kirchengründern, Wundertätern, Verfolgten und Triumphierenden, Schülern und sprachmächtigen Lehrern, und vieles mehr. Was habe ich dir bedeutet? Bist du auch ein wenigen an mir und mit mir gewachsen? Kennst du Dank und Anerkennung für meine Rolle, für mein weibliches Wirken? Jetzt strahlt du Mitleid und Erbarmen aus, als wäre nur das mein Ziel gewesen. Was ist aus der Ebenbürtigkeit von Mann und Frau geworden, die mir an manchen Abenden zugestehen wolltest, wenn du mir nach erschöpfendem Tag und den geifernden Reden der Pharisäer und Schriftgelehrten dein Herz ausgeschüttet hast? Wenn dich die ersten Todesahnungen erreichten? Wenn du nachts in Panik geschrien hast und ich dich beruhigen konnte? Ich habe mich getröstet mit dem Ehrentitel einer Jüngerin, der ja gar nicht vorgesehen war in eurer so leidensbereiten wie selbstverliebten Gruppe der von ihm zur Missionstrupe berufenen Männer, denen Frauen so wenig galten, dass sie sie von einem Tag zum anderen verlassen konnten, ohne je der Weinenden wieder zu gedenken. Im Morgengrauen, wenn einige nicht schlafen konnten, haben sie mir von ihrer Sehnsucht nach einem bergenden Zuhause erzählt, vom tröstenden Leib ihrer Angetrauten, vom fröhlichen Lärm ihrer Kinder um sie herum, die sie für dich und deinen Ruf verraten haben.

Auch ich habe deinen Haufen zusammen gehalten, nicht nur der selbst- und gottesgewisse Glanz deiner Mission. Gewiss, ihre Anfälle von Verzagtheit, die Versuchung zur Fahnen aus deinem entbehrungsreichen Krieg der Verkündigung deiner Liebesbotschaft haben dich traurig gemacht. Aber meinst du, es war nur die mann-männliche Glaubens- und Treuebindung hat sie bei der Stange gehalten? Hast du die Rivalität um deine Gunst überhaupt bemerkt? Das Schwanken zwischen Solidarität und Eifersucht? Wohl wahr, du hast mir meine stille, oft duldende Anwesenheit gedankt mit innigen Blicken, du hast mein schwindendes Vermögen, das ich dir gern zu Füßen legt habe, angenommen, damit ihr nicht nur vom Betteln leben musstet, und von nicht immer selbstloser Gastfreundschaft von Bekehrten und auf weitere Wunder hoffenden Anhängern und im Glauben sehr unsicheren Kandidaten, die die Rede vom kommenden Reich immer politisch missverstanden haben und auf spätere Pfründen und Ämter hofften im verheißenen Reich, weil du ja der künftige König der Juden werden solltest, mehr noch, der Messias. Das Volk wusste nicht, was da Wort bedeutete, nur die schriftkundigen Rabbis studierten die Thora, um sich den Begriff auszudeuten und dich an den Weissagungen der Propheten zu messen.

Und als sie dich nicht als den Verheißenen erkannten, weil du ihnen zu schäbig, zu anmaßende und zu revolutionär warst, theologisch eine Gefahr für ihre Macht, und politisch bedrohlich, weil du in ihren Augen die die Massen verhext hast. Wer hat dich da getröstet, unerschütterlich an dich geglaubt, inmitten der zweifelnden Jünger, die du hin und wieder als kleingläubig verspottet hast, weil sie wieder einmal irre wurden an deinen Zielen und deiner vaterfixierten Berufung.

Ich gebe es zu, ich wollte dich retten vor dem von Gott vorgesehenen, fast täglich immer wahrscheinlicher werdenden Untergang. D u wolltest mir keine öffentliche Rolle zubilligen. Ich war die Frau im Hintergrund, die Seele der grandiosen Unternehmung, und mit Leid verkümmerte in den Strapazen und der Entbehrung. Ich habe versucht, meine übermächtige Leidenschaft, deren durcheinander wogende Anteile ich nie begreifen konnte, in treue Gefolgschaft zu verwandeln. Es ist mir weitgehend geglückt. Aber in mir brannte die Angst, dass du letztlich eine Männerreligion gründen würdest, in einem unerschütterlichen Bund zwischen Vater und Sohn, der dich brauchte, um zu überleben. Denn der alte Glaube war erstarrt in einem Regelwerk, und das Volk lief längst Wanderpropheten nach, von denen du anfangs nicht zu unterscheiden warst. Viel zu spät haben die Christen Jahrhunderte nach deinem Tod deine Mutter zu Hilfe geholt, von der du dich so mühsam abgenabelt hattest. Ja, ich gebe es zu, ich wollte deine Mission vermenschlichen, sie von der väterlichen Grausamkeit erlösen, etwas von paradiesischem Glück hinein zaubern, das es ja einmal gab an unser aller Anfang, und das am fanatischen Gebot des Gehorsams zerschellt ist, das zu schwer war für das erste Weib auf Erden. Hast du es denn nicht gespürt, dass ich dich retten wollte vorm tödlichen Gehorsam.

Du bist mir entsetzlich geworden, weil meine Liebe in die Irre ging, die doch längst nicht mehr lüstern begehrlich war, sondern entsagend, doch ohne weiblichen Groll, aber immer noch stolz auf meine zu anmaßende, in deiner Welt nicht mehr brauchbare irdische Fraulichkeit. Statt dessen: Männerreligion plus Marienkult, die unendliche Vergrößerung keuscher Mütterlichkeit. Wolltest du das?

Und kann ich dir nur nahe bleiben, wenn ich dich, den in unschuldig weißem Gewand Verklärten, nun anbeten muss, statt Gefährtin im Aufbruch zu einer ganz anderen Religion zu werden? Was sage ich den unendlich vielen Christinnen, die mich in dieser ganz anderen Rolle brauchen, um es in deiner erstarrten alleinseligemachenden Kirche auszuhalten? Ist für mich wirklich nur noch als die Anbetende Platz, neben den allerhöchsten Würdenträgenr? Welch ein Abschied!

Jesus: Vielleicht habe ich deine Liebe nicht verstanden. Sie hat mich auch bedroht, ja, gefördert, getragen und doch bedroht auf meinem Weg. Die ganz andere Religion, wie sie dir vorschwebte, war mir nicht vergönnt. In meiner heiligen Berufung musste ich dich missbrauchen. Ich erschrecke vor der Geschichte, die du mir vorhältst. Gehorsam, Schuld, Sühne und Erlösung waren meine Leitworte, verbunden mit einer Liebe , die nur zum Teil irdisch war, auf ein Jenseits gerichtet, in das ich ja wieder einziehen sollte, wenn das Gehorsamsopfer vollbracht war.

Nun kniest du vor mir, mit gefalteten Händen, wie im Gebot, aber mit eindringlich fragenden Augen, die mich erschüttern. Ich strecke dir meine segnende Hand hin, und ich weiß nicht, ob du sie nehmen willst, oder ob sie dich demütigt. Ich kann nur noch Segen und Gnade spenden, Mitleid und und eine Art der Erlösung, die mir in diesem Augenblick anmaßend vorkommt. Für dich will ich nicht gestorben sein, denn ich erkenne nichts an dir, was man als Schuld, Sünde und Sühnebedürftigkeit erkennen könnte. Ich beuge mich leicht zu dir nieder, dabei weiß ich, dass du nicht Gnade brauchst, sondern ein Verstehen deines Schicksals. Aber so wie du werden sich viele frommen Frauen nach mir verzehren, mit einer ähnlichen Mischung von Gefühlen hoffender Hingabe, weil sie in ihrer Kindheit zu wenig irdische Liebe gefunden haben und vor allem gehorsam und gläubig sein wollten. Es tut mir Leid, ich kann es nicht mehr ändern. Ich bin einer fast tödlichen Verklärung zum Opfer gefallen, als Held einer kriegsbereiten Liebesreligion, in der ich Sanftmut predige und das Morden um den rechten Glauben nicht verhindern kann. Du musst auch mich verstehen und mir verzeihen. Lebe wohl.