Tilmann Moser

Couch und Coach

2011

Der Boom der Angebote von Menschen, die sich für bereit und fähig erklären, Institution, Teams und Einzelne zu „coachen“, ist immens, seien sie kompetent und mit Diplom versehen oder selbsternannt nach einigen Wochenendseminaren. Die Anzeigen und Kleinanzeigen und großen oder kleinen blumigen Flyers besagen ja meist nichts Erschöpfendes über die Qualifikation, und die wirklich Guten leben von ihrem Ruf, der sich über Empfehlung oder Mundpropaganda verbreitet. Und sehr viele, die die Dienste eines Coachs in Anspruch nehmen wollen, wissen meist noch nicht so genau, was sie kriegen wollen und können. Dass es um berufliche. Leistungssteigerung geht, ist meistens klar, und das ist ein legitimes Ziel, und es mag um eine verbesserte Kommunikation gehen, um eine Steigerung der Führungsqualitäten, um Konfliktmanagement, um Durchsetzungsfähigkeit oder Optimierung des öffentlichen Auftretens. Vieles davon ist lernbar, ohne dass die Struktur der Persönlichkeit sich grundlegend ändern muss. Es geht um Fertigkeiten, und je besser der Klient weiß, was er braucht, desto eher findet er zu der Leistung, die ihm nützt.

Aber manche beruflichen „Steigerungen“ der eigenen Fähigkeiten verlangen in gewissem Umfang eine Änderung der Persönlichkeit, vielleicht sogar die Veränderung oder Beseitigung einer neurotischen Hemmung. Und da manche das spüren und vielleicht auch schon leiden unter gewissen Einschränkungen ihrer „Potentiale“ und Verhaltensweisen, liegt e sogar nahe, insgeheim auch therapeutische Erwartungen an den Coach zu richten. Denn der Gang zum Psychotherapeuten, der eigentlich angezeigt wäre,  erscheint noch immer vielen als Schande, als Zeichen des Versagens, als eine Unternehmung, die sie fürchten: sei es, dass ihnen eine tiefere Selbstkonfrontation unheimlich ist oder als zu mühsam erscheint, oder sei es, dass sie aus welchen Gründen auch immer, Vorurteile entwickelt haben, die gegen einen solchen Gang sprechen.

Meine Erfahrung mit Psychotherapien, bei denen Coach-Elemente einer Rolle spielen, stammen von Psychotherapien oder aus Einzelberatungen oder Gruppensupervisionen mit Lehrern aller Gattungen. Die der ersteren Gruppe kamen in seelischer Not und mit dem oft viel zu lange hinaus gezögerten Entschluss, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Aber in diesem Berufsstand herrschen große Unsicherheiten über die Vorgänge in den notwendigen diagnostischen und formalen Prozessen der Beantragung einer Therapie. Viele fürchten, dass Informationen aus den Krankenkassendokumenten in die Schulabteilungen wandern, und sie glauben zu wissen, dass das ungern an höherem pädagogischen Ort gesehen wird und deshalb sogar negative Konsequenzen drohen. Das lässt manche sogar verzichten auf eine als notwendig angesehene Therapie, oder sie entschließen sich, damit keine Dokumente entstehen, zum Selbstzahlen.

Dabei kann man, von schwereren Störungen abgesehen, davon ausgehen, dass ein Lehrer, der eine „erfolgreiche“ Psychotherapie hinter sich gebracht hat, ein besserer Lehrer sein wird, in aller Regel. Denn er kennt sich und seine Reaktionen besser, hat weniger Angst von Klassen, Kollegen, Schuldirektor und Kultusbehörde und bringt den Schülern mehr Einfühlung entgegen, weil er sie selbst erfahren hat. Die Nebenfolge einer Psychotherapie hat also durchaus einen „Coach-Effekt“, obwohl er so quasi nur nebenbei gesucht wurde.

Anders ist es bei Lehrern, die Supervision suchen: es sind die psychologisch aufgeklärteren unter ihnen, die eine Beratungsbedürftigkeit nicht als einen menschlichen Mangel ansehen. In meinen langjährigen Lehrergruppen haben einige direkt von dieser Art Beratung profitiert, die auch mit Rollenspiel verbunden war, in dem schwierige Situationen durchexerziert wurden. Bei anderen war es mir aber klar, dass seelische Belastungen zu Berufsproblemen geführt hatten. In diesem Fall war es ein Problem einer separaten oder auch in der Gruppe stattfindenden Beratung, dass wohl eine Psychotherapie angezeigt sei. Das musste schonend und taktvoll vor sich gehen, hilfreich war oft die Formulierung, es gehe nicht um dringliche Notwendigkeit sondern  um ein “Sich-Gönnen“ einer seelisch wie beruflich weiterführenden Erfahrung.

Ich habe wenig Erfahrung mit Lehrern, die direkt mit dem Wunsch nach Coaching kamen, aber es mag sein, dass der Begriff erst in jüngster Zeit auch im pädagogischen Bereich Einzug gehalten hat. Es gab also für viele immer den Zwischenbereich von Beratungs- und von Therapiebedürftigkeit.

Die gleichen Probleme gelten natürlich auch für Theologen oder Ärzte, also für alle Berufe, die intensiv mit Menschen zu tun haben. Bei den Ärzten heißen die nicht als therapeutische Beratungskreise gedachten Zusammenkünfte „Balint-Gruppen“, ins Leben gerufen von dem englischen Psychoanalytiker Michael Balint. Aber auch hier weisen neuere Forschungen nach, dass gut geführte Supervisions- und Balintgruppen therapeutische Effekte haben können. Ideal wären also, neben reinen Beratsungscoachs, auch solche, die eine psychotherapeutische Zusatzausbildung haben, und die denen, die heimlich, bewusst oder unbewusst eine Art Therapie suchen, helfen oder sie, ebenso taktvoll, weiter verweisen können an die entsprechenden Fachleute. Die Klienten blieben dann nicht allzu lange sitzen auf falschen und notwendigerweise enttäuschten Erwartungen. Eine Überweisung ginge zwar gelegentlich gegen die finanziellen Interessen des Coachs, aber es müsste sich auch hier ein Berufsethos ausbilden, das solche Anforderungen auch  eine selektierender Kompetenz einschlösse. Klar ist aber, dass in manchen Fällen eine Kombination von Psychotherapie und Beratung und Training durch einen Coach die ideale Kombination bilden würde, wenn möglich sogar in Kooperation der beiden, denn sie beackern verschiedene Felder des beruflichen und seelischen Wachstums.

Soweit die Anstellung eines Coachs nur eine „trendige“ Angelegenheit ist oder einer gewissen Eitelkeit entstammt, fällt die scheinbar zunächst aus dem professionell angebrachten Aufgabengebiet heraus, aber auch hier wären kompetente Ratschläge oder Anregungen willkommen. Es steht zu hoffen, dass eine gewisse Anzahl von auch menschlich sensiblen Coachs die Aufgabe der zu einer Therapie hinführenden Beratung wahrnimmt.

Aber es gibt noch viel zu tun in diesem Feld, das auch viele Grauzonen der Zuständigkeiten ausweist. Es braucht vor allem Bewusstseinsbildung für die Probleme, und eine Entängstigung vor allem auch führender Schichten der Gesellschaft vor der eventuellen Notwendigkeit einer Psychotherapie, auch wenn zunächst nur „harmloses“ Coaching gebucht wurde. Nach meiner Erfahrung finden Menschen, die zunächst heimlich in meine Praxis geschlichen kamen, von einem gewissen Zeitpunkt an -  wenn die „Chemie stimmt“, sogar zu einem Stolz auf ihre Expedition in unvertrautes Gelände, und davon werden einige sogar missionarisch in ihrem Bekanntenkreis tätig, wenn sie sehen, dass gelitten wird und der Drang nach einem Coach nicht in eine ausreichende Richtung führen würde.