Tilmann Moser

René Magritte: Die Liebenden

1928

Liebesgeflüster

Oh, dass wir uns gefunden haben, unerwartetes Glück, nach so langem bangen Warten, mühsame Jahre der Sehnsucht, des Verzagtseins, unerträglicher Einsamkeit, Träume voll vorauseilender Schönheit, Tagträume auf Parkbänken, schmerzliche Abstürze, wenn glückliche Paare vorbeizogen, zweisam Hand in Händchen, oder schön mit süßen Kinderchen, noch grausamer, wenn sie vor mir anhielten und sich umschlungen hielten, sich nicht mehr loslassen wollten, und sich dann scheu umschauten, als hätten sie zu Intimes, ja an der sonntäglichen Öffentlichkeit Verbotenes getan. Und in der Tat, ich hätte es ihnen gerne verboten, so grausam, so rücksichtslos fühlte es sich an, und für den Betrachter, der doch den Blick nicht abwenden könnte, verbunden mit lüsterner Aufregung, Wut, Trauer, Neid und sinnloser Erregung.

Du Erlöser, und Erlöserin, Dein Atem betört mich, und ich möchte mich anklammern, dich umklammern, um nie mehr einsam zu sein. Mein Mund erkennt dich schon, nach langer Erwartung, und sehenden Auges habe ich immer schon Ausschau gehalten nach dir, geblendet von inneren Bildern, denen du gleichen solltest, musstest und gleichen wirst. Ich habe dich immer tiefer erkannt in mir, uralt Vertrauter, uralt Vertraute, der Liebesgott muss dein Bild in mich eingepflanzt haben, von Alters her, wie aus einem früheren Leben, ach, eine glückliche, eine herrliche Fügung, lass es uns Schicksal nennen, ein gütiges, das uns nun so greifbar deutlich zusammenführt.

Er: Unendlich viel will ich dir berichten aus meinem Leben, das jetzt, in deinem Arm, nur noch mein früheres ist, voll dunkler Erinnerungen, aus denen du mich erlösen wirst. Unglückliche Eltern, eine düstere Wohnung, der tägliche Streit, der streng erzwungene Gehorsam, der Alptraum Schule, die groben Kameraden, die langweilige Lehrzeit, die endlich manchmal fröhlichen Berufsjahre, die Krankheiten, die Sanatorien, verkrampfte Erfahrungen mit Frauen wie mit Freunden, einsame Urlaube, Strandwanderungen und das Sammeln von Muscheln, Sandburgenbau, mit dem ausgeruhten Vater und der ungewöhnlich sommerlich hell gekleideten Mama, für Wochen ohne Melancholie, mit gerafftem Kleid bis zu den Knien in den heran plätschernden kleinen Wellen, die ihr in der Sonne keine Angst mehr machten. Und dann der Todesschrecken, ihr selbstmörderisches Versinken im Fluss, der nie nachlassende Alptraum danach, ich wage es dir zu sagen, eines verlorenen Menschen, ohne Heimat mehr auf Erden.Und nun mit dir, verheißungsvolle Ankunft, eine neue Verschmelzung mit dem Leben, sanft keimende Hoffnung, süße Heimsuchung von Heimat.

Sie: Dein Duft beginnt mich zu berauschen, verströme nicht gleich zu viel davon. Noch sehe ich deine Augen nicht, aber ich weiß aus meinem jüngsten Traum, dass sie tief braun, geheimnisvoll sein müssen. Eine unendlich ferne Wolke vom Parfüm meines Vaters glaube ich plötzlich zu riechen, habe ich denn auch mit der Nase nach dir gesucht, ich hoffe sie betrügt mich nicht, ich hoffe, du erträgst es , wenn ich viel an dir schnuppere, Duft ist auch für mich Heimat, und ihn wieder zu erkennen macht mich glücklich. Sürst du, dass ich mich näher an dich drücke. Schon will ich zu viel fühlen von dir, fremd-vertrautes Tier. Erschrecke nicht, in mir droht manchmal eine ganz körperliche Gier, es kann gut sein, dass ich süchtig werde nach dir. Ich suche Nähe mit allen Glieder und mit meiner ganzen zarten Haut, die ich dir schenken will. Pflücke alles an mit, ernte, die Früchte sind fast zu lange gereift. Greife mit starken Händen zu. Nur roh darfst du nicht sein, wie mein Vater es manchmal war, im Überschwang seiner Liebe, wenn ich seine Prinzessin war. Mutter war nicht sehr zärtlich. Du wirst mich für ihre Herbheit entschädigen.

Manchmal nannte ich meine Haut vor dem Spiegel, nach den selbstverliebten Salbungen, eine Wartehaut, die ich so gerne gestreichelt habe. Ich hoffe, du bist ein Streichkünstler. Ich lasse dich meinen Mund von deinem Atem streicheln. Alles ist gerade verheißungsvoll. Ja, du bist der vom Schicksal Verheißene. Ich will sofort die Garantie der Ewigkeit. Nicht soll uns mehr trennen, auch wenn wir uns gerade erst finden. Wer bist du, den ich schon so lange zu kennen meine? Schütte meine Seele voll mit deinen schmerzlichen Erinnerungen. Ich helle sie dir auf, das wird mich erfüllen, eine so sehr ersehnte Aufgabe. Du sollst mich heftig brauchen, so wie ich dich. Meine Beine wollen schwach werden, fängst du mich auf? Ich möchte so sehr auf dich zu sinken. Wie werden wir uns betten. Verzeih meine vorauseilenden Phantasien. Um dich herum ist zu viel herbstlich dichter Stoff. Hast du schon gefroren? Ich bin noch im Sommerkleid. Damit du mich besser spürst. Bis du ein Spürer, hinter der Wand deines Jacketts, wie ich eine Spürerin bin? Fühlen und Spüren sind meine Zauberwörter? Kennst du auch Zauberwörter? Wir flüstern sie einander zu. Wir werden sie ineinander flechten. Ich liebe Gedichte. Ich hoffe du auch. Die die ich auswendig kenne, werde ich dir flüsternd vortragen, wenn ich in deinem Arm liege.

Erkennst du mich so gut wie ich dich erkenne? Wer bist du, wie heißt du? Ein wenig ängstlich bin ich schon, ob die inneren und die äußeren Bilder gut zueinander passen. Wir müssen sie mit liebevoller Gewalt ineinander schieben. Bis du neugierig auf mich? Kennst du die wonnigen Entdeckerfreuden, die uns bevorstehen? Wehe, ich entschwinde dir im Nebel. Ich bin nämlich manchmal im Nebel, wenn ich nicht mehr weiß, wer ich bin. Schenke mich mir zurück, ich weiß, du wirst ein Zauberer sein.

Beide: Es ist eine helle Vollmondnacht, so viel kann ich erkennen. Ein Sternschnuppennacht, auch wenn wir ihr Aufleuchten jetzt nicht sehen können. Aber wir werfen alle Wünsche hinauf in den Nachthimmel. Hörst du das feine Blätterrauschen im lauen Wind. Es muss alles gut werden. Adam und Eva konnten es nicht besser haben, als sie noch im Paradies waren.