Tilmann Moser

Hans Baldung Grien: Zwei Hexen

1523, Städel, Frankfurt

Hexenkonversation

Keine Angst, meine Damen und Herren, wir reiten nicht auf Besen, besuchen nicht die Walpurgisnacht, dort auf dem Blocksberg würde es uns viel zu sehr frieren. Außerdem, so hört man, trifft sich dort auch unsäglich ordinäres Gelichter, strotzend vor Hässlichkeit, irrlichterndes Volk zu schändlicher sexueller Durchmischung, und selbst der Teufel soll dort gelegentlich zu sehen sein. Nichts für uns elegante Damen, die wir dem höfischen Schönheitsideal unserer Zeit entsprechen und uns auch nur mit Menschen von Stande einlassen würden, wenn unser Beruf ohnehin nicht konkrete Verführung, sondern Verwirrung, erotischer Schabernack, Anstiftung zur Untreue, sexuelle aufgeheizte Stimmung in vornehmen Gesellschaften, ja, die Erzeugung halluzinierender Visionen und Träumen, sodass auch den anständigsten Menschen, oder solchen, die sich dafür halten und sich wunders wie gesittet zeigen, Hören und sehen vergeht.

Wir beide arbeiten schon lange zusammen, altern natürlich nicht, behalten unsere gepflegte Haut und den kessen Blick, und bedienen zusammen zwei sehr angesagte Bilder der verlockenden Weiblichkeit der frühen Renaissance: Schlankheit und anmutige Fülle. Ein unwiderstehliches Angebot, und wie führen mit als Markenzeichen: einen Eselskopf, ein kleines Glutbecken, damit es hitzig werden kann, wen wir auftauchen, und einen kleinen Amor in Rotzbubengestalt, der vielleicht den Parfümflackon – wir arbeiten wohlgemerkt ohne Gift – an den richtigen Platz schiebt und den Liebesapfel über einen schönen Teppichboden rollen lässt. Und schon kriegen sich die eitlen Männer in die Haare.

Zugegeben, wir verhexen mehr Männer als Frauen. In einem muselmanischen Harem würden wir zum Spitzenpersonal gehören und mit Vergnügen giftige Rivalität, Neid und Eifersucht ausstreuen. Und wenn der Pasche nach uns greifen wollte, hätten wir uns längst in Luft aufgelöst, und der verblüffte Herrscher oder Kronprinz würde ganz richtig meinen, er fühle sich verhext und genarrt und müsse an seinem Verstand zweifeln. Ganz aus der Ferne wäre Hexengelächter zu vernehmen, das nur der Obereunuch und Hexenmeister aller Schönen zu deuten wüsste.

Aber zurück ins christliche Europa. Uns Auserwählten geht der gewöhnliche Hexenglauben mit dem Elend, das er stiftet, durchaus nahe, besonders wenn er theologisch unterfüttert ist.

Der Rückenakt: Wenn ich voraus schaue in künftige Zeiten, dann sehe ich Grauenvolles zukommen auf alle Frauen, die gar keine Hexen sind, aber der Hexerei verdächtigt werden. Die von abgewiesenen Liebhabern und eifersüchtigen Rivalinnen verleumdet, ja denunziert werden bei der Heiligen Inquisition, sie seien Giftmischerinnen und trieben es mit dem Teufel. Wenn ich mir vorstelle, mit welchen barbarischen Instrumenten sie in dunklen Kellern zu Geständnissen gepeinigt werden, dann wird mir übel und meine Haut will grau werden vor Entsetzen.

Die sitzenden Hexe: Schweig still, auch uns könnte Übles drohen, wenn wir nicht auf der Hut sind und zu viel Verwirrung stiften. Manch einer unserer Fürsten und Prinzen nennt, wenn ihre Gespielinnen zu kundig sind in der Liebeskunst und und auf vergoldeten Lohn hoffen, die eine oder andere schon eine Baldung-Hexe. So rasch sind unsere Bilder des Meistern durch die Kabinette der Höfe gewandert. Wir werden teuer gehandelt, zumal uns die beiden fürstliche Lüsternheit im Akkord bedienenden Cranachs Konkurrenz machen: noch müssen sie die Damen bekleidet malen, aber du kennst die durchsichtigen Schleier, mit denen sie sie so zart und durchsichtig verhüllen, dass die geilen Höflinge alles zu sehen kriegen, wes das Auge begehrt. Manchmal denke ich, wir sind in unserer Nacktheit keuscher als die Damen im anzüglichen Negligé. Aber jene sind es, die keusch und dämlich dreinschauen und Unschuld vortäuschen, als hätte man sie im Paradies vor der Vertreibung daraus als Modelle gewählt. Es sind exhibistische Hühner aus der Serienproduktion der Werkstatt, feinst gepinselte Dutzendware. Und wenn sie, was die Schaulust der Betrachter noch anstachelt, sich paarweise auf dem Rasen umeinander schlingen, dann legen sie die Malerfürsten doch schon mal nackt auf die Blumenwiese, als gebe es noch immer den Garten Eden, aber vor dem Sündenfall, für die wohlhabenden Käufer, die in der Phantasie aus den dynastisch arrangierten Ehen fliehen. Spätere Jahrhundert sprechen dann von Gruppensex, allerdings ohne Erektionen. Oder sie schicken die Nackedeis gruppenweise in die Jungbrunnen, zum öffentlichen Ärger und der heimlichen Lust der kirchlichen Tugendwächter. Da lob´ ich mir unsere Form der Nacktheit, mit klugen und gebildeten Gesichtern, die kein falsche Erröten kennen, weil wir stolze und und fast antikische emanzipierte Weiber sind, aber ohne Göttergetümmel und Kirchenväterzirkel und Heiligenkränzchen um uns herum.

Der schöne Rücken: Nun werde mal nicht übermütig. Auch wenn wir zauberhafte Hexen von Adel und Geblüt sind, leben wir doch gefährlich. Und ist die lockende Verruchtheit auf den Leib geschrieben, und den dunklen Wolken meine ich gelegentlich spähende Teufelaugen zu sehen. Dann wird mir bang, ob wir zu einer geschützten Gattung der Natur gehören, oder doch listiges Freiwild sind. Die später öffentlich Verbrannten büßen für unser Glück zwischen Mittelalter und Gegenreformation, einer Epoche der Freiheit, in der es sich auf Erdenleben ließ, bevor es wieder dunkel wurde im Glaubensernst der Klöster. Wenn ich an deinem köstlichen Leib in meinen schwärzesten Bildern Flammen hoch züngeln sehe, dann fasse ich kaum unser Glück des ungezähmten Lebens. Und dann höre in stürmischer Nacht eingesperrte Nonnen seufzen: „Eine Hexe sollte man zur Abwechslung e i n m a l sein dürfen, nicht immer und für ewig Christusbraut. Es ist nur gut, dass wir den Dämchen nicht eines Tages im wirklichen Paradies begegnen müssen. Wir sähen nach der leiblichen Auferstehung ohne Kutten vermutlich ziemlich komisch aus. Gott sie Dank gibt es zu unserer Rettung noch das Fegefeuer. Dorthin gehören Hexen und Huren, uns aus den Augen mit ihnen!“

Die Füllige: Fast bin ich entsetzt, wie giftig du sein kannst, obwohl wir doch gelobt haben, nicht mit Gift zu arbeiten. Nicht nur wir sind glückliche heitere Nackte, auch sie haben ihr Glück auf ihre uns verdreht erscheinende Weise. Weißt du was: Wir sind ein Gegenbild aller Frauen, die aus dem Paradies vertrieben wurden und seither mit Spinnrad und Hacke mühsam ihre Kinder durchbringen, während die Männer auf die Jagd gehen. Deshalb sind wir sogar ein überzeitliches Kulturgut, als Summe aller Vorstellungen von Natürlichkeit und Freiheit.Und die bewahren wir stellvertretend für alle Weiber, damit sie nicht verzagen, sondern uns als lockendes Ideal behalten, kein wirkliches, sondern ein märchenhaftes. Einen harten Preis bezahlen wir ja auch: wir können vor lauter Schönheit nicht gebären. Vielleicht schaut das Amorle deshalb so grimmig drein: aus seinen Pfeilen erwächst kein fruchtbares Leben.