Tilmann Moser

Suggestion in der Psychoanalyse

2011

Auf das Thema Suggestion bin ich erneut beim Wiederlesen von Arbeiten von Peter Fürstenau gestoßen. Sie wissen, dass er als rechtgläubiger freudianischer Klassiker gestartet ist, sich seit seinen Anfängen aber vieles an therapeutischen Varianten anverwandelt hat. Es verbinden mich mit ihm hilfreiche Erfahrungen der Supervision, darunter eine mit einer Darstellung der Übertragungskonstellation mit einer Borderline-Patientin im Rollenspiel. Die hat in mir weiter gewirkt bis zu meinem Buch „Supervision im Rollenspiel" (Stuttgart 2007).

Ich möchte Sie mit einigen seiner Gedankengänge vertraut machen, die sie verstreut in seinem Buch von 2001 „Psychoanalytisch verstehen, systemisch denken, suggestiv intervenieren" finden können. Er schreibt zunächst ganz allgemein: „'Suggestiv intervenieren' meint ein zweigleisiges Vorgehen: einerseits Stimulierung des Vertrauens der Klienten auf ihre eigenen Möglichkeiten, andererseits Anknüpfung an der gegenwärtigen Leidens-, Einschränkungssituation durch genaue Anpassung und Dosierung der Hilfe an den jeweiligen beobachtete (diagnostizierten) Grad der Regression." (S. 21)

Dies passt hervorragend zum Postulat von Irvin Yalom, für jeden Patienten eine eigene Therapieform zu entwickeln. Fürstenau schreibt an anderer Stelle: „…Ein später Triumph kann dem Genie Freud nicht vorenthalten werden: Freuds Verlegenheitsprophezeiung, Suggestion werde in der Zukunft bei der ´Massenanwendung´ von Psychoanalyse eine bedeutende Rolle spielen, hat sich bewahrheitet. Die Entwicklung der systemischen und der lösungsorientierten Therapieansätze außerhalb der Psychoanalyse … ist wesentlich von der neuen Auffassung der therapeutischen Nutzungsmöglichkeiten von Hypnose und Suggestion angestoßen, die wir Milton Erikson verdanken … Erikson hat uns gezeigt, wie man suggestivtherapeutische Techniken zur Hinlenkung und Einstellung von Patienten(systemen) auf deren je eigene (interne) Ressourcen verwenden kann, … Dies neue Verständnis der therapeutischen Nutzungsmöglichkeiten von Suggestion wird durch die traditionelle Kritik an Suggestion nicht getroffen." (S. 48) „Freuds Bestreben war, Patienten dazu zu verführen, sich auf die psychoanalytische Situation und damit auf die Konfrontation mit ihrer Erlebnisgeschichte, ihrer inneren Welt, einzulassen." (S. 65)

Dies wird nach meiner langjähriger Erfahrung auch dadurch besonders gefördert, wenn man anregt, dass die Patientin ihre aktuellen konflikthaften Partner oder ihre aus der Vergangenheit stammenden Introjekte zu externalisieren und auf einen leeren Stuhl zu setzen und direkt über ihre Gefühle zu ihnen zusprechen. Besonders in Fällen einer Bedrohung des Arbeitsbündnisses durch eine überwältigen negative Übertragung hilft dies beiden Partners aus der gefährlichen Übertragungs- Gegenübertragungsfalle heraus, indem der Therapeut zum gelassenen Regisseur der Szene wird.

In Fortbildungen werde ich oft gefragt, wenn Teilnehmer eine solche Szene in der Selbsterfahrung als hilfreich erlebt haben, wie man die Patienten dazu kriegt, sich auf eine solche sehr ernste Spielsituation einzulassen.

Manch Patientin sind sehr bereitwillig, freuen sich sogar, Ihren Gegnern, Demütigern oder Feinden, aber auch Wohltätern oder geliebten Angehörigen gegenüber zu treten. Andere zögern und müssen ermutigt werden, sagen: „Das kann ich nicht", oder „Ich geniere mich!", oder: „Das ist doch Theater!" Eine Erklärung über den Zweck hilft oft weiter: „Wir wollen an die Gefühle heran kommen. „, oder: bei gründlich orthodox Durchanalysierten, „Sie wissen ja bereits sehr viel, aber es geht um die tiefere emotionale Erfahrung." Oft ist Hilfe angesagt, auch ein Vorsprechen möglicher Sätze, in die der Analytiker seine Intuition hineinlegt. Selbst zunächst mechanisches Nachsprechen kann eine wichtige Brücke zu den Gefühlen bilden, bis sich stärkere und meist authentische Affekte melden.

Für den Erfolg der Suggestion ist es wichtig, dass der Therapeut mit ruhiger, freundlicher Autorität spricht, weil er weiß, dass der Patient Ressourcen seiner Kreativität entdecken wird. Sind die aufgestauten Gefühle groß, die bisherige Gegenbesetzung massiv, dann kann der Abfluss der Affekte lange dauern. Und ein Rollenwechsel fördert die Einfühlung in die Seelenlage der zuvor heftig Angesprochenen.

Ich möchte die Vorgehensweise am Beispiel zwei Patienten verdeutlichen, die zum Teil völlig unbewusst ein bedrohliches Täterintrojekt in sich bargen. Meist lässt es sich, wenn es verkörpert und versprachlicht wurde, auch auf seine Ursprünge, also meist frühen Personen, zurückführen.
Das Charakteristische an Täterintrojekten ist das Verborgene, das Heimliche, ihr Agieren aus dem Hintergrund, die Schwererkennbarkeit, das Eigenleben im Dunklen.

Manchmal hat der Patient den Eindruck, er werde von geheimen Mächten angetrieben, die er nicht steuern kann. Hinzu kommt das Unheimliche: ein Gefühl des Bodenlosen, des Verlusts an Grenzen, einer Identität in Form eines Taumelns zwischen verschiedenen Zuständen. Diese verbinden sich häufig mit unbewussten grandiosen Phantasien, die vermutlich im Bunde sind mit Vorstellungen von Macht, Rache, Behinderung, Zerstörung. Ihre Dimensionen stehen im Zusammenhang mit dem Ausmaß von Verletzung, Kränkung und Demütigung, das den biographischen Hintergrund bildet. In der Gegenübertragung konstellieren sie oft ein Klima der Vergeblichkeit, der Ohnmacht des Therapeuten, seiner Lähmung, und sie können zu äußerst schmerzhaften Gefühlen der Inkompetenz und des Versagens führen, vor allem dann, wenn er ein starken und doktrinären Überich ausgesetzt ist: Alles muss in Übertragung und Gegenübertragung gelöst werden, sitzt er in der Falle.

Kernberg empfahl in seiner Kampfzeit hartes Konfrontieren und Deuten mit dem Ziel, dass der Patient spürt, was er anrichtet oder anzurichten droht. Da sich im Hintergrund bereits Ärger angesammelt hat – was die meisten Patienten spüren – werden diese Aussagen meist als Vorwurf oder Anklage erlebt. Er erlebt der Therapeuten als bedrohlich, ja verfolgerisch, und manche wehren sich gegen dieses Anwachsen der Macht des Analytikers in der Übertragung durch Trotz oder extreme Entwertung, was dessen Unbehagen bis zur Verzweiflung steigern kann. Das kann bei Patienten zu destruktiver Wut führen, zu Erstarrung oder zu Rückzug oder Abbruch.

Wie nähert man sich also den Introjekten, die drohen, sich definitiv gegen den analytischen Prozess zu richten? Es gilt, wenn man mit Rollenspiel arbeitet, seelische Anteile nach außen zu setzen, den frühen Prozess der meist erzwungenen Internalisierung also umzukehren, um die Gegner allmählich in die Sichtbarkeit zu zwingen. Die bösen Introjekte wollen sich natürlich weigern zu erscheinen, sie spüren, dass es um einen Machtkampf unter für sie ungünstigeren Bedingungen geht. Sie sind außerdem durch manchmal extreme Scham geschützt, wenn sie in einem kränkenden Widerspruch zum
positiven Selbstbild des Patienten stehen.

Zunächst geht es einmal darum, und auch hier geht es um ermutigende Suggestion, sich auf die Suche nach Namen oder Bezeichnung für die Introjekte oder Teilintrojekte zu machen. Bei einer im Ganzen noch guten Arbeitsbeziehung teilt der Patient manchmal die kriminologische Begeisterung über die Entdeckung von Übeltätern, Saboteueren und Dämonen in seinem Inneren. Es kristallisieren sich meist einige Hauptfiguren heraus, in denen der Patient sich partiell wieder erkennen lernt. Ich nenne einige der Akteure, mit denen ich Erfahrungen sammeln konnte: der Saboteur, der Entwerter, der Verächter, der Diktator, der Angeber, der Terrorist, der Vernichter, der Weltzerstörer, der Lügner, die Herrscherin, die Hexe, der böse Zauberer, der Teufel, der Vergifter, und so weiter. Auf die Frage: wie mächtig ist der eben Genannte, lernt der Patient, die destruktive Potenz des Introjekts abzuschätzen. Er fängt an, sich mit der Frage zu beschäftigen, was wohl die Botschaft oder der Wahlspruch des bösen Subjektanteils sein könnte.

Es ist durchaus mit Angstreaktionen zu rechnen bei Wut und Vorwürfen, weil die Rache des identifizierten Bösewichts gefürchtet wird. Hier ist Geduld und Hilfestellung nötig. Viele Patienten staunen, wie konkret mächtig die Gestalt sich darstellen kann, der sich in einem unbekannt großen Raum zeigt. Ich berichte zunächst über ein Unwesen, das den Namen „der Drachen" erhielt. Seine Dimension wurde von einer Künstlerin erst allmählich wahrgenommen.

Sie hatte für sich das Gegenbild eines Gutmenschen entwickelt: liebevoll, hilfsbereit, unaggressiv, tolerant und in dieser Toleranz sogar leidensbereit, um andere Menschen nicht an ihr leiden zu lassen. In Träumen hatten sich aber bei ihr, die es „ablehnte, wütend zu werden oder zu sein", grausame Bilder angekündigt, über die sie entsetzt war. Sie nahm teil an sadistischen Versammlungen, das Elternhaus flog in die Luft, sie begegnete zerstückelten Menschen, sie beobachtete Menschen in extremer Gefahr und kam nicht zu Hilfe, sie wurde Zeugin eines Mordes und griff nicht ein und fand die Tat in Ordnung. Ihr Weltbild geriet auf bedrohliche Weise durcheinander.

Sie beschuldigte mich, dass ich all dies Böse in sie hineinzaubere, bis sie endlich akzeptieren konnte, dass ein mächtige Drache in ihr hause, und nach weiteren Stunden wurde sie sogar stolz auf das Untier, weil sie sich, verbündet mit ihm, endlich mächtig fühlte. Sie wurde sich ihrer neuen Macht auch mir gegenüber bewusst, wo sie doch der Beziehung zu mir ein dauerhaftes Klima von demütiger Dankbarkeit angedeihen lassen wollte, das zunächst von hilfreicher, dann mir immer peinlicher werdenden Idealisierung getragen war.

Sie traute sich allmählich, wenn auch zuerst hinter einer Schutzmauer, zum Drachen zu sprechen: „Ich habe Angst vor dir; ich will nichts mir dir zu tun haben; verschwinde; du hast mich heimlich überfallen." Dann wurde die Worte auch einschmeichelnder, liebevoller, anstaunender, sogar dankbar, dass er sie, ohne dass sie das bisher gemerkt hatte, mächtiger, ja Furcht einflößender machte. Es ging um die schmerzhafte Aneignung neuer Seelenteile, der Begriff einer schweren Identitätskrise ist nicht übertrieben, das bisherige Selbstkonzept wankte.

Als ich sie bat, selbst in die Rolle des Drachens zu gehen, erschrak sie zunächst, doch dann begann eine trotzige, omnipotente, drohende Anverwandlung, und auf die Frage, was der Drache mir machen würde, kam: „Der würde Sie zerfleischen, mit seinem feurigen Atem verbrennen. Er würde alles sabotieren, er würde mir Angst und Panik machen, ich würde wimmern vor Schrecken und um Gnade flehen; ich müsste mich ihm zu Füßen werfen." Die destruktiven Größenphantasien ängstigten sie auch. Sie fürchtete, ich könnte sie nicht mehr ertragen und wegschicken, befürchtete das Ende der Analyse.

Der Hintergrund ist ein massiver sexueller Missbrauch im Alter von 6 Jahren, über den sie nie gesprochen hat, der aber das ganze Leben überschattet.
Ein anderes Täterintrojekt fand sich bei einer Psychotherapeutin, das sich „der Berserker" nennt. Hier hatte sich die Patientin bewusst mit einer omnipotenten und häufig destruktiven Figur identifiziert, ihn sozusagen als permanente Kraftquelle gewählt. Er hat ihre eigenen Größenphantasien aufgesogen, ihnen konkrete Formen gegeben. Sie hält sich allen andern Therapeuten für überlegen, ist klüger als andere, durchschaut bedrohliche Zusammenhänge sofort. Das Problem ist, dass dieser Berserker sie sehr früh beschützt hat vor einer abgründigen Kleinheit Verlorenheit in früher Kindheit.

Er ist übermächtiger Begleiter und schwankt in seiner Substanz zwischen Identifikation, also zustimmender Aneignung, und innerer Gottheit, dem sie Selbstwert und lebendige Beziehungen opfern muss. Der Berserker ist auch mir überlegen und weidet sich an der Aussichtslosigkeit meiner therapeutischen Bemühungen. Sie kam, weil ihr früherer Therapeut sie unter demütigenden Umständen verlassen hat. Er hatte Züge eines rettenden Gurus mit grandiosen Phantasien über die Einzigartigkeit seines Therapiesystems.

Es gelang, ihr bei der Trennungskrise und der Rücknahme der alles beherrschenden Idealisierung zu helfen. Sie erbat von mir eine Therapiepause auf unabsehbare Zeit, als ich versuchte, den Berserker zu externalisieren und ihn biographisch einzuordnen. Es schien, als würde sie sich ohne ihn unerträglich klein und hilflos fühlen. Sie wusste auch, dass sie eine erneute Idealisierung eingehen würde, damit ich der Größe des Introjekts gewachsen wäre, und wollte zu dem Zeitpunkt keine neue intensive therapeutische Bindung eingehen.

Als ich sie bat, in der Rolle des Introjekts zu mir zu sprechen, kam: „Nie wirst du mir gewachsen sein; ich werde dich in deiner analytischen Nichtigkeit durchschauen; ich werde jeden Fortschritt zerstören; ich werde dich von meiner Größe überzeugen; du wirst meine therapeutische Überlegenheit anerkennen und dich zu meiner Methode bekennen; ich kann die Psychoanalyse in ihrer kümmerlichen Biographiesüchtigkeit durchschauen.

Ich war traurig über den Abschied, musste auch von eigenen Größenphantasien Abschied nehmen, konnte aber verstehen, dass die ersehnte positive Abhängigkeit des Kleinkindes zu nahe an ihrem früheren Hörigkeitstrauma lag.

So weit war ich aus eigenem Experimentieren und dem analytischen Anverwandeln von gestalttherapeutischen Erfahrungen gekommen: Externalisierung der Introjekte und Umgang mit ihnen im Rollentausch. Eine Erweiterung meines Instrumentariums fand ich in einem Buch des Münchner Therapeuten und Institutsleiters Artho Wittmann, mit dem Titel „Die Intelligenz der Psyche. Wie wir ihrer verborgenen Ordnung auf die Spur kommen können" (Kösel, München 2000). Störend ist seine absolut großsprecherische Selbsteinschätzung als Gründer einer völlig neuen Therapieform, die alles Bisherige hinter sich lässt. Trotzdem: Er ermuntert die Patienten, ihren zum Teil mühsam aufgespürten und mit Namen versehenen Introjekten oder „inneren Personen" einen Platz im Raum zu suchen und sie von dort aus sprechen zu lassen. Schon die Raumsuche, die ermutigt werden muss, ist ein therapeutischer Akt, weil die Introjekte tatsächlich ein Raum-, Positions- und Dimensionsempfinden zu haben scheinen.

Sie orten sich im Raum entweder in Bezug auf den Platz des Patienten oder den des Analytikers, von dem aus sie sprechen oder ihre Einwirkung taxieren. Wenn sie als mächtig erlebt werden, stehen die Patienten, stellen sich auch mal auf einen Stuhl, um ihre Größe zu demonstrieren, wählen eine einschüchternde Sprache mit triumphalistischer Stimme und Gebärde. Staunen und Erschütterung über das Untier in ihnen können das Ergebnis sein, ebenso, dass sie auch in der Lage sind, das Bild des terrorisierten Opfers in ihrer Person darzustellen. Es ist oft ein verängstigtes kleines Kind, das sich seiner Abhängigkeit und seiner manchmal der Vernichtung nahen Kleinheit bewusst werden kann.

Nun noch ein drittes, terroristisches Introjekt: es ist der verfolgerische, sadistische Gott, wie er in meinem großen Fallbericht „Der grausame Gott und seine Dienerin" (Psychosozial-Verlag 2010) dargestellt ist. Ausgangpunkt ist auch hier eine frühe Traumatisierung, nämlich Verlassensein durch mehrere Ferienabwesenheiten der ganzen Familie, während denen sie bei Nachbarn abgegeben wurde. Es folgten Krankheiten der Mutter, bei denen sie sich ihr nicht nähern dürfte. Sie wuchs in einem Pfarrhaushalt auf, mit einem unempathischen, übergriffigen Alkoholiker-Vater, vor dem sie sich oft ekelte.

Aber um ihm trotzdem nahe zu sein, stürzte sie sich in einen selbstausbeuterischen Dienst an seiner Seite für Gott und Kirche. Dadurch ließ sich die Angst, nicht gewollt zu sein, lange kompensieren. Als sie aber in der frühen Pubertät die Selbstbefriedigung entdeckte und sie exzessiv betrieb, geriet sie in ein Sünden- und Verworfenheitsgefühl, in dem ein alles sehender und extrem missbilligender Gott sie permanent strafte. Sie versuchte ihn durch Gebetsrituale zu versöhnen, büßte nach den demütigenden Rückfällen durch niederschmetternde Schuld- und Schamgefühle. Er wachte mit unerbittlichen Augen über ihr Leben; er installierte Kameras an der Decke, um sie zu beobachten; er ließ sie aufschrecken, um in Panik in der Wohnung herum zu rennen. In ihren Träumen wurde sie verfolgt, ermordet; sie drohte zu verwesen oder in unterirdische Verließe zu stürzen, aus denen es keinen Ausweg mehr gab.

Das gemeinsame diagnostische Aufsuchen des Introjektes gestaltete sich deshalb schwierig, weil jeder neue grausame Aspekt, den sie offenbarte, zu massiven Ängsten vor seiner nicht aufzuhaltenden Rache führte. Wenn sie mit meiner Hilfe zu ihm sprach, trat eine gewisse Erleichterung ein, wenn sie, zuerst fast gefühllos, ihm seine Grausamkeit vorhalten konnte. Mit der Zeit lernte sie, ihn in zitternder Wut auch anzuschreien, erstaunt darüber, welcher Hass auf Gott, der ihr doch als der ewig liebe beigebracht worden war, in ihr hauste. Manchmal klammerte sie sich verzweifelt an mich, weil sie, wenn das Introjekt sie wie eine Krankheit verließ, ihre seelische Struktur zu verlieren drohte.

Sie fürchtete immer wieder verrückt zu werden, aber auch: ohne ihn nicht weiterleben zu können. Tatsächlich benutzte das Introjekt die Stundenintervalle zu einer strafenden, rachsüchtigen und manchmal vernichtenden Rückkehr. Sie klagte mich dann an oft an, dass ich mit meiner Therapie ihr Leben zerstörte. Ich geriet selbst in die Rolle des Verfolgers, die therapeutische Beziehung war zeitweise extrem bedroht, bis sie mich im Ringkampf als lebendigen Menschen wieder fand und sich selbst als körperlich kräftige, unversehrte Person kennen lernte. Das Kämpfen konnte in wütendes und lustvolles Schreien übergehen, bei dem ich dann der nicht mehr rachsüchtige Begleiter im Kampf mit einem Gott war, der buchstäblich in ihre Körperstruktur eingedrungen war.

Der böse Gott erneuerte immer wieder seine zerstörerische Kraft, gab mich der Lächerlichkeit preis in meinem ohnmächtigen Glauben an eine allmähliche Genesung. Wir mussten ihn ausfindig machen in vielen realen und eingebildeten Kränkungen, die sie aus ihrer Umwelt erfuhr, er war der Geist der Verneinung, der ihr Leben durchdrang, bis er allmählich seine Macht verlor und nur noch in immer wiederkehrenden Angstträumen um sein Überleben kämpfte.

Aus der immer wieder notwendigen Ermutigung kann auch gelegentlich eine strenge Aufforderung sein, nicht nachzulassen mit der Konfrontation. Das mag nach autoritärer Suggestion klingen, hilft aber in manchen Momenten gegen die aufkommende Resignation. Der Protest gegen die Strenge erbringt eine Kräftigung des Mutes eigene Kränkungen in der Übertragung auszudrücken. Die neuere Überich-Forschung konnte, in verschiedenen Schulen, die auch mit Inszenierung arbeiten, zeigen, dass die Dichothomie gut und böse natürlich viel zu einfach ist, sondern dass ein ganzer Pool von inneren Personen teils widersprüchlichster Art besteht. Für die Integration der Täterintrojekte ist es therapeutisch wichtig, nicht nur die guten Anteile des Selbst und der Objektrepräsentanzen immer wieder präsent zu halten, sondern auch die vitalen Ressource sich immer wieder zu vergegenwärtigen, damit das Selbst nicht in seinen einseitig negativen unbewussten Inhalten untergeht.

Es ist auch wichtig, dem Patienten Pausen der Auseinandersetzung zu gönnen, ihn wissen zu lassen, dass man das Ausmaß der Anstrengung und die immer wieder auftretende Erschöpfung, die Angst und die Zweifel am Sinn des Vorgehens versteht. Die Bildung der Introjekte war entweder überlebenswichtig oder aber in traumatischen Situationen unvermeidlich.

Noch einmal Kampf

Anders als beim Kampf mit der Patientin, deren Leben von einem verfolgerischen Gott überschattet war, und die sich im Kampf wieder ihrer lebendigen Leiblichkeit versichern konnte, führten bei der missbrauchten Patientin vorsichtige Hinweise auf eine fast unerträgliche Körperspannung zu einem Ringen auf einer viel archaischeren Ebene. Sie kam erschöpft von nächtlichen Alpträumen in die Stunde. Nach einer Weile bat sie mich, ob ich mich zu ihr auf die Couch setzen könnte. Es schien um Beruhigung und einen Halt gebenden Umgang mit ihren Panikzuständen nach den Träumen zu gehen. Sie wand sich im Liegen um mich, wie sie es kannte, und wie ich es in meinem Taschenbuch „Berührung auf der Couch" beschrieben habe. Sie versuchte, Beruhigung und Geborgenheit zu tanken, um zu einem erträglichen Körpergefühl zurückkehren zu können. Aber es mischten sich kleine hochaggressive Bewegungen in die Berührung, die sie aber zu untgerdrücken versuchte. Ich spiegelte ihr die erst noch angedeuteten Aktionen und ermutigte sie, diese zu verdeutlichen.

Unter großem Zögern und mit Anzeichen von Scham intensivierte sie die zugleich verzweifelt kämpferischen und anklammernden Griffe, bis es zu einem wilden Kampf kam, in dem sie mich zugleich verschlingen und wegstoßen wollte. Als sie ermattet aufgab, konnte sie sagen: „Ich wollte Sie beseitigen und einverleiben gleichzeitig." Der zerstörerische und der auffressende Impuls, vor dessen Wucht sie aber ebenfalls Angst hatte, vermengten sich, sie sagte, es sei ein schreckliches Chaos in ihr, vermischt mit den nachwirkenden Bildern aus den Träumen. Als Ruhe im Sturm eingekehrt war, fiel mir eine oft wiederholte traumatische Szene <aus ihrem Leben ein: das Kind saß, in der Erwartung der Mutter, die für einige Stunden bei ihrem Liebhaber war, in Panik auf einem Stein und wollte sich in deren Arme stürzen, als sie endlich auftauchte. Aber die Mutter stieß sie barsch und vorwurfsvoll zurück, mit der Folge, dass sie erstarrte und dissoziierte. Im Hintergrund rangen Wünsche nach Zerstörung und wiederfindende Verschlingung miteinander.

Der vermutete gemischte Impuls wäre wohl gewesen: in stürmischer Umarmung sich zugleich zu rächen und die Mutter zu inkorporieren, um sie nicht wieder regelmäßig und mit quälender Trennungsangst zu verlieren. Es wäre die Erlösung gewesen, wenn die Mutter diesen Affektsturm zugelassen und überlebt hätte. Genau so etwas vollzog sich in der tiefen Regression auf Zustände, in denen sich Überlebenskämpfe zwischen Tod, Zerstörung einerseits und ein Rückgriff auf liebevolle Verschmelzungsphantasien mischen. Die Verschmelzungssehnsucht folgt aber nicht einem Drang nach symbiotischem Einswerden von zwei immer noch getrennten Körpern, sondern benutzt eine kanibalistische Gier nach Einswerden durch Verschlingen.

In der nächsten Stunde berichtet die Patientin von einem neuen Traum, in dem sie in einer bedrohlichen Panik in ihrem Körper einen Anwalt spürte, der sie schützte und ihrem geschwächten Körper Kraft zum Widerstand verlieh. Sie bedankte sich für unseren Kampf und meinte, ich hätte sie auf einer ihr zunächst nur unheimlichen Tiefe erreicht und ausgehalten. Solche Sternstunden sind nicht gerade häufig, aber dass beide verschwitzt und schwer atmend aus ihm hervorgehen, festigt das Arbeitsbündnis für erneut Krisen.

Die so genannte negative therapeutische Reaktion

Die Diagnose war lange Zeit eine Art Beschuldigungsreaktion des Analytikers, wenn die Therapie stagnierte oder sich gar zum Schlechten zu wenden drohte. Die Ursache lag bei der Einpersonen-Analyse im Patienten, der trotz korrekter Deutungen keine Fortschritte machen wollte. Es ging angeblich um geheimen Trotz, um Neid auf den Analytiker, um einen destruktiven Autonomiekampf, bei dem sich das Selbst in einem selbstschädigenden, oft unverständlichen Ringen noch um eine primitive Abgrenzung vom frühen Objekt mühte.

Anteile davon konnten durchaus dabei sein. Oder der Patient wurde der Unfähigkeit zur Dankbarkeit quasi angeklagt. Oder die für beide Partner bedrohliche Stagnation wurde mit einem konstitutionell erhöhten Aggressivität des Patienten erklärt. Die Gegenübertragung ging ins Gereizt über, die vom hohen Thron gegebenen Deutungen wurden als demütigend oder verfolgerisch erlebt, als entlarvend und unempathisch. Es kam oft zu einem Unterwerfungshass oder zum Abbruch der Therapie, in einem nicht mehr analysierbaren masochistischen Triumph.

In seinem monumentalen Werk über „Die Scham, das Selbst und der Andere" (Gießen 2010) kommt der Berliner Analytiker Jens L. Tiedemann zu einem ganz anderen Ergebnis, das er mit der Existenz eines Täterintrojekts in Zusammenhang bringt: Der Patient fühlt sich gedemütigt, weil der Analytiker um die seelischen Fehlhaltungen Patienten weiß und sie ihm immer wieder vorhält. Ein Wissender steht, extrem ausgedrückt, einem Verstockten gegenüber, der sich im Lauf der Sackgasse weiter verhärtet. Tiedemann meint, es gehe trotz der Selbstschädigung und der Sabotage an der Arbeit des Analytikers um die Aufrechterhaltung einer „Beziehung zum schlechten inneren Objekt", das aber durch Lieblosigkeit und Ablehnung charakterisiert war.

Tiedemann schreibt: „Es bildete sich ein inneres Objekt aus, das sie (und sich, TM) sich selbst verurteil und entwertet, um auf diese Weise die Illusion bewahren zu können, sich von den Eltern geliebt zu fühlen und die Bindung aufrechtzuerhalten." Dieses innere Objekt ist mit tiefer Scham besetzt. Das Kind fühlt sich als nicht liebenswert und reagiert mit Scham, manchmal auch mit Schuld, über seine bloße Existenz. Und er zitiert Thomä und Kächele mit dem Satz, es „muss der Patient gerade zu mit einer negativen therapeutischen Reaktion auf die Deutungen des Analytikers antworten. Er dreht gewissermaßen den Spieß um, indem er nun die Position der spöttischen Mutter einnimmt, die seine Lebensäußerungen mit Verachtung bestraft hat." (1985, S. 152)

Auch hier muss der Therapeut zum Teil suggestiv drängend den Patienten ermutigen, die Rolle des inneren Saboteurs zu übernehmen. Der Gewinn ist das Staunen über die Macht dieses Introjekts, dem er Patient triumphierend Stimme gibt.

Tiedemann schreibt weiter: „Um die Rolle der Scham bei der Entstehung der NTR zusammenzufassen, kann man festhalten, dass frühe interpersonelle Beziehungen – besonders solche, die durch eine wiederholte emotionale Fehlabstimmung charakterisiert sind – eine fundamentale Rolle in der Entwicklung der Scham im späteren Erwachsenenleben spielen." (S. 119) Die Patienten verschließen sich dem Analytiker aus Angst vor einer Retraumatisierung, was den Analytiker in ein „Gefühl des Ungenügens und der Feindseligkeit" führt. Leo Wurmser spricht sogar von einer „Urscham", die reaktiviert wird, wenn die „Deutungen des Therapeuten als anklagend und beschämend" erlebt werden. (Tiedemann, S. 122)

Tiedemann bilanziert: „Gewisse Widerstände, die von klassischen, eher intrasubjektiv arbeitenden Analytikern diagnostiziert werden, sind somit Artefakte', iatrogene Effekte, die aus der Schamdynamik zwischen Analytiker und Patient entstanden sind." (S. 123)

Damit verlässt er „das Modell der zur Einsicht führenden Deutung als dem Grundmechanismus der Veränderung." (128) Er postuliert Empathie für die frühe Notlage des missbrauchten oder sich abgelehnt fühlenden Patienten, in deren Zentrum die existenzielle Scham über die eigene Existenz steht. Wenn er sich mit dem destruktiven Anteil im Rollenspiel identifizieren kann, spürt er, was er sich und dem Therapeuten permanent antut. Das Konzept der Externalisierung der Täterintrojekte erweist sich als fruchtbar, wenn es in Zusammenhang mit sehr frühen Erfahrungen der Frustration des Lebensinstinkts gesehen wird, die introjiziert und auf den Analytiker projiziert wird, der mit seiner Verwirrung kämpft und mit der „projektiven Identifikation" oft nur schwer umgehen kann. Aus seinem eigenen Opfergefühl könnte er ermitteln, was dem Patienten in vorbewusster Zeit geschehen ist, und das gibt ihm auch den Mut zu dem suggestiven Vorschlag, die therapeutische Dyade zu öffnen. Er wird dann Anreger oder Regisseur einer Szene, die ihn aus der Übertragungsfalle befreit.

Er stellt damit die bedrohte Solidarität wieder her, indem er zum Begleiter bei den frühen Kämpfen wird, die der Patient verloren hat, weil er sich mit seiner traumatischen Niederlage abfinden musste, aber ein rächendes Introjekt als letzte Zuflucht entwickelt hat. Besonders der Rollenwechsel verdeutlicht das innere Kampfgeschehen zwischen Täter und Opfer, in das der Therapeut zwangsläufig verwickelt wird, wenn er an der reinen Übertragungsanalyse festhält.

Wenn sich offene, oft auch plötzliche Verdunkelungen des Bildes des Therapeuten ergeben und die Gefahr einer destruktiven Übertragungsverstrickung sich abzeichnet, bedeute die Externalisierung eine Rettung für beide Partner. Der Patient kann sich wieder als aktiv und kreativ erleben, weil er seine inneren Teilobjekte darstellen kann. Es ist natürlich im Nachgang wichtig zu fragen: Was sind die biographischen Vorläufer dieses bedrohlichen Bilder? Die Übertragungen sind leichter zu entziffern und zu ertragen, wenn sie in der Inszenierung „besichtigt" und in ihrer Affektstärke wahrgenommen worden sind.

Wenn ich hier also einer bestimmten Form von suggestiver Veränderung des Settings das Wort rede, bin ich mir bewusst, dass sich langsam Erfahrung
sammeln muss, wie und wann und mit welcher Überzeugung diese Veränderung eingeleitet werden soll. Supervisionserfahrungen mit der vorsichtigen Einführung der Veränderung zeigen folgendes: Die Einladung, ein sich abzeichnendes Gefühl, das in der Übertragung mit Recht gefürchtet wird, direkt der ursprünglichen Person zuzuwenden, öffnet den therapeutischen Raum. Kollegen, die sich zum ersten Mal aneinen solchen Vorschlag heran wagen, sind erstaunt, wie viel Entlastung für die in Bedrängnis geratende Dyade sich einstellt. Allerdings fallen viele Patientenleicht wieder zurück in da Sprechen über die bedrohlichen Personen. Es gilt dann, den Patientin immer wieder zurück zu führen in das direkte Ansprechen.

Dabei wirkt man manchmal pedantisch, aber es hilft dem Patienten, nicht es Erzählen auszuweichen, sondern die Konfrontation zu wagen und auszuhalten. Auch das neue Setting braucht Gewöhnung und muss verinnerlicht werden, wenn es einmal als hilfreiches Projekt erfahren worden ist.

Literatur

  • Kernberg, Otto: Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus. Frankfurt 1983
  • Thomä, Helmut und Kächele, Horst: Lehrbuch der psychoanalytischen Therapie, Bd. 1, Berlin 1985
  • Tiedemann, Jens L.: Die Scham, das Selbst und der Andere. Gießen 2010
  • Wurmser, Léon: Die Maske der Scham – die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten. Berlin 1990