Tilmann Moser

Finden und Gefunden-Werden

Tilmann Moser (2013)

In dem grandiosen Buch von John Steiner über "Orte es seelischen Rückzugs" (Stuttgart 1998) schreibt der Autor anlässlich von Analyse, "die einen repetitiven, statischen und unproduktiven Verlauf nahmen": "Erfahrungen mit solchen Patienten führen zu der Beobachtung, dass sie eine Vielzahl von Mechanismen benutzen, um seelische Zustände herzustellen, in denen sie vor Angst und seelischem Schmerz geschützt waren. Sie zogen sich aus dem Kontakt mit dem Analytiker in diese Zustände zurück, die in er räumlichen Vorstellung oft wie Orte erlebt wurden, an denen sich der Patient verstecken konnte. Ich entschloss mich deshalb, sie Orte des seelischen Rückzugs, Refugien, Schutzräume, Zufluchtsstätten (sanctuaries) oder Ruheplätze zu nennen ... " Er gibt schon in der Einleitung Gründe für den Rückzug an, "wenn sich der Patient ungerecht behandelt fühlt und voller Groll ist, seinem Wunsch nach Rache aber keinen Ausdruck verleihen kann. Wiederum vermag die Organisation der Abwehr von Verfolgungsangst und Fragmentierung zu dienen. Zugleich aber kann sie den Patienten vor depressivem Schmerz und vor Schuldgefühlen schützen und die Erfahrung von Verlust verhindern." (S. 13 und 15).

Als gläubiger Kleinianer hat sich Steiner unendlich bemüht, seine Patienten durch einfühlsame Deutungen zu erreichen, bis er erkannte, dass unterschieden werden muss zwischen patientzentrierten und analytikerzentrierten Deutungen. Die ersteren werden in der Regel als intrusiv, verfolgerisch, strafend, entlarvend, beschämend erlebt, während die letzteren dem Analytiker helfen, die Zustände des Patienten in sich nachzuerleben, in sich zu verarbeiten, zu entgiften, und damit dem Patienten glaubhaft zu machen, dass der Analytiker nachfühlen kann, was der Patient erleidet. Ich selbst erinnerte mich beim Wiederlesen des Textes, wie "zerschossen von Deutungen" ich mich am Ende meiner ersten Analyse gefühlt hatte. Diesen Weg wollte ich natürlich nicht gehen, mich auch nicht dem langen und unausweichlichen Leid aussetzen, wenn ich ausschließlich die Entschlüsselung der projektiven Identifizierung zu nutzen hätte, um der (den) Patienten vorwurfsfrei nahe zu bleiben. Deshalb beschloss ich, beim Finden und Gefunden-Werden mich voll der analytischen Körperpsychotherapie anzuvertrauen, die mich zu sehr frühen Phasen des peinigenden Selbstverlustes führte. Was ich über sie schreibe, gilt auf für einige andere Patientinnen, wenn auch nicht in dieser Dichte und diagnostischen Prägnanz. Mehr über die ersten Stunden und Monate findet sich in meinem Buch "Von Fall zu Fall. Therapeutische Kurzgeschichten." (2014)

Die Patientin, eine erfolgreiche Lehranalytikerin, die mich letztlich veranlasst hat, diesen Text zu schreiben, war in drei Analysen von zehn, zwei und drei Jahren nicht gefunden worden, und sie hatte das niederschmetternde Gefühl, dass auch nicht nach ihr erfolgreich gesucht worden war. Sie war so erstarrt, deprimiert und resigniert, dass sie ohne Hoffnung kam und zuerst nicht um Therapie nachsuchte, sondern um Supervision, um mit Patienten mit ähnlichem Schicksal besser zurecht zu kommen. Erst allmählich kehre durch die Arbeit mit ihrem Körper ein Rest Hoffnung zurück, die ich aber über längere Strecken in mir aufbewahren musste, weil sie in ihrem Inneren keinen Platz mehr für sie fand.

Sie fühlte sich nach der zehnjährigen Lehranalyse deprimiert, erschöpft, unwürdig für den Beruf, leer und als funktionierende Fassade. Aus früher Kindheit brachte sie die Bereitschaft mit, sich als Märtyrerin zu verstehen und zu dienen, um ein karges Lebensrecht zu erwerben. Sie kam mit dem falschen Geschlecht zur Welt, die Mutter verzieh es ihr nicht und rächte sich durch extreme Zuwendung an den kränklichen Bruder, der nach wenigen Jahren folgte. Der Vater rächte sich an seiner Frau, indem er die Tochter früh zu seinem Selbstobjekt wählte, um es nach seinem Sinn zu dressieren. Sie lebte ohne Hoffnung und innerlich gespalten zwischen den elterlichen Fronten. An den Aufbau eines eigenständigen lebendigen Selbst war nicht zu denken, ebenso wenig an ein kohärentes Identitätsgefühl, das sich noch spalten musste in einem unerbittlichen Religionskrieg in einer kampferfüllten Mischehe.

Ihr Traum sei es, einmal im Leben gefunden zu werden, aber sie werde mir nicht helfen dabei, auch nicht, wenn sie es könnte. Ich war also auf geringe Rest-Zeichen von Lebendigkeit angewiesen, und wenn ich glaubte, etwas Wichtiges oder Neues an ihr gefunden oder erkannt zu haben, konnte sie hinter freundlich-kooperativer Fassade sagen: "Haarscharf vorbei verstanden." Kleinste Details an Einfühlung wurden auf Stimmigkeit überprüft, und es war ihr ständig klar, dass sie mich so irritieren, korrigieren, prüfen, ärgern, verletzen und zurückweisen müsste, dass ich sie nach jeder beliebigen Stunde gequält vor die Tür setzen müsste. In den ersten Monaten war ich noch nicht im Bild über ihren tiefen Groll, vor dessen mühsam zurückgehaltenem Gift wie seiner Gewaltsamkeit sie selbst erschrak.

Um ihr anfangs überhaupt näher zu kommen, ließ ich mir Einzelheiten aus ihrer Lehranalyse berichten, von der sie wusste, dass sie ihr schade, ohne dass sie je einen Gedanken an eine selbstrettende Trennung fassen konnte. Sie habe sich verloren und wisse nicht, ob sie jemals wieder aufzufinden sei. Sie hatte sowohl Angst vor ihrer Verachtung für mich in der Übertragung wie vor ihrer im Geheimen wachsenden Idealisierung. Was sie im Groll zu sagen vermochte, war: "Sie werden mich nicht finden!" oder: "Reden Sie ruhig, das erreicht mich nicht." Da ich ahnte, dass mehrere negative Übertragungen kumulativ wirksam waren und Keime des Zutrauens leicht wieder erfrieren konnten, erstaunte es mich, dass ich einigermaßen gelassen blieb und mich nicht kränken ließ. Es gelang mir, eine Haltung liebevoller Neugier mit einfühlsamem Forscherdrang zu verbinden..

Als ich ihr vorschlug, das Verlorengehen einmal räumlich in der großen Praxis darzustellen, versteckte sie sich zuerst in einem uneinsehbaren Mauerwinkel. Das hielt sie aber nicht lange aus, kam wieder hervor und setzte sich einerseits wie ein Kind in mäßiger Entfernung auf den Teppich und fragte dann mit erwachsener Stimme, ob ich ahnte, wo sie sich befände. "Nein", sagte ich, "dafür weiß ich noch zu wenig von Ihnen." Bitter und zugleich leicht schelmisch triumphierend sagte sie: "Sehen Sie, Sie wissen es nicht. Ich bin auf dem Sirius, dort könnten Sie mich suchen." Gelegentlich versucht sie sich unter eine Decke unsichtbar zu machen, ich griff zum Kinderspiel: "Guguck - dada", und es bildeten sich Schnipsel eines dünnen Bandes, das jederzeit wieder abreißen konnte. Aber eine abgespaltene Teilidentität eines spielbereiten Kleinkindes war entdeckt.

Mit der Zeit traute sie sich auf die Couch, wickelte sich so in eine Decke ein, dass sie wie ein unförmiger Wulst dalag, sie wollte als Körper ja noch lange nicht sichtbar werden lassen, gluckste aber ein wenig, als ich mit vorsichtigem Zeigefinger unterschiedliche Stellen des Wulstes antippte und sie mir kleine antwortende Zeichen durch Zucken gab. Auf dem Sessel war ihr Ausdruck oft verloren-steinern, abweisend oder lauernd, je nachdem. Einmal legte sie sich, "wie abgestorben", auf den Teppich, ich versuchte ihr Selbstmassage beizubringen, aber der Körper reagierte nicht und verbarg sich hinter einer Schicht von Styropor. Erst als ich sie an den Händen hielt und sie sich räkeln und gegen mich ankämpfen, ja ankrabbeln ließ, zeigte sich eine gewisse Lebendigkeit, von unkoordinierten Lauten von Baby- oder Kleinkinderspaß begleitet. Von den Erkenntnissen der Babyforschung ausgehend machte ich mir zur Aufgabe, viele Stadien des Selbstwerdens eines Kleinkindes durchzuexperimentieren, verbunden mit den Vorläufern des scheuen Blickkontakts; von Halte- und Eingrenzungsübungen, die sie zu lieben begann, weil sie nach gutartigem Widerstand lechzte, die "Gefangennahme" einzelner Körperteile genoss, um sich windend aus der Umklammerung wieder zu befreien und mich so zu besiegen.

Der Drang nach Verschmelzung mit einem freundlichen Mutterkörper war unverkennbar. Als sie auch körperlich verstanden hatte, dass von meinem Körper keine Bedrohung ausging, konnte sie sich anschmiegen, wenn ich mich zu ihr auf die Couch setzte, und zwar so, dass sie sich liegend um mich herumwand und sich allmählich traute, scheu mit der freien Hand meine Schultern und meinen Rücken zu erforschen. Wir stellten fest, dass ihr Körper Reste eines Urvertrauens bewahrt hatte, und quälten uns nicht mit der

Frage, woher diese Reste stammen könnten. Wir mussten daraus schließen, dass es unter aller Fremdheit zur Mutter kleine Reste von Glückseligkeit gegeben haben musste, an die wir suchend anknüpfen konnten. Es gelangen uns Fingerspiele: "Das ist der Daumen..." usw., sie versuchte mich mit dem Po von der Couch herunter zu drücken und jubelte, wenn ich mich spielerisch der "Kante vor dem Abgrund" näherte. Die Seele konnte das alles noch nicht so recht fassen und glauben, sie musste mich mit ernstem Gesicht mustern, ob ich nicht ein Gespenst sei oder ein Unhold, dem sie sich unkontrolliert zu überlassen begann.

Das Schwierige war, dass sie immer wieder von der Erde verschwand und mich bei der Ankunft im Raum musterte, als wäre ich selbst ein Außerirdischer. Ich konnte das schlecht ertragen, grimassierte oder schloss die Augen, sprach ironisch von der regelmäßigen Glotz-Prüfung, was Zeichen eines lebendigen Ärgers bei ihr herbeizauberte, und erinnerte sie an Freud, der die Couch erfand, weil er nicht stundenlang angestarrt werden wollte. Sie aber sagte, mein Gesicht sei ihr einziger Halt, sie versuche mich wiederzufinden, weil ich im Orkus ihres Elends verschwunden war. Wir fanden den positiven Weg zur "Augenweide", wo sie sich satt trank an meinem Gesicht, aber ich durfte nicht mit meinem Blick spielen und ein Auge zukneifen, weil ich dann sofort wieder verloren ging.

Sie konnte später auf einem Kissen stundenlang in meinem Schoß liegen, ihre Kopf ruhte in meinen Händen, und also war er vorhanden und real, und meine Hände waren real. Im Zweifel wühlte sie ihr Gesicht in meine Grenzen setzenden Hände, um Kontur und formenden Widerstand zu spüren. Dann wollte sie klammern und umschlang meine Brust mit den Armen, ich nannte es "liebevolle Gewaltsamkeit", und die Erinnerungen an ihre Kinder kamen uns zu Hilfe, sie verstand, dass diese an ihrem verschmelzungswilligen, aber auch kampfbereiten Mutterkörper sich ins Leben wanden, und so konnte sie es zulassen, dass mein Körper realer war als ihrer: antwortend, Zeichen gebend, sie ins Dasein zurück lockend. Aber oft konnte sie das pralle Leben, das sie gierig aufsaugte, keinen Abend lang halten, und so beschlichen mich immer wieder Zweifel, ob der Weg richtig sei. In der Dauerkrise der Ehe reichte ein kritischer Blick des Mannes oder ein unfreundliches Wort, um wieder in der Unwirklichkeit zu verschwinden, wobei sie zunehmend den wiederholten Selbstverlust als quälend erlebte und sich selbst als Versagerin, weil sie so oft erneut entwirklicht zu mir zurückkam. Das Klima zuhause war destruktiv für sie, ihre inneren Fluchten unkontrollierbar.

Wir erfanden Kampfspiele bei denen sie mich mit Kopf und Schultern rammte, voll inzwischen auch böse gewordener Wut, die ihr aber Leben schenkte, und dann ließ sie ihrem ressentimentgeladenen Groll freie Bahn mit Vernichtungsphantasien, irgendwann ohne Scham und mit der Überzeugung, dass ihr Rache zustünde, in einer Tiefe, die auch die Vernichtung der Welt einschloss. Dann wieder saugte sie an meinem Handballen wie ein verhungernder Säugling, ungläubig, dass sie oder ich nicht von Ekel überschwemmt wurden, mit purer Überlebensgier. Und dann kam das Zahnen als Lebenserfahrung an die Reihe. Es begann mit liebevollem Knabbern, zwischen Saugen und Beißen, aber die böse Brust ließ sich nicht länger verleugnen, sie testete aus, ob ich sie tadeln oder strafen würde Und eines Tages riskierte sie es, die Kontrolle aufzugeben, ich musste ihr vor ihren kräftigen Biss meine Hand entreißen und sie war froh, dass sie keinen Schaden anrichtete. Was Winnicott das notwendige Überleben des Therapeuten nennt, der in der Analyse die verbalen Angriffe aushält, dass erzwang sie auf der elementaren Ebene der kindlichen Überlebenswillens, und in ihr setzten sich frühe negative Erfahrungen in eins mit neuen Erfahrungen meines Durchhaltens und Freundlichbleibens. Sie schenkte mir dann aufschauend dankbar verwunderte Blicke: "Hurra, wir sind heil geblieben, obwohl ich Sie bedenkenlos wie ein Säugling aufgefressen habe." Kannibalismus an der Mutter ist auch eine Form der frühen Vergegenwärtigung des eigenen Selbst, und sie meinte, so viel Spielraum fürs Lebendigwerden hätte sie nie für möglich gehalten.

Sie schrieb viel auf, monatelang nur Elendsberichte bei der Wiederumnachtung des Selbst, aber dann konnte sie auch schriftlich sich an Szenen erinnern, in denen sie sich präsent und lebendig gefühlt hatte. In schlimmen Krisenzeiten ernährte sich sich notdürftig an einzelnen Büchern von mir, sie wusste Passagen, die ihr tröstlich vorkamen, fast auswendig, aber das funktionierte nicht immer. Deshalb schrieb ich ihr manchmal Zusammenfassungen des gemeinsam Erlebten, damit es wirklich würde für sie. Es dauerte aber mehr als ein Jahr, bis sie in der Not einen Anruf wagte. Doch meine leicht veränderte Telefonstimme schleuderte sie zurück in Richtung Sirius. Sie nahm ein Kuscheltier aus der Praxis mit, "auf Dienstreise", und ich glaube, der kleine Bär hatte es gut bei ihr, im Streichelurlaub und mit zärtlicher Ansprache.Er herrschte sie auch nicht an, wenn sie in seinen Pelz weinte.

Bei Räkelübungen auf der Couch erwachte ein wildes Weib, fast eine Mänade, die stillgelegte, fast nonnenhaft erstarrte Lebendigkeit brach sich Bahn, sie nahm ihr Becken in Besitz mit kühnen Bewegungen und schrie dann die inneren Stimmen der kontrollierenden Mutter an, die sie wieder vernichtend beschämen wollten. Die Mutter war die dunkle Wolle über ihrem Leben, aber der Vater war keine Rettung, weil er sie lüstern und übergriffig umschmeichelte und ihr Erotik und Sexualität bis auf den heutigen Tag verdarb. Sie konnte ihn in ihren schlüpfrigen Erinnerungen zurückstoßen, ihn schlagen, verdammen, ihm die Seidenunterwäsche, die er ihr aufnötigen wollte, ins Gesicht schleudern. Ihre lebhaften Erinnerungen an ihre Kinder erlaubten ihr, Regression und Erwachsenheit deutlich zu unterscheiden, und sie genoss die Sicherheit, die ich selbst in meinem Elternkörper hatte, trainiert durch einen körperlich fast unersättlichen Sohn in seinen jungen lebensgierigen Jahren.

Während ich dies niederschreibe, ist es noch immer offen, ob ich sie gefunden habe und sie sich finden ließ. Aber es gibt Wochenenden, in den sie nicht abstürzt, oder wenn doch, sich wieder aufrappelt oder sich wieder ansaugt oder ankämpft an mich, und sie nährt fast genial meinen Durchhaltewillen, und ich räumt ihr gerne ein, dass sie mich fördert durch ihr Vertrauen.

Technik der Satzanfänge

Wenn man Patienten einlädt, zur Entdeckung und Erforschung ihrer unbekannter oder verdrängter Gefühl einlädt, zu realen oder vergangen Personen, zu verdichteten Beziehungssymbolen oder sogenannten Introjekten zu sprechen, so stößt man je nach dem Grad des Standes oder Fortschritts der Introspektion oder der Fähigkeit, Affekte zu artikulieren, oft ein Zögern: es kann herrühren aus Überraschung, Verblüffung, Scheu oder Angst, Scham oder der Sorge vor Kontrollverlust, wenn die Gefühle dem, der sie bisher nie oder nur in abgeschwächter Form geäußert hat als zu übermächtig erlebt werden. Manchmal tritt sogar eine Art Stupor ein vor dem Unbekannten oder Ungeübten, oder ein unerwarteter Redefluss, wenn der Gefühlsstau plötzlich zum Abfließen angeregt ist. Die klassische Psychoanalyse folgt hier eher dem Rat des Abwartens, in der Annahme, dass die Affekte sich irgendwann schon melden werden, wenn die Kontrolle sich lockert oder der Stand der Übertragung es zulässt. Aber die inneren Hemmungen sind oft so stark, dass einfaches Abwarten nicht ausreicht. Viele Analytiker kennen aber auch, trotz einem Gebot der Inaktivität des Therapeuten zum Schutz des Patienten vor Manipulation, ihre eigene Formen der Ermutigung zum Ausdruck des lange Vermiedenen.

Mir erscheint aber immer hilfreicher, dem Patienten zum Ausdruck, ja zur Wortfindung zu verhelfen durch ein stellvertretendes Aussprechen dessen, was der Therapeut als zu erwartende Äußerungen in sich quasi in hilfreicher Delegation spürt. Deshalb frage ich bei einer ersten oder auch späteren Stockungen, ob ich einen Satzanfang vorformulieren darf, immer mit dem Hinweis, dass der Patient ihn verwerfen oder umformulieren kann, bis es für ihn/sie stimmt. Ganz divergente Reaktionen sind möglich: Ein Zurückweisen aus einem starken Autonomiebedürfnis, das sich gegen ein "Nachsprechen" wehrt. Aus der anderen Seite ein dankbares Eintreten in den Satzanfang, mit dem Versuch, ihn zu Ende zu sprechen, davor ihn erst einmal auf sich wirken zu lassen. Diese vorausgehende Überprüfung ist wichtig und fördert die "Fühlautonomie" und das Nachwachsen eigener Initiative.

Oft ist schon einleitend die Frage wichtig: "Was spüren Sie in Seele und Körper, wenn Sie im Begriff sind, das Ansprechen zu beginnen. Schon vor allen Worten erfolgt zum Beispiel ein Griff an die Brust: "Hier ist etwas verhärtet oder gestaut", oder "meine Hände werden feucht" oder "Ich kann plötzlich schlechter atmen." Der erste Mitteilungsvorschlag kann dann lauten: "Teilen Sie diese Veränderung ihrem Gegenüber mit.", mit der überraschten Reaktion des Patienten, der gerade entdeckt, dass schon die bloß imaginierte oder zum ersten Mal initiierte Konfrontation starke Gefühle oder körperliche Symptome auslöst. Bei deutlichem Stocken oder gar psychosomatischer Reaktion ist es hilfreich, dem Patienten zu raten, seine eigene Distanz zum leeren Stuhl zu suchen, weil zu viel Nähe Angst machen kann und einer selbst gesuchte passende Entfernung sowohl angstmindernd wie wahrnehmungsverbessernd wirkt.

Je nach dem Wissen oder der Intuition über die innere Konfliktlage des Patienten wählt der Therapeut Anfangssätze, manchmal auf nur einzelne Worte oder den Namen des Angesprochenen, und schon kann sich Gestautes, nie Ausgesprochenes lösen. Hilfreich sind rasch Rückfragen, wie der Angesprochene reagiert oder reagieren könnte, oder ob sich schon Zeichen von Weghören, Protest, Wut oder Freude auf dessen vorgestellten Gesicht zeigen. Von gehauchter Kritik bis zu einem hasserfülltem Ausdruck reicht oft die Spanne des nie riskierten, aber unbewusst oft längst vorhandenen inneren Textes. Die Variationsbreite des Ungesagten ist meist erstaunlich. Wenn Kritik endlich riskiert werden darf, und in vielen Fällen beginnt es flüsternd, zögernd, abgehackt, ja wieder verstummend, sodass ich leicht ermutigend, bei fortgeschritten Patienten auch mal ironisch sage: "Das war jetzt im ersten Gang ausgedrückt. Können Sie mal versuchen, lautlich einen Gang höher zu schalten." Fragender Blick, Erstaunend, Dankbarkeit, Gelächter sind die Folge, und dann hebt sich zögernd die Stimme ein wenig und um so mehr, wen ich vorschlage, aufzustehen, weil das einen gut wahrnehmbaren Schub von Ichstärke und Mut auslösen kann, noch mehr, wenn ich anrege, sich hinter die hohe Lehne des Sessels zu stellen als Schutz und Barriere vor gefürchteten Angriffen.

Beispielsätze von mir als Katalysatoren, eine Auswahl, beliebig zu erweitern:

Kritisch an den Vater: "Vati, du warst zu streng, ungerecht, zu oft abwesend, verständnislos, sadistisch, unberechenbar", und dann einzelne Szenen, die bereits erzählt, aber nicht konfrontiert wurden. Auf der Seite des Dankes und der Liebe, die auch oft nicht ausgedrückt wurden: "Ich habe dich bewundert, geliebt, heimlich verehrt, ich war stolz auf dich", oder: "Ich erinnere mich an" bereits mitgeteilte Szenen, dieanoch nachträglich zu Tränen rühren.

Kritisch an die Mutter: "du warst zu depressiv, zu unnahbar, zu unberechenbar, ungerecht, dem Vater hörig oder verächtlich", usw., "du hast mich nicht vor ihm geschützt, hast selten mit uns oder mir gespielt, warst unberechenbar, kränkbar, launisch, hysterisch, entwertend, kritisierenden, hast mit Liebesentzug gestraft, warst unzuverlässig, hast dich entzogen, warst aufdringlich, klebrig, neugierig, eitel, geizig oder verschwenderisch, selten oder nie zärtlich, usw.

Liebevoll: "Du warst hinreißend, schön, einfallsreich, eine Superköchin, hilfreich, gerecht, zugewandt, klug, verwöhnend, beschützend, unermüdlich tätig, manchmal frech, manchmal ein bisschen hysterisch, aber nicht zu arg, versöhnlich, verzeihend, ausgleichend, usw., ebenfalls mit Erinnerungen an beispielhafte Szenen, die sich eingeprägt haben.

Viele werden, bei beiden Polen, nachdenklich, man kann fragen: "Was fehlt noch?" oder: "Sie können die Liste später noch erweitern."

Geschwister: entsprechend; spezieller an Brüder, jüngere, ältere, Schwester ebenso.

Wichtig: auch Randfiguren, Verstorbene, Großeltern, Schulfreunde, Partner, verflossene Geliebte, Schädiger und Förderer, Ideale, Idole und Verachtete, Grausame.

Oft entsteht die Angst, zu viel Kritik könnte die Angesprochen zerstören, tief kränken. Dann ist es wichtig zu sagen: Es geht nicht um eine Gesamtverurteilung oder einseitige -würdigung, sondern um schädliche oder hilfreiche Teilaspekte, um vergrabene Aspekte der Beziehungen, die es zu vervollständigen oder zurechtzurücken gilt. Sinnvoll ist das Bild: Es gibt innere Deponien von Groll, Hass, Geringschätzung, deren Niederhaltung krafverzehrend ist; ebenso wie Deponien nicht ausgedrückter oder gewürdigter oder nicht angekommener Liebe, die zum Verlusts von Selbstachtung führen können, oder zu Schuldgefühlen wegen des Verschweigens, aus vielerlei Gründen.

Der Analytiker gibt nicht nur Hilfestellung bei Zögern und Hemmung, sondern auch die Erlaubnis, Gefühle zu spüren und auszudrücken, zur Komplettierung der eigenen Personen, zur Bildung von innerer Kohärenz und Ganzheit, zur Überwindung von vertikalen und horizontalen Spaltungen, auch zur Integration von seelische Altersstufen, die nie gereift ist.

Wenn Patienten das therapeutische Prinzip und die ermutigend Zeugenschaft des Analytikers verstanden haben, kommen sie oft auf die Möglichkeit der Inszenierung zurück, wenn ihnen neue Aspekt eingefallen sind. Es kann dann heißen: "In den nächsten Wochen möchte ich noch einmal auf Eigenschaften der Eltern zurückkommen, die ich er neulich zum ersten Mal erinnert habe." usw. Solche aktiven und aktivierenden Konfrontationen können stagnierende Therapien wieder in Gang bringen, vor allem dann, wenn die Ängste groß sind, das Aussprechen in der Übertragung könnte die so lebenswichtige therapeutische Beziehung gefährden oder in der Realität zu gravierenden Kränkungen führen. Der vorbereitende Ausdruck innerhalb de Therapie kann dann zu ehrlichen Beziehungen führen, wenn einiges Ungesagte doch noch in dosierter Form mitgeteilt werden kann.