Tilmann Moser

Ein Liebesversuch

Gedichte in Prosa

Tilmann Moser schildert in Form von Protokollen eine aufwühlende kurze Liebesbeziehung, die in tragischem Verstummen endet. Nacherlebbar ist das so hoffnungsvolle wie schmerzliche Auf und Ab der Gefühle, die den Leser vielleicht an eigenes Erleben zu erinnern vermögen.

Erschienen im Geistkirch Verlag, Saarbrücken 2017.

Rezension siehe unten

Leseprobe

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Ich weiß nicht einmal, ob ich mich schon nach dir sehnen darf, so kurz ist unsere Beziehung. Du bist langjährig eheerfahren und spät befreit, vielleicht beschädigt; hast dir drei Jährchen Zeit gelassen nach der Scheidung, bevor du erstaunt mein Erstaunen über dich zugelassen hast. Meine letzte Geliebte war jünger als du, jugendlich und noch knackig, obwohl auch schon Großmutter. Nun darf ich schöne Ungleichaltrigkeit eintauschen gegen Altersähnlichkeit und gebildete Ebenbürtigkeit, Witz und Bildung, lebensklugen Charme und hinreißende kleine Gesten liebevoller Verständigung. Weder strahle ich erotisch umwerfenden Reiz aus noch du, aber es könnte ja noch werden. Verstohlen mustere ich deine Fältchen und frage mich: werden sie mich verschrecken oder sexuell milde stimmen? Und du musterst meinen Embonpoint so deutlich, dass ich versuche, ihn einzuziehen. Es gelingt aber nicht. Die zehn Tage Fasten über Weihnachten waren beinahe umsonst.

Mich entzückt dein Lachen über einen Scherz von mir. Du zeigst Neugier für meinen Beruf: Seelenhelfer. Betonst, dass dir an einigen Lebenskurven solche Hilfe nützlich war, um nicht aus der Bahn zu fliegen. Also sagen wir halb erfreut, halb beschämt: Wir sind beide therapieerfahren, hätten es allein nicht hingekriegt. Du hast Kinder, sie sind flügge, du bist stolz und sorgst dich doch um sie, kannst aber nicht mehr rettend eingreifen und versuchst, deine Schuldgefühle weg zu schieben oder klein zu halten; fragst mich, wie viel Ehen ich schon hinter mit hätte, und ich muss verschämt bekennen: keine. Deshalb betrachte ich dich doch in vorauseilender Neugier mitten im schönen Augenblick, berechnend auf der Flucht in den noch wenig gelichteten Wunschnebel.

Ein paar Monate war ich mit Parship unterwegs, den wissenschaftlich fundierten Kupplern im Internet, betrachtete ältere Damen am Bildschirm und prüfte, ob unsere Lebenslinien und match points verheißungsvoll aufeinander zuliefen. Die einzige, die mir gefiel, sagte mitten in meine wachsende Verliebtheit hinein: „Sie sind nicht mein Typ, ob ich mich nicht mit Freundschaft begnügen könne. Doch dafür war sie zu blond und zu graziös und von südländischem Charme, sodass ich mich außerdem in ihr beinahe ausgezeichnetes Deutsch verliebte und mit ihr, fast schon hochzeitsreisig gestimmt, ihr kunstreiches Vaterland bereisen wollte.

Hätte ich dir gestehen müssen, dass das computergenerierte Abenteuer noch gar nicht weit zurücklag? Und dass mich die Kurven der halbexotischen Blonden noch nachts im Halbschlaf heimsuchen und ich noch ein wenig um sie weine? Längst würde ich dir gerne alles anvertrauen, aber du bist ja Partei. Ein weiser Freund sagte mir: „Du kannst nicht alles haben im Leben.“ Er hat es wissend und freundlich gemeint, aber ich war doch verstimmt über so viel Lebenserfahrung, die er mir genüsslich schenkte. Während ich also noch in unaufgeräumter Trauer lag, auch in Wut über den unerwarteten und abrupten Abschied, tauchtest du auf bei einem Abendessen und schienst dich über meine Gegenwart zu freuen. Also freute ich mich auch. Ich wusste nichts von dir, du viel über mich, aus meinen Büchern, die manchmal Strafe sind, wegen der Vorinformation. Wir müssen halt weiter sehen, aus dünnen Augenschlitzen und mit leichtem Herzklopfen in die dichten Wolken hinein.

2

Fünf Monate winterliche Antidepressions-Prophylaxe hatten den Unterkörper lahm gelegt, zu ruhig gestellt. Auch Fanny Hills Memoiren, die Onanie-Vorlage der gebildeten Stände, hatten es nicht mehr vermocht, dass Meister Iste das Haupt erhob. Höchstens in zwei halb lauen Träumen, andeutungsweise. Verflucht, das war bitter. Das würde ich gerne gestehen, aber wem? Schon Dir? Gestehen ist schön, wenn es freundlich angenommen wird und die Beziehung vertieft, durch das Wissen um dunkle Geheimnisse. Gestehen muss man langsam zusammen lernen, dann gehört es zum Liebesspiel. Ach wie weit weg vom Liebesspiel sind wir noch. Manchmal fürchte ich, du denkst an solche Dinge noch gar nicht, gehst mit mir ins Museum und genießt meine Einfälle zu den Bildern. Oder beim ersten Mal im Kino: eineinviertel Stunden habe ich gebraucht, um deine Hand zu nehmen. Und dann die Unsicherheit, ob es dir recht wäre. Der anstrengende Versuch zu spüren, was deine winzigen Handbewegungen anzeigten: Streicheln oder leichten Überdruss und die Aufforderung zur Trennung der Finger. Ich zog meine Hand zurück, um aktiv ein größeres Unglück zu vermeiden. Aber in meiner Wunschphantasie warst du traurig darüber, ein bisschen wenigstens, dass ich so scheu war. Unsere Unterhaltung danach beim Bier war hinreißend, obwohl wir ganz verschiedener Meinung waren. Ich sagte: mit dir könnte ich sogar ernsthaft streiten, liebevoll natürlich. Was ich an dem Streifen kitschig fand, erschien dir als zu Herzen gehend in dem gefühlstriefenden Film „Wie im Himmel“. Schließlich einigten wir uns, das Kunstwerk habe Schwächen und Stärken; ich hatte Angst, dir den Film durch mein Lästern schlecht zu reden; du hattest Angst, mich fürs Rührselige gewinnen zu wollen. Dabei ging es dir um etwas viel Wichtigeres: mit welchen Seelenkräften können Menschen dem Druck zu zerstörerischem Einklang widerstehen können. Erster Deutungskonflikt überstanden, Sympathie vorerst gerettet! Prognose: ein kleiner Pluspunkt für die Zukunft. Ich schaute dich ganz anders an nach dem noch sehr gedämpften verbalen Gemetzel, richtig liebevoll. Bei Abschied nahm ich dich einfach in den Arm, sehr unsicher, wie lange ich dich halten sollte oder dürfte. Auch das ist tolerant überstanden. Ein Hauch von Parfüm Ist in meinem Anorak verblieben, habe noch eine Weile daran herumgeschnüffelt, bis ich, nach einem weiteren Bier und den Tagesthemen, unruhig eingeschlafen bin. Vergessen habe ich, dass ich durch deine Winterkleidung hindurch heimlich deinen unbekleideten Körper zu erkennen versuchte. Da deine Brust von Rüschenbluse und Bolerojäcken verdeckt war, gelang mir noch kein wirklich ergiebiger Blick auf deinen Busen. Aber du wirst schon einen haben, auch wenn du sehr schlank bist. Diese Hoffnung nehme ich mit in den Schlummer.

3

Verdammt! Ich will nicht warten, bis deine Freunde nach langen Tagen wieder abgereist sind. Schon fürchte ich, dass du mich vergisst, dass ich dir gleichgültig werde. So lange kennen wir uns noch nicht, als dass ich schon deinen erotischen Gehirnwindungen, deiner emotionalen bildhaften Speicherungsfähigkeit blind vertrauen würde. Hast du in der Ferne Nachbild von mir, wie ich von dir? Du könntest Nachteiliges über mich entdeckt haben: die Parship-Dame von der großen Kuppleragentur nannte meine Mimik frech starr und unbeweglich; Ich sei zu ernst, von einer déformation professionelle beschädigt, unspontan, aufs ausdruckslose Zuhören programmiert. Peinlich. Verdammt, von dir erhoffe ich ja das Wieder-lebendig-Werden. Ich weiß, das ist vielleicht zu viel verlangt. Die Patienten haben meinen seelischen, einfühlsamen Vorgarten besetzt, ich sitze still im Haus und lausche ihnen, von liebevoll über andächtig bis manchmal widerwillig, manche sind lebendiger als ich, dann schäme ich mich. Wenn du das wenigstens verstehen würdest! Aber wenn ich es mitteilte, brächte ich dich ja auf die Spur meiner Selbstzweifel. So hoffe ich, dass du mich entdeckst und doch nicht entdeckst. Bitte kein allzu rasches Durchschauen! Du sollst doch einmal fast alles von mir wissen und mich dann immer noch lieben. Die absolute Utopie: Mutter, Geliebte und kindliche Gespielin, Schlaumeierin und kluge erfahrene Frau doch auch wieder anmutig doof. Ich doziere ja so gerne. Verdammt, so viel Arbeit liegt vor uns, falls du überhaupt meine Mitarbeiterin in Sachen Liebe werden willst. Dann wäre ja schon viel gewonnen. Freud sagt: Arbeitsbündnis. Und ich müsste nicht mehr so viel Angst um mich haben. Oder um dich. Oder um uns.

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Du schreibst nach unserem vorgestrigen Museumsbesuch auf einem Kärtchen, auf dem wieder mal Christo einen schönen Baum eingepackt hat, „ich freue mich auf mehr mit dir.“ Ich lutsche an dem süßen Satz. Heißt das nun: aufs nächste Museum? Den nächsten Film? Einen Knochen hast du mir hingeworfen, an dem ich nun nage. Verdammt, ich will ins Museum deines Körpers, aber auch nicht schneller als du, die Seele in ihrer Langsamkeit soll schließlich mitkommen, den Unterbau liefern, nein, den Überbau, nein beides. Du weißt vielleicht auch, dass es am schönsten ist, wenn es zwischen den beiden - Seele und Körper - nicht knirscht. Vorsichtige kleine Schritte sind schön und machen doch ungeduldig. aber sie sichern uns vor dem Absturz. Jetzt sitzt ihr, du mit Freundin, in einem schönen Restaurant beim Mittagessen und denkt nicht an mich, aber ich muss an dich denken, bei Spiegelei und angebrannter Gemüsepfanne , und dann gehe ich an der späten Wintersonne allein spazieren und will an gar nichts denken, was ja doch nicht glückt.

Kleidest du dich ganz in schwarz zur Abschreckung? Wie die griechischen Witwen? „Es soll nicht noch einmal sein!“ Wenigstens hast du Rüschen am Gewand, ebenfalls schwarze. Schwarz könnte ein großes Thema werden.

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Eben war ich Langlaufen, um mich abzuregen. Die Libido wird später froh. Ein sehr schlichter Kalauer, aber: erster Sublimationsgewinn, hart erarbeitet. Noch drei Tage bis zum nächsten Anruf. Ich will euch ja nicht stören, oder so gekonnt, dass du Buße tust, Buße für deine folgenschwere Abwesenheit, für mich schon mit Liebeskummer garniert. Ich stelle mir die Reue auf deinem Gesicht charmant vor, du müsstest mich werbend zurück in den Frieden schmeicheln und ich würde dich huldvoll freisprechen, wenn du mir ewige Anwesenheit schwörst. Als ob ich die ertragen könnte, ohne durchzudrehen vor Glück. Der Konflikt ist unlösbar, durch Seelenarbeit nur zu mildern. Mal sehen, ob Lektüre was bringt, oder Mozart, in seinem wunderbaren Jubiläumsjahr. Hoffentlich wirst du mir nicht auch nur „deine Freundschaft“ anbieten, obwohl mit dir das sogar lohnend sein könnte. Warum wollen mir nur viele Frauen nur ihre Freundschaft anbieten? N=3, das heißt auf mathematisch: bisher drei, nach begonnener Liebe! Jetzt:Nachlassverwaltung in Sachen Gefühle, diese leicht angestaubt, aber noch nicht ganz erkaltet. Die wahren Werte, die sich zu später Stunde erst zeigen, wenn die Kastration durch jähe Trennung vorüber ist. Nein danke, ja bitte! Vielleicht! Janeinjaneinjanein- möcht schon sein. Falls ich dich nicht lieben lernte, wär ich ja froh um eine Freundschaft, zur Not könnten wir beruflich kooperieren. Meine exakte gegenwärtige Profession lautet: jugendlicher alter Esel, am Durchdrehen.

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Ach! Du hältst es tatsächlich aus, drei Tage lang nicht nach mir zu schreien, wenigstens am Telefon! Hast du denn überhaupt keine symbiotische Begabung? Es muss ja nicht gleich eine frühkindliche Beziehungsstörung sein. Sieben Prozent Mama möchte ich schon für dich sein, auch wenn ich keinen Brüste, nur kleine Biertitten habe. Erstaunlich, aus was für Komponenten die Sehnsucht besteht. Ist ein viel zu erhabener Ausdruck für meinen Zustand. Die Poeten haben sich nur immer das Schönste dabei herausgesucht, an die Auflösungserscheinungen der Seele gar nicht mehr gedacht. Der Computer ist eine gute, fast mütterliche Zuflucht. Ich kann an ihm herumstreicheln, eine versuchte email-Verschmelzung und er spuckt beinah-tröstliche Wörter aus, fast möchte ich sie murmeln oder säuseln hören, um mich zu beruhigen.

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Was soll ich denn machen, wenn sich dauernd mein Mund zusammenzieht vor Sehnsucht? Wenn die Ringe unter den Augen tiefer werden? Wenn mich mein Spiegelbild anschaudert? Wenn ich doppelt so viel esse wie normal, also schon in ruhigerer Zeit zu viel? Freud sagt, viel Leid der Menschen stamme aus ihren Beziehungen. Das war so eine Art Fazit für sein Leben. Ich wollte es nie wahrhaben. Nun bringst du es mir bei. Dabei will ich, wollte ich? wenigstens in Annäherungen, glücklich werden mit dir. Das kann ja heiter werden. Verliebtheit als innerer Zirkus, unter der Kuppel, ohne Halteseil. Doch, ich baumle an Wörtern. Ich spinne ganz schön. Ganz schön schön.

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Habe heute am Fernsehen den Kölner Funkenmariechen bei der Prunksitzung zum Trost und ätsch unters Röckchen geguckt, aber nichts Eindeutiges gesehen. Hätte ich das mit dir zusammen tun können? Hättest du mir erklärt, warum das Röckchen so hoch fliegen muss, und immer wieder? Freud sagt: der Geschlechtsunterschied sei das größte anzunehmende Untersuchungs-Geheimnis. Ich kam noch nicht weit mit meiner Forschung. Selbst genaueres Hinsehen löst das Rätsel nicht. All die Jubelnden, von Tusch zu Tusch, scheinen mehr zu wissen als ich.

Nach angemessener Pause: Ich habe mich wieder beruhigt. Die Liebesbeschleunigung funktioniert so nicht. Drängende Erwartung und schleichendes Vollzugstempo Widersprechen sich deutlich. Durch Selbsthypnose versuche ich, mir weniger Leiden zu verschaffen. Ich bin kein Künstler des Wartens. Hoffentlich gehe ich dir nicht auf die Nerven. Denn ich habe per email nachgefragt, wie lange die Quarantäne dauern müsse. Oder die Karenzzeit. Oder die Prüfung. In meiner Frühzeit gab´s auch schon eine Königin der Nacht. Aber sie war am Tag auch mächtig. Natürlich die Mutter.

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Schneeflocken fallen und bleiben nicht liegen. Ist das ein böses oder ein gutes Omen? Zu Wirkungen und Nebenwirkungen frag dich selber und bemüh´ nicht schon wieder die Dichter. Freud rät: sich zu schützen vor der Macht des Liebesobjekts durch Hingabe an höhere Zwecke und Vorhaben. Ich habe aber gerade keine mehr, keine höheren Ziele mehr. Nur noch rastloses Trödeln und Vergeuden der Zeit.

Der Himmel hellt sich auf. Ich nehme keck an, dass du doch ab und zu an mich denkst, ohne Stirnrunzeln, ja sogar mit ein bisschen Sehnsucht, und dass dir deine Dauergäste deshalb auch ein wenig lästig werden. Hoffentlich fühlst du dich nicht bedrängt von meinem Drängen, von dem du ja noch gar nichts weißt. Verliebt-Sein heißt, dass das Kindergemüt noch einmal auftrumpft. Ich wusste nicht, dass es noch so stark in mir lebt. Nach so viel Therapie! Durch sie habe ich versucht, meine uferlosen Feen-Phantasien an die Kette zu legen. Und jetzt dies!

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Einen Tag später. Ich eile an den PC und scheue neugierig, ob der Anrufbeantworter blinkt. Er blinkt nicht. Kein Lebenszeichen. Kochen bringt ein wenig Ablenkung. Ich koche die gleiche Hühnersuppe, die dir neulich so gut geschmeckt hat. Sie schmeckt heute nicht ganz so gut. Dafür gluckert sie aufgeregt in meinem Bauch. Ich kämpfe gegen den Verdacht, dass unser gemeinsamer Freund dir Nachteiliges über mich erzählt haben könnte. Ein leichter Verfolgungswahn scheint sich auszubreiten. Wo der bloß gesteckt hat, vor meiner Angst. Anfällig muss ich ja gewesen sein, und ich schäme mich. Der Rest von klugem Kopf meldet: du hast Besuch von deinem Sohn, und außerdem ist ein so genannter Uraltfreund zu Gast, aus einem so fernen Land, dass er natürlich Rundumbetreung braucht. Das alles hat etwas zeitlich Lückenloses, von welcher Zimmerecke solltest du auch telefonieren, von emailen ganz zu schweigen. Du müsstest ja sagen: nun hört mal alle weg oder geht in die Küche oder bei Schneetreiben spazieren, ich muss fernmündlich jemanden erreichen, den ich noch gar nicht, erst recht nicht vor euch, definieren kann. Ein Probierfreund, mit-ins-Kino-Geher, Ausstellungebegleiter, Rosenmitbringer, mit-mir-Bierschlürfer, Rotweinsüffler, Psychodampfplauderer, Viel-wissen-Woller. Kumpel voller Rätsel. Was soll das alles schon bedeuten? Ich will dir nicht lästig fallen mit meiner Ungeduld, versuche mir die Zeit zu vertreiben, erwäge, selbst anzurufen, habe Angst, meine Stimme könnte zittern und zu viel verraten. Ich weiß, ich sollte gelassen bleiben, aber das Herz schlägt anders. Ich müsste Freud lesen für ein literarisches Konterfei, weil wieder mal ein Jubiläum ansteht. Aber wenn man bei dem unter Liebe nachschaut, wird einem ganz eigen zumute vor so viel Seelenmechanik. Kränkelnde Verliebtheit in einem initialen Stadium. Wahrscheinlich ist wieder mal ein untergründiges Mutterbild am Flattern, oder eine Feen-Tante, Kindergärtnerin, Grundschullehrerin, ihr habt doch eine Weile Ruhe gegeben, wer erlaubt euch, mich so zu inkommodieren? Wollt ihr mir beweisen, dass ihr überlebt habt? Ihr seid doch hin- und heranalysiert, durchtherapiert, also gebt Ruhe, oder gebt meiner Seele ein gutes Geleit. Wenn diese Aufgeregtheit ein notwendiges Durchgangsstadium ist, will ich es hinnehmen, demütig und wütend, bescheiden und jähzornig.

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Ich bin aufgeregt, weil ich neben aller Liebe dich zu brauchen meine. Wofür? Wandlung steht an, die Rentenschwelle naht, nicht abrupt, doch schleichend. Und ich weiß noch nicht, wohin ich mich wandeln soll. Ins Alte bricht manchmal Langeweile ein, zu viel Vertrautheit mit dem sich Wiederholenden. Ich bin nicht mehr so oft fasziniert von dem, was sich dem forschenden Blick am Menschen bietet.

Ich habe einen heimlichen Wunsch an unsere Gespräche: (ist das ungerecht, missbräuchlich, egozentrisch?) Aber ich hoffe, es geht dir genau so, und wir könnten einander darin begleiten: Ich fürchte die Zukunft nicht, noch beschäftigt der Tod mich nicht, aber sie ist dunkel, verworren, und damit auch beunruhigend. Da trittst du an mich heran, oder ich an dich, und neben vorsichtiger Verliebtheit spielt diese Hoffnung auf Weggenossenschaft im Alter auf einmal mit.

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Ein erbetenes astrologisches Kurzgutachten verheißt mir unruhige Monate für die nahe nächste Zeit wegen einem Saturndurchgang! Ich bin also gewarnt. Ich sei „von Widerständen und Blockierungen behindert“, lebte eine „widerstandsorientierte Energie“, hätte das Gefühl, „alles hinschmeißen zu sollen“, neigte zu „Durchblutungsstörungen und Stoffwechselträgheit“. Wenn alles so falsch ist wie das letztere, könnte ich beruhigt sein. Aber der Saturn saust nun einmal durch meinen Gemüsegarten und droht vielfältiges Unheil an, das sich aber auch als Herausforderung angeblich kreativ leben lässt. Da bekommt die Wandlung doch etwas von interstellarer Heftigkeit: Was droht mir da alles, für das ich dich heimlich um Hilfe bitte: „wegen äußerer Pflichten in der Willenshaltung überfordert – im Zusammenbruch der Willenshaltung Angst und Depressionen“; das Gefühl, „ohne Tüchtigkeit ungeschützt zu sein“, und deshalb: die dadurch „verdrängten Lebens- und Identitätsängste“ tauchen wieder auf. Das lass ich mir gefallen, wenn es nicht der „sporadische Heißhunger“, die „Darmkoliken“ oder gar der „Stillstand der Darmtätigkeit“ sein muss. Da hat Saturn seine körperlichen Vorboten noch nicht geschickt. Aber ein klein wenig Angst hat er mir doch gemacht, wider allen intellektuellen Unglauben. Löst er bereits Aberglauben aus? Doch er scheint nicht nur zerstörerisch, zuerst war ich ja doch erschrocken. Sondern: Saturn ist daher die Kraft, die uns Gelegenheit bietet, Irrtümer und Fehler vergangener Leben (ich hoffe nicht: früherer Leben) zu korrigieren, denn: „er zwingt den Menschen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen .“ Habe ich im Übermaß gemacht, „und sich in der. Gegenwart auf die Zukunft vorzubereiten.“ Trotz aller Zweifel an Saturns Macht: mein Seelen-Programm ist damit ganz gut erfasst. Also: Hilf mir bei der Wandlung, und lass uns das, was uns beide ergreift, liebevoll und stürmisch genießen. Es wäre schön, wenn die Leidenschaft ihr süßes Feuer dazutäte. Wir werden es zähmen, durch Zuneigung.

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Freud warnt mich unmissverständlich: Wenn man die „genitale Erotik in den Mittelpunkt des Lebens“ stellt, folgt: „dass man sich auf diesem Weg in bedenklichster Weise“ ……. vom gewählten Liebesobjekt abhängig mache und dem stärksten Leiden aussetze, wenn man von diesem verschmäht werde oder es durch Untreue oder Tod verliere.“ „Die Weisen aller Zeiten haben darum nachdrücklichst von diesem Lebensweg abgeraten….“ (In: „Das Unbehagen in der Kultur“) Hallo, du gefährliches Liebesobjekt, wirst du mich mit stärkstem Leiden versehren? Ich kann nicht so viel zusammensublimieren wie mein großer Ahn, also taumle ich wohl der Katastrophe entgegen. Bist du schon dabei, mich zu verschmähen? Oder nimmst du dir nur eine Schonzeit mit Anderen für dich in Anspruch? Ich bin jetzt viel mehr mit dir beschäftigt als du mit mir, das ist es ja gerade, was so zwickt. Wer mehr liebt, ist unglücklicher. Dabei weiß ich noch nicht einmal, ob ich dich erkennend liebe.

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Mein Computerhelfer hat mir gezeigt, in welchem Postfach deine inzwischen eingetroffenen Mails versteckt waren. Lauter verheißungsvolle kleine Episteln. Ich schäme mich über mein Misstrauen. Hatte ja fast schon Entsagungsgefühle vorbereitet und mich, eher spielerisch wohlverstanden, wieder den Kupplern aus dem Parship-Programm zugewandt. Ich wohne in Freiburg, und das Programm spukt dauernd Adressen aus, von liebesbereiten, partnersuchenden Einsamen in Ostbayern, Niedersachsen, Berlin, Nordrhein-Westfalen, zum Teil sogar mit Bild, teils verlockend, teils abschreckend. Ich will nicht mehr reisen, um erschöpft in einem neuen Bett zu landen. Man könnte von einer mittleren Krise sprechen mit dir sprechen, von der du gar nichts weißt. Jetzt, wo sie überwunden scheint, ist Aufatmen angesagt. Alles was du mailst, klingt sagenhaft plausibel,also: keine Angst. Mit meinen Gehirnwindungen ist etwas nicht in Ordnung. Ich hoffe, ich kann einen Teil davon unter Verschluss halten. Du lernst noch früh genug meine Abgründe kennen und sichten. Du hast behauptet, du hättest auch welche. Wir können uns ja mal ans Vergleichen machen.

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Eine nicht unbeträchtliche Angst in unserem Alter ist natürlich die: Ob Wandlung nicht unmerkliches Schrumpfen bedeutet. Die Beweglichkeit lässt nach, und damit auch die erotische. Ich ertappe mich bei kleinen Ungeschicklichkeiten, die, vor Zeugen begangen, mir beschämtes Unbehagen bereiten würden. Schon stolpere ich häufiger, wenn ich die Treppe im Haus hochgehe. Erfinde für den Beinahe-Sturz kleine alberne Entschuldigungen, die zuerst anonymen Beobachtern galten, und jetzt eben dir. Also bist du auch präsent, wenn ich stolpere. Schelmin. Meine schwindende Gedächtnisleistung wurde noch nicht, über das Normale hinaus, Thema unserer Verständigung. Auch du behauptest, vergesslich zu sein, „besonders bei Namen“. Ja, das kann man in unserem Alter gestehen, ohne rot zu werden. Aber was mich mehr plagt: Ich lese Bücher und behalte nichts! Du wirst mir ja sicher gelegentlich eines empfehlen oder leihen oder schenken. Wenn du dann nachfragst, was es mir gegeben habe, werde ich stammeln oder schwindeln. Ein unvergnüglicher Ausblick. Sich Wandeln als Weniger-Werden, Weniger-Können, Weniger-Behalten. Wir müssten unsere Gedächtniskapazitäten zusammenschalten. Mit Computern ist das bereits leicht zu machen. Ich hoffe, wir können dem Problem eine spielerische Note geben. Überhaupt spielen, ich bin ein ernster Mensch und möchte manchmal zahlen dafür, wenn mich einer zum Lachen bringt. Ich übertreibe. Aber das hat reingehauen, als die Parship-Frau (hinreißend blond, am Übergang zu einer veritablen Beziehung) sagte: ich sei ihr zu ernst und zu steif, das war nahe am Trauma. Das könnte noch öfter schmerzlich vorkommen in diesem Text. Sie, die schöne Blonde, hat aber zugegeben, dass wir uns an diesem Punkt wechselseitig durch Verlegenheit zu trauriger Hilfe kamen. Ich hatte sie nämlich heimlich als Nonne tituliert, gar als Äbtissin, die den scheuen Mönch beobachtet auf seine Qualitäten hin. Das lähmte uns beide. Noch einmal zur Vergesslichkeit: ich fürchte, ich könnte Dinge wieder vergessen, die dir besonders wichtig sind: die Namen deiner Kinder, die Ordnungen deiner Vorfahren, die Reihenfolge deiner Therapeuten. Ich brauche ein Generalpardon. Die Zukunft ist dunkel. Aber es waren drei Emails von dir da, frisch von gestern und heute.

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Du warst nicht sauer, dass ich vom Niederkämpfen meiner Eifersucht schrieb. Du hättest dich ja verfolgt fühlen können und schlussfolgern: Klammeraffen sind mir sowieso zuwider. Du hattest mal gesagt, du bräuchtest ein gelegentliches Ausreißen, Abhauen und Wiederkommen. Das muss ich lernen mir zuzutrauen, mache es aber wahrscheinlich genauso. Es passt zu unserem Störungsgleichgewicht. Hoffentlich brauchen wir nicht zu rasch Paarberatung. Vor sehr langer Zeit hat einmal ein Paartherapeut, als ich ein ausgefallenes Wochenende mit einer Freundin glaubte nicht ertragen zu können, die Hände über seinem Kopf zusammengeschlagen, über mich! Ich blieb stumm vor Wut und habe ihn gehasst. Fühlte mich grob in die seelische Schmuddelecke diagnostiziert, wo die Symbiotiker und die Anklammerer hausen, die keine Trennung ertragen und gleich Panik kriegen und gar vom baldigen Sterben reden. Na ja, damals suchte ich auch eine Retterin fürs ganz frühe Ungemach, Trennungschaos in unseligen Anfängen. Das hat er gemerkt und war entsetzt, die umklammerte Freundin atmete auf. Merkwürdig, was du alles hoch holst aus meinem Untergrund.

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Zwei ruhige Tage des Wartens habe ich vor mir. Genug Beschäftigung, genug Lektüre, genug Schnee. Ein bisschen Ruhe isst eingekehrt, aber ich bin noch immer das, was die Schwaben, und also mein Vater, schusselig nennen. Plötzlich fällt eine Vase um, ein Teller zerbricht, ich gieße zu viel Kaffee in eine Tasse und schaue betreten auf den kleinen See. Außerdem hat die Hand ein wenig gezittert, das liegt bereits außerhalb meiner kümmerlichen Willenskräfte. Still dasitzen wäre das Beste. Die Vergesslichkeit ist beängstigend. Den Postboten erwarte ich ungeduldiger als sonst, aber er bringt nur Reklame und Bankbelege. An ernsthafte Arbeit ist nicht zu denken. Die Sehnsucht schnappt sich Teile der Seele weg. Ich fühle mich wehrlos.

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Jetzt ist sie, soweit sie auf dich bezogen war, plötzlich verschwunden: dein Bild verblasst. Es muss ein Selbstschutzmanöver sein. Milde beängstigend und dumpf lebenserleichternd. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich dich lieben können werde, so weit weg bist du. Da ich in einem Buch über den letzten großen Krieg lese, wo ein paar kurze Feldpostbriefe zwischen den Paaren die Liebe zur fernen Frau, zum fernen Mann hätten erhalten sollen, staune ich, was schon drei Tage mit mir machen. Fast hätte ich die Zeugungsurlaube der Wehrmacht vergessen, die der Führer seinen Soldaten genehmigte. Haben sich die Feldkommandeure an der fruchtbaren Periode der Frauen orientiert? Meist dauerten die Urlaube nur wenige Tage. Selbst diese Perfidie wäre den Nazis zuzutrauen gewesen. Gut, du bist noch nicht unauslöschlich eingebrannt in meine Seele. Wir haben uns noch nichts gelobt und keine Ringe getauscht. Und trotzdem, oder deswegen, will sich die Seele schon gegen den Schmerz immunisieren und verwischt dein Bild. Nicht einmal Fotos haben wir ausgetauscht. Es ist alles noch so uranfänglich und kaum wahr. Ich bin gespannt, was meine aufgeregten, manchmal überspannten Zeilen beim Wiedersehn bewirkt haben werden. Dienen sie uns? Soll ich sie dir zeigen? Gleich oder viel später? Nach schonender Vorbereitung? Mit Scham und Ausreden? Weiß ich schon mehr über uns als du? Und trotzdem hoffe ich, dass das WIR auch dich umtreibt. Vielleicht sieht deine Intuition ja viel weiter. Wie feiern wir das Fest deiner Wiederkehr von der Reise?

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Ein schneereicher, sonniger Sonntag im März macht das Warten leichter. Der Vorfrühling ist erst einmal sanft begraben. Eine Meise donnerte ans Fenster und verschwand im Tiefschnee. Ich hoffte sie zu retten, aber sie war schon tot. Mit nur ein bisschen weniger Normalität in mir würde ich das für einen Wink, ein Omen, ein schlimmes Zeichen halten, aber ich kann mich gerade noch beherrschen. Eine tote Meise zerstört noch keinen Frühling und eine keimende Liebe. Bin ich schuld? Ich hatte sie mit einem Meisenknödel angelockt. Sie hing so zierlich, Köpfchen nach unten, an dem Plastiknetz. Gestärkt vom körnchenreichen Talg stürzte sie ins tödliche Glas. Es war so gut gemeint von mir. Aber gut gemeint….

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Der letzte lange Sonntagabend, bevor wir uns wieder sehen, bei einem Vortrag über Paarbeziehungen, von einem Therapeuten, dem es nicht gelang, eure Ehe zu retten. Aber du schätzest ihn trotzdem. Vielleicht hat er dir auch geholfen, dich zu befreien. Ich bin gespannt auf ihn, ein Stück deiner Geschichte ist zu besichtigen; eine andere als der so genannte Uraltfreund aus Honduras, der dich gerade besucht, und den du mir nicht zeigen willst. Wenigstens hast du ihn im Hotel untergebracht und nicht bei dir. Ich hoffe, er haut bald ab, und ich muss dich dann zurückerobern, weiß nicht, wie weit du abgedriftet bist. Ist er klüger als ich? Charmanter? Jünger? Weltläufiger? Lauter überflüssige Gedanken, aber der Abend ist lang, ich klimpere ein bisschen auf dem Klavier, schaue ein bisschen fern, und blättere im Buch eines Freundes, tröste mich, leicht neidisch, an seiner umwerfenden Klugheit. Nach manchen Rotweinen kann ich gut schlafen, manche von ihnen machen mich auch aufgekratzt. Ich habe vergessen, welchen von beiden ich getrunken habe. Im negativen Fall kann es drei Uhr werden, bis ich entnervt mich durch die Nachtprogramme gezappt habe. Die Domina am Nackedei-Sender will mir befehlen: Ruf An! Aber ich werde mich zusammenreißen und mich nicht auspeitschen oder anderweitig maltraitieren lassen. Als rein gebliebener Jüngling will ich dir wieder gegenüber treten. In meinem Hirn quellen Schnulzentöne auf. Wenn ich mich würdig fühle, habe ich vielleicht mehr Chancen bei dir. Das rede ich mir ein wie ein Pubertierender, der seine Charakterbildung von deinem Wohlwollen abhängig machen möchte. Jetzt schlaf endlich, hör auf dich zu wälzen!

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Endlich! Am Montag Abend sind wir zu besagtem Vortrag gegangen, wir haben gefremdelt. Auch als er quälend langweilig war – du fandest es nicht, er war ja euer Paartherapeut – brauchte ich lange, um deine Hand zu nehmen, dir tröstend über den Rücken zu streichen. Ich war dir im Schreiben viel näher gekommen als von Angesicht zu Angesicht. Wir brauchen trotz Rotwein mehr als eine halbe Stunde, um wieder zu einem halbwegs vertrauten Gefühl zu finden. Und beide waren wir erschöpft, aus verschiedenen Gründen, du von deinen Besuchen, ich von einem widerspenstigen Text, für den ich lange keinen roten Faden fand und schon aufgeben wollte. Obwohl ich mich vorbereitet hatte auf das Fremdeln, war es doch unheimlich: Was wollen wir voneinander? Vertraute alte Erinnerungen an Verflossene tauchten mit ziemlicher Geschwindigkeit wieder auf. Beinahe zufällig fuhr ich am erleuchteten Fenster einer früheren Freundin vorbei. Aber es war doch schön, die Erschöpfung nicht voreinander verstecken zu müssen. Und beide konnten wir, zögerlich und fast verschämt, ein Stück Vorfreue auf unsere geplante Reise zulassen. Sie winkt, halb lockend, halb drohend, in knapp fünf Wochen. Bis dahin kann ja noch viel passieren. So viel Zukunft, fast zuviel! Falls wir uns dann noch kennen.

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Mittwoch Abend, indisches Essen und indischer Tanz. Mein Fremdeln war noch stärker, ich haderte mit deinen schwarzen Klamotten zu deinem schwarzen Haar, dachte an meine schwarzen Großmütter, von Beruf Pfarrerswitwen, die eine lieb, die andere streng, gastlich beide. Wir wachsen an der Toleranz für unsere Müdigkeit. Die Musik ließ uns kalt, der Tanz war prächtig, aber ziemlich unerotisch, und die indisch-englische Einführung war reichlich unverständlich, sodass viele Tanz-Gesten schön aber unverstanden blieben. Ich saß noch viel steifer als am Montag neben dir und war froh, dass auch du nach der Pause gehen wolltest. Das Herz schwang nicht mit, weder mit den Tänzern, noch mit uns. Danach beim Wein haben wir uns etwas gelockert. Aber wir waren zu klug miteinander, es war nur ein höchst subtiler Flirt, verborgen im Austausch von beruflichen Nachrichten, Vorlieben, Plänen, Erfahrungen, biographischen Hintergründen. Ich beobachtete dich: ob ich je erotisch von dir angezogen sein würde. Aber dann blitzt immer wieder, durch die Maske der Klugheit und der Müdigkeit dein Strahlen kurz auf, und ich frage mich: Warum bist du so klug geworden, dass dies so im Vordergrund steht? Es gelang mir, deine schwarze Witwenkleidung anzusprechen mit einer Ich-Botschaft, wie es sich gehört: eben nicht wertend: „Ich habe ein Problem mit dem dich gänzlich einhüllenden Schwarz“, nannte meine Großmütter und die dunklen Nonnen meines Kindergartens und noch einige weitere traumatisierende Dunkelfrauen in meinem Leben, und du warst nicht beleidigt, sondern erwogst friedfertig, fast amüsiert, mit mir deinen Kleiderschrank durchzuprüfen, gar vor mir manches auszuprobieren:. „Ich habe auch helle Sachen.“ Und schon huschte meine Phantasie dankbar über deinen aufgehellten Körper und sah den erotischen Frühling kommen, obwohl die Wetteransage erneut Schneefall oder Schneeregen mit Hochwasser prophezeit hat. Wir üben zusammen diskret zu gähnen, nicht weil wir uns anöden, sondern weil wir nach des Tages Mühen etwas übermüdet sind. Aber mein Wunsch war deutlich, es wäre etwas mehr Flirt möglich. Zum Abschied ein moderatestes Wange-an-Wange-Küsschen mit vager Verabredung fürs fleißige Wochenende: du mit Arbeitsvorbereitungen, ich mit Kassengutachten. Übel, sehr übel ist mir. Zuhause zur Beruhigung einen heißen Plantagentrank getrunken. Jetzt endlich schlummerreif. Ciao! Später zweiter Abschied am PC.

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Als ob die Gefühle verschwunden wären, nicht mehr greifbar, eine quälende Gleichgültigkeit. Was wollte ich von dir? Bin ich auf mich selbst hereingefallen, weil ich einfach nicht mehr allein sein wollte? Habe ich etwas beschleunigt, was mehr Langsamkeit verlangt? Eine Vermischung der inneren Bilder, die ich erst gemächlich hätte auseinander sortieren sollen? Verdammte Zweifel. Der Körper fehlt in unserer lockeren Zweisamkeit. Wir lassen ihn noch draußen, um nicht zu schnell gebunden zu sein. Ich erzählte dir von einer anderen früheren Freundin und schwarzer Witwe in dunklem Gammellook, die mich prüfen wollte, ob ich sie auch möge in ungefälliger Aufmachung und ohne die üblich „kokette Selbstanpreisungkleidung.“, wie sie es abfällig nannte. Du fandest das unfair und hast behauptet, dass du mich nicht prüfst mit Witwenschwarz, das du elegant nennst.. Das habe ich dir nicht geglaubt, war aber doch verwirrt:. Ich prüfe dich dauernd, und mich dazu, und uns erst recht. Und leide an den Zweifeln und der verflogenen Sicherheit. Wir nehmen zu leicht Zuflucht zu unserer Klugheit und sind so unsicher, was die Wünsche der Haut angeht. In vier Wochen gehen wir auf unsere Einzelzimmerreise. Ich habe Angst, dir Unrecht zu tun. Und mir auch. Es ist fünf Uhr in der früh, das Aussprechen hilft ein wenig gegen die Schlaflosigkeit. Es ist noch nicht einmal Morgengrauen. Der unregelmäßige Herzschlag tut weh.

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Einen Tag später. Ich versuche das Grübeln durch Arbeit am Schreibtisch zu verscheuchen. Vergeblich. Der Verdacht sitzt tief, dass ich die Zurückweisung der Parship-Frau noch längst nicht verdaut habe. Ich könnte dich zu rascherer Ausheilung der Wunde aufgesucht haben. Frauen lassen sich länger Zeit, um mit einer Trennung umzugehen. Sie hassen Mischgefühle und die Verwirrung der Gesichter und der Leiber und der Seelen. Ich habe die Kränkung damals schlecht ertragen, schaue dich fragend an, ob ich dich schon erkennen kann. Erkenne dich als fremd, fast vorwurfsvoll, als „nicht das alte Bild“, ein vages neues. Ich wage dich kaum anzurufen, wo all dies so bloß liegt, so mitten im Verdacht der Untreue nach beiden Seiten. Ich wäre ja auch böse, wenn die Verflossene sich so rasch wie ich jetzt einem neuen Verehrer zuwenden würde. Ich bin ja unersetzlich, sagt der erotische Größenwahn. Dabei traue ich ihr, aus Paritätsgründen zu, dass sie sich ebenfalls ganz rasch zu entschädigen versucht. Sie hatte ja auch zu trauern, weil so vieles mit mir für sie freundschaftlich-angenehm war. Aber es kann auch sein, dass sie sich ein Jahr Zeit lässt mit einem neuen Versuch der Liebe, und sich so lange mit Freundinnen tröstet. Wenn ich gemein bin, wünsche ich ihr eine lange Trauerzeit und mir raschen Erfolg. Dann schicke ihr eine Verlobungsanzeige. Nicht wirklich. Nur eine gemeine Phantasie, als billiger Trost.

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Am Nachmittag. Die Arbeit am Schreibtisch hat gut getan. Erfolgserlebnis. Sinnhaftigkeit. Vorsichtiger Stolz. Hausaufgaben geschafft. Leichte Entspannung.u erfreust mich mit deiner frohen Bereitschaft, dich zu Kino und Vorträgen einladen zu lassen. Späterer Spaziergang nicht ausgeschlossen. Wie für mich durch dich, so belebt sich auch dein Leben durch mich. Wir müssen nur mit der tiefer liegenden Müdigkeit umgehen lernen. Uns nicht dafür schämen. Das Altern akzeptieren, die letzten Arbeitsjahre. Du willst deinen Beruf noch zwei Jahre betreiben, dann zum frühestmöglichen Termin aussteigen. Ich kann meine Tätigkeit ausschleichend beenden, hoffe, dass mir noch Alternativen zum Heilen einfallen. Das Gebrauchtwerden gehörte und gehört zu meinem Dasein. Vielleicht leiden wir beide an einer gewissen Auszehrung, ein pathetisches Wort, aber der ewige, verantwortliche Umgang mit schwierigen Menschen. macht leicht burn-out-verdächtig. Immer die therapeutische oder pädagogische Verwaltung von Menschen. Schon das Wort verrät manchmal untergründigen Überdruss. Aber jetzt ist es klar heraus. Dabei lieben wir unseren Beruf, trotz der Ermüdung. Das könnte zu einer brauchbaren Solidarität führen, zum pfleglichen Umgang mit Freizeit und Ferien. Wir haben beide einen Gebraucht-Werden-Wahn und könnten gemeinsam in kleinen Schritten aussteigen. Bei diesen Gedanken an dich lichtet sich das umwölkte Gemüt.

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Zwei Tage später. Wir sind beide unbeholfen im Flirten, das verstärkt sich wechselseitig. Und sind höflich, geistreich und fürsorglich und dauernd leicht befangen, sprechen nicht über unsere Beziehung, obwohl es längst ansteht. Du hast dir einen bunten Schal zugelegt zu deinem Schwarz und dir einen schwarzbraunen Pullover angezogen, für mich, den ich mit etwas übertriebenem Humor begrüße. Ist der Pullover, wie beim halbvollen-halbleeren Glas nun mehr schwarz oder schon ein bisschen braun, kann ich das schon als Entgegenkommen begrüßen oder soll ich leicht enttäuscht sein, und wo ich mich so frage, bin ich’s schon: in wie winzigen Schritten du eine Veränderungen für mich vornimmst? Ich gelobe dir, dass du auch an mir herummäkeln darfst, wenn dir etwas an meiner Aufmachung nicht gefällt. Im Übrigen war ich innerlich abgekühlt in der Furcht, die Enttäuschung über die Parship-Frau liege noch nicht lange genug zurück, um ausgeheilt zu sein. Was wäre, wenn wir über Freundschaft nicht hinausfänden? Du hast eine merkwürdige Geschichte erzählt über Frauen, die nicht sicher sind, ob sie wirkliche Frauen sind, und brachtest sie mit nahen Freundinnen und sogar mit deinen Cousinen in Zusammenhang. Wäre ich in Lage, dir diesen Urzweifel zu nehmen, dir zu strahlender Selbstgewissheit zu verhelfen? Und dann befrage ich mich mit peinlichen Gefühlen, ob ich mich als richtigen Mann bezeichnen darf. Vielleicht sind wir in dem Bereich zwei gleich mäßig kühne Helden, mit mäßiger erotischer Ausstrahlung? Das Schlimmste wäre ein Vorliebnehmen, aber dafür ist meine Zuneigung schon zu sehr angewachsen. Ist sie noch kündbar, wenn die Zweifel überhand nehmen?

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Nach einem Kinobesuch: „Brokeback Moutain“, zwei halbschwule Cowboys, die weder im heterosexuellen Dasein noch in einer homosexuellen Lebensform ihr Glück finden. Zweieinhalb Stunden wunderschöne Bilder und hochverdichtete Emotionen. Ein Streifen, dem man sich anvertrauen kann, weil er die Grenze zum Kitsch nicht überschreitet. Der Film hat uns geholfen, wieder zusammen zu finden, wohlgemerkt auf der noch schmalen Basis vorsichtiger Nähe. Zwei Stunden saßen wir reglos nebeneinander. Du hast ab und zu gefragt, ob ich schlafe, weil mir das leicht passiert, im Kino oder in der Oper, aber ich war hellwach, spürte mit meinem Ellbogen deinen Ellbogen, mit leicht wechselndem vorsichtigem Druck und ebenso vorsichtigem Wieder-Abrücken. Aber nach zwei Stunden, bei einer dramatischen Stelle, hast du kurz deine Hand auf mein Knie gelegt, es war eine Geste großer Vertrautheit, wie schutzsuchend, schutzgebend, weil dir die Gefühle durchzugehen drohten. Wie dankbar war ich, dass du meine Starrheit durchbrochen hast. Im Kino fasst man sich leicht mal an in der halbdunklen Nähe, das wollte ich aber nicht, ohne zu wissen, wie dir zumute war, nun hast du meine Unsicherheit auf eine charmante Weise durchbrochen und der Abend war fast schon gerettet.

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Beim Wein danach konnten wir zum ersten Mal andeutungsweise über unsere Beziehung reden. Die Frau eines verstorbenen Freundes rief an, mit dem du bis vor etwas mehr als einem Jahr eine Liebesbeziehung hattest. Du warst also nicht nur keusch während der Jahre seit deiner Scheidung. Er starb, als ihr gerade durch eine Reise die Liebschaft festigen wolltet. Er „vergaß“ sein angeschlagenes Herz rechtzeitig zu stärken durch die nötigen Medikamente. Er verdrängte es, sagst du. Und ich habe ein weniger schlechtes Gewissen wegen meiner kürzeren Liebesfristen. Ich bin ein wenig eifersüchtig und höre doch erfreut, dass du nicht nur eine schwarze Witwe mit rotem Schal bist. Du bist erstaunt, als ich sage: das Schwarz wirke auf mich mit der kräftigen und bestimmten Botschaft: Rühr´ mich nicht an! Nach dem zweiten Glas Wein grübelte ich darüber, wie ich das Gespräch auf unsere Beziehung bringen könnte. Schließlich hattest du deine Hand auf meinem Knie und lehntest dich ein wenig herüber, fast wie um dich anzulehnen. Also kam ich noch einmal auf das Thema schwarz und auf die frühere Freundin, die mich prüfte, ob ich sie auch im schwarzen Gammellook lieben könnte. Sie war sich ihrer Weiblichkeit noch unsicherer als du, und beim Wort prüfen gelang mir der Übergang zu uns beiden. Ich fragte dich, woraufhin du mich prüftest, weil ich ja unlängst bei einer erotischen Prüfung durchgefallen war, du weißt schon: die Parship-Lady. Fast heftig meintest du: „Ich prüfe dich nicht.“ Ja was denn sonst, ich tus doch auch! Du bestandest darauf, dass du nur „hinfühlst“, mich auf dich wirken lässt, und noch so ein paar milde Worte, aber „alles andere als prüfen.“ Bedeutet Hinfühlen bei den Frauen das Prüfen? Prüfen sei so streng, wie in der Schule, nach Noten, in unserem zwischenmenschlichen Geschehen ganz unangebracht. Also sollte ich mein genaues Hinschauen, soweit ich dazu noch fähig bin, auch nicht mehr Prüfen nennen. Das alles klang sehr liebevoll, unaufgeregt, selbstverständlich und weitgehend ungefährlich, fast verdächtig harmlos. Aber ich bin eben ein misstrauisch gewordener Single, dem man ab und zu die Hand aufs Knie legen muss, damit er zu einer relativen Normalität zurückkehren kann. Vorläufig keine Prüfung! Nur hinfühlen. Das neue Zauberwort.

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Auf den ersten, zweiten und dritten Blick bist du überhaupt nicht mein Typ. Ich habe keine Phantasien mehr, mit dir zu schlafen, oder Vorformen davon. Ich stelle mir deinen Schoß nicht vor und werfe nur die höchst verstohlene Blicke auf deinen Busen, der unter dem verdammten Schwarz schlummert, verschwindet, unwirklich wird. Er prägt nicht dein Aussehen und führt eine eher beiläufige Existenz. Wahrscheinlich müsste ich ihn ins Dasein streicheln, damit er sich willkommen fühlt auf diese kalten Welt. Mit dem Schoß ist es so: es gibt Frauen, da interessiert man sich für den ganzen Körper, egal wie verhüllt er ist. Man stellt sich den Busen vor und den Schoß und seine umkränzte Öffnung. Bei dir habe ich Angst, dein Schamhaar könnte so rabenschwarz sein, dass ich es mit dem Haupthaar der Medusa verwechsle. Da kannst du sehen, was für ein tapferer Held ich bin. Dabei weiß ich nicht einmal, welcher Held bei der antiken Hexe Erfolg hatte. Ich weiß, dass du in der Liebe aufblühen kannst, aber ich weiß nicht, ob ich selbstsicher genug bin, oder gar draufgängerisch, oder liebhaberisch, um das zu erreichen. So zeigst du mir meine Grenzen und verstärkst meine Schüchternheit. Und ich kehre leise grollend zurück zu den kleinen Schritten der Annäherung, mit einer leichten Wut im Bauch über die lästigen Zweifel. mit denen ich dir schüchtern Unrecht tue. Und trotzdem bin ich ja halbvoller Hoffnung, die Spirale ginge aufwärts. Ich verstehe jetzt die Parship-Lady besser, die rechtzeitig und bestimmt gemeint hat, ich sei nicht ihr Typ. Sie war sich ganz sicher. Wie lauten denn deine Zweifel an mir, angeblich prüfst du mich ja nicht. Nenn´ es wie du willst, du machst dir auch deine Gedanken und Bilder und lebst ab und zu mit Zweifel und Angst. Aber immerhin willst du mit mir verreisen. „Falls wir noch reisen wollen.“, sagst du, mit deiner Portion Skepsis.

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An unserer Beziehung ist fast nichts geschenkt, außer einer erheblichen Sympathie in der eher unerotische Fasson. Trotzdem würde ich dich jetzt gern anrufen an deinem anderen Arbeitsort, schwanke aber darin, ob es dir recht wäre, oder ob du dich verfolgt fühltest. So schleiche ich mich vom Hörer halt wieder an die Abendlektüre. Wenn ich das Buch halten muss, drehe ich schon keine Däumchen. Das mit dem Schoß musst du nicht so ernst nehmen, wahrscheinlich werde ich hingerissen sein ob der anmutigen Schwärze. Und wann wirst du von diesen Gedichten erfahren? Es mag hoffentlich einen Zeitpunkt geben, wo ich sie dir vorlese. Aber bis dahin müssen wir weiter kleine Schritte machen, und dann ein paar große. Bei dem Gedanken werde ich doch ein wenig lüstern. Ich hoffe, das freut dich, ohne dass du Genaueres weißt von meinen nachtschwarzen, rosaroten, frühlingsgrünen Jünglingsgedanken. Bei der Parship-Lady fing ich an auf Wolken zu gehen. Aber die waren ein trügerischer Untergrund für meine Immer leichtsinniger werdenden Liebhaber-Schritte. Ich habe die Wolkenlöcher nicht bemerkt und bin auf winterlich gefrorenen Boden abgestürzt. Mit dir liegt halb aufgetautes Erdreich unter den Füßen, mit verstreuten Schneefetzen und Glatteis auf den Straßen, und den kleinen weißen Blümchen im Garten, für die die Nachbarn unter dem Namen Schneeglöckchen schwärmen und auf einmal doch noch an den verspäteten Frühling glauben. Jedenfalls haben sie schon ihr Gartengerät bereitgestellt, und Lidl und Aldi buchen in der Zeitung Sonderseiten für Grabschaufeln, Laubrechen, Heckenscheren, Rasendünger usw. Zwischen uns ist höchstens Tauwetter, das kommt nun mal vor dem Lenz. Aber eines ist seltsam: manches anscheinend ganz unschuldige Wort nimmt doch plötzlich in deiner Nähe einen fast frivolen Klang an: Blumenzwiebel, als Symbol für Busen, oder Kräuter: Liebstöckel für Penis, Rosmarin für Liebesduft, oder Immergrün, Tausendgüldenkraut, ein rechtes Durcheinander von Namen, die sich eine liebessüchtige Aura zulegen, als wollten sie mitreden in unserem schüchternen Dialog, den ich mit meinem heimlichen Monolog am PC begleite. Selbst die schimmernden Tannenzapfen im Schnee scheinen augen- oder schuppenzwinkernd mitreden zu wollen.

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Es gibt massive Bremsfaktoren in unserer Beziehung. Die deinen kenne ich nicht, die meinen sind mir zur Hälfte geläufig: Ängste und Zweifel, vor allem die Unsicherheit, ob ich dich wirklich meine, erkenne, ersehne, zu lieben beginne. Dass ich weiß, dass es vielen so geht, ist nur ein kleiner Trost. Nicht allen ist das siegreiche Auf-einander-Zurennen oder gar Taumeln, Fliegen, Gleiten, Schwimmen vergönnt. Viele vorläufig stark Berauschte streben auch bald wieder auseinander. Sie haben zu viel frühe Lustbarkeit ineinander entdeckt. Deshalb will ich weitergehen auf diesem abenteuerlich schwankenden Feldweg, der über unwegsames Gelände führt. Wir müssten uns gegenseitig mehr ermutigen, tun es auch dann und wann, mit vergleichsweise winzigen Gesten und einem kurzen Aufleuchten der Augen, auf das wir noch nicht festgenagelt werden wollen. Es soll ankommen und doch fast nicht bemerkt werden, als Seelennahrung für den unbewussten Teil der Sehnsucht. Denn dort sammeln sich Nektar und Ambrosia, aber nicht zum alsbaldigen Verzehr bestimmt, sondern gedacht als Notration für schwierige Phasen, oder als Festmenü, für Zeiten des Glücks und der überwundenen Dürre.

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Drei Tage bist du unerreichbar, und schon vagabundiert mein Geist In frühere, erotisch unkompliziertere Gefilde. Aufrichtigkeit ist schwierig, und ich frage mich, ob und wann du diese Zeilen je lesen wirst, ohne wütend oder verzweifelt zu werden, oder einfach nur abgestoßen. Dabei sind es doch scheue Liebeszeilen. Könntest du nicht auch froh werden über mein Feiern und Grübeln? Ich besitze noch ein Bild, leihweise, ein erstaunlich gutes Gemälde einer früheren Geliebten, sie soll Gerti heißen, aus ihrer Hand, das im Wohnzimmer hängt. Als ich sie anrief, gut ein Jahr nach unserer Trennung in bösem Streit, gurrte sie wie in den vergnüglichsten Zeiten und stimmte sofort zu, als ich sie zum Essen einlade, in unser vertrautes Lokal, Ausgangspunkt für ausschweifende Abend oder halbe Nächte, die wir verharmlosend Kuscheln nannten. In diesem Gurren steckt so viel Verlockung. Sie hätte ja auch auflegen können. Nun bin ich also verabredet mit ihr, werde wie gewohnt an ihrer Haustür klingeln, und was sollte mich hindern, sie wie eh und je in den Arm zu nehmen und unvermeidlicherweise Busen und Schoß zu spüren, neben der Wange, die sie unnachahmlich zum Kuss bietet. Es ist ein Rückfall der mittelschweren Art. Um mir mildernde Umstände zu sichern, sage ich mir: So werde ich die langsame Annäherung an dich besser ertragen. Von weiblichen Lesern erwarte ich Schimpf und Schande. Aber ich will mir einfach zubilligen: ich will mag mich nicht schämen darüber wie ich bin. Ich habe genug zu tragen an mir. Immer schon wollte ich ihr voll Dankbarkeit sagen, dass ich solche erotischen Freuden wahrscheinlich nie mehr finden werde in meinem ungeordneten Leben. Es gibt eine erotische Dankbarkeit, die ganze nahe an die Liebe heranreicht, auch wenn es eine Liebe ist, die nicht das ganze mögliche Zusammenleben umfasst. Wir haben nie eine ganze Nacht zusammen verbracht. Stets hat uns ein Gefühl des Genug wieder auseinander getrieben, ein jeder in sein wieder einsames Bett. Deshalb habe ich auch nie herausgefunden, ob mein Schnarchen liebesverträglich ist.

Du, nichts ahnende Freundin, bist wahrscheinlich in deine Phantasien verstrickt, umkreist mich, wie ich dich, in vorsichtigen Bildern. Ich gehe noch einmal zurück in eine versunkene Landschaft. Dann kehre ich zurück auf den weniger blühenden Boden unserer - wie karg und angestrengt das klingt: Beziehungsarbeit. Ich schätze dich, weil du mit mir an unserer Zuneigung arbeitest. Mit Gerti war es ein fast arbeitsfreies, aber nicht zukunftsträchtiges Paradies. Also sei mir nicht böse, du nichts Ahnende, bis du dies alles dereinst einmal in meinen Armen liest und weinst und tobst und strahlst und mir um den Hals fällst. Die Mitternacht ist längst vorbei.

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Am andern Morgen fast die Arbeitstermine verschlafen. Eine niederschmetternde Müdigkeit den ganzen Tag mit leicht depressivem mahnendem Unterton. Weder Kochen noch leichte Gartenarbeit noch Klavierspiel verhalfen mir aufs Pferd. Du gehst auch am frühen Abend noch nicht ans Telefon, ich weiß, es ist heute dein strengster Tag, einer von denen, die man ohne Mittagspause bewältigen muss. Vielleicht sitzen wir zwei Müden noch am späteren Abend zusammen und teilen die Erschöpfung. Meine Müdigkeit straft mich vielleicht für den Konflikt, den ich mir mit dem Anruf an Gerti eingebrockt habe. Dabei will ich vor allem dem Abschied vor fast zwei Jahren endlich eine erträgliche Form geben, er hing mir formlos nach in der Luft, mit ihren Verwünschungen im Ohr, komisch und skurril fand sie mich, um besser los zu kommen.

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Nach einem strahlenden gemeinsamen Langlauftag. Du bist endlich einmal bunter angezogen, in Verbindung mit der leuchtenden März-Sonne ist das ein versöhnlicher, hoffnungsvoller Anblick. Schön ist, dass du meinen leichten Spott gut ertragen kannst. Du wolltest dich ja auch prüfen, was das Schwarz bedeutet. Im hellen Sonnenlicht sahen deine Fältchen tiefer aus. Sie gemahnen mich an mein Alter, und dabei suche ich ja Verliebtheit und Jugend bei dir. Nicht nur! Ehrlich. Wir saßen, in meterhohem Schnee noch, eine Stunde in der Sonne auf der Bank und schwiegen oder ratschten. Ich verwende diesen Ausdruck zum ersten Mal in Verbindung mit dir. Ein angenehmes Gefühl. Leider bin ich schweigsamer als du: die bedauerliche Eigenart professionelle des Berufs-Lauschers.

Deine Ski liefen schneller als meine, das ist für einen partiellen Macho gewöhnungsbedürftig, es ließ sich aber lösen. Du erzähltest, fast beiläufig, dass du vor einem bestimmten Männerthema in deiner Therapie davongelaufen seist. Aber in der Liebesbeziehung, die vor mehr als einem Jahr durch den Tod des Liebhabers endete, habest du alles nachholen können, einschließlich dem lustvollen Nachholen von Weiblichkeit und Körperfreuden. Nun weiß ich also, dass du verwöhnt bist, was die Liebeskunst angeht.

Ich schätze, es ist uns, natürlich noch wortlos, ein wenig bang, welche Freuden wir uns werden bereiten können. Stürmisch verliebt in dich werde ich vielleicht nie sein. Die Männer, sagst du, mussten immer viel besser sein als dein Vater. Als du das gesagt hattest, ging deine Hand zum zweiten Mal seit wir uns kennen, zu meinem Knie, um mich zu beruhigen über eine unmögliche Konkurrenz. Deine genauen Worte fallen mir nicht mehr ein, aber ungefähr so: du kannst ganz beruhigt sein; gemeint schien mir: um wie viel gereifter du inzwischen die Liebe angehst, nicht mehr so bedürftig nach aufschauender Bewunderung. Ein leichtes Ziehen in meiner Seele hinterließ es doch. Wieder zuhause bei mir mit dir konnte ich mit einem leckeren Gericht Punkte machen, Lammleber mit Äpfeln, Zwiebeln, Pilzen und Mangold. Ich hoffe, es war nicht der häusliche Softy, dem du dabei auf die Spur kamst, nein, deine Dankbarkeit galt tatsächlich einem Mann, der kochen und servieren kann. Ich war dir dankbar, dass du es dir, ohne bedrängendes Hilfsangebot, während ich in der Küche war, auf der Couch mit der Zeitung bequem machen konntest. Als es dann noch Kuchen und Tee gab, schienst du ehrlich begeistert, sodass ich dem liebevoll dargebotenen Erfolg voll glauben konnte. Das Zusammensein mit dir ist jetzt unbefangen, unverkrampft, fast lässig!

[... , es folgen im Buch Kapitel 35-64.]

Der Author ist zu Lesungen bereit!

Rezension: Literaturprofessor Carl Pietzcker

Ich weiß nicht einmal, ob ich mich schon nach dir sehnen darf, so kurz ist unsere Beziehung. Du bist langjährig eheerfahren und spät befreit, vielleicht beschädigt; hast dir drei Jährchen Zeit gelassen nach der Scheidung, bevor du erstaunt mein Erstaunen über dich zugelassen hast. Meine letzte Geliebte war jünger als du, jugendlich und knackig, obwohl schon Großmutter (S. 5).

Zögernd, vorsichtig und doch provozierend beginnt dieses männliche »Ich« sein Selbstgespräch, ganz so, als spräche es zu seiner doch abwesen­den Geliebten. Schon bald wird es sich als sein eigener Autor zu erkennen geben: als Tilmann Moser. Ein gealterter frauen- und therapieerfahrener psychoanalytischer Single protokolliert wie im Tagebuch, freilich in leicht rhythmisierter, in Zeilen gebrochener Prosa, die Annäherungen, Begeg­nungen und Entfernungen dieser beiden auf ihrer Suche nach Liebe, vor­allem aber seine eigenen Phantasien, Gefühle und Gedanken, deren Auf­tauchen, Verblassen und Wechseln - imaginierte Szenen vertrauensvoller Gegenwart der zaudernd Geliebten, eingeschlossen im Bewusstsein des einsam Schreibenden. Schon diese Eingangszeilen lassen spüren: Dieses Ich ist seiner Gefühle nicht sicher - sehnt es sich schon?· Ist sein Sehnen erlaubt? Es lebt nicht im idealisierenden Rausch erster Liebe, sondern sieht sich nahezu gefühlsfrei in einer »Beziehung-, Und aus Distanz spricht es der Geliebten wissend und abstrahierend dann auch ihre Ver­gangenheit zu, vermutlich besorgt, ob mögliche Beschädigung Liebe überhaupt zulasse. Doch dann gesteht es ein Gefühl, sein »Erstaunen über dich«, nicht allerdings, ohne alsbald im Vergleich mit der knackigen letzt­vergangenen Geliebten weiteren Abstand aufzubauen - eine Provokation, auch für Leser und Leserin, die das im Liebesdiskurs immer noch skanda­löse Wort »Großmutter« sogar noch verstärkt. - Um die romantisch ab­solute Liebe vergangener Tage geht es hier nicht. Es geht um den Liebes­versuch eines alternden Mannes unserer Zeit, der sich und seinen Lesern nichts vormacht und das, was er an Sehnsucht, Leiden und Ungenügen er­fährt, berichtet, ohne sich hierbei zu schonen. Das auszuhalten helfen ihm und seinen Lesern die Lust am Spiel mit der Sprache (»erstaunt mein Er­staunen [...] zugelassen«), ein zuweilen onkelhaft behaglicher Humor (»drei Jährchen«), präzise Beobachtungen und psychologisches Wissen.

Schon früher hatte Tilmann Moser in seinen psychoanalytischen Schriften sich selbst ausgestellt und, indem er von sich, seinen Leiden, seinen Wünschen und Ängsten schrieb, sich zum Exempel von Allgemei­nem gemacht, das seine Leser emotional und denkend an ihm erfahren und womöglich als eigenes erkennen konnten: 1974 mit Lehrjahre auf der Couch Nutzen und Nachteile psychoanalytischer Therapie, 1976 mit Got­tesvergiftung die psychischen Folgen christlicher Sozialisation und 2004 mit Bekenntnisse einer halb geheilten Seele Erfolg und Grenzen der Psy­choanalyse. Es waren Gratwanderungen zwischen Preisgabe seiner selbst und Anstoß zur Selbstaufklärung der Lesenden über sich selbst, Grat­wanderungen zwischen eigenem peinlich Privatem und gesellschaftlich peinlich Privatem. Sie gelangen; hiervon zeugt die Resonanz dieser Bü­cher. Nun aber wagt er sich an die Liebe und ihre Gefühle, unser zumeist noch immer verletzlichstes und am ängstlichsten gehütetes Privates. Kann das gut gehen? Ich meine schon; sein Schreiben unterm Schutzmantel der Sprachlust schafft lebensfrohen Abstand von angesprochenem Schmerzt und das im Selbstgespräch eingeschlossene Sprechen zur geliebten Frau erspart Angst, zurückgewiesen und womöglich verraten zu werden. Zu­gleich aber verlockt diese Technik. Verborgenes zuzulassen, und: Sie schafft Szenen zwischen Ich und angesprochenem Du, zwischen fühlen­dem, sich beobachtendem und sich aussprechendem Ich, Szenen, in denen der Autor aus Abstand auf sich selbst blickt und doch auch so bei sich selbst bleibt, dass er sich seine Wahrnehmungen, seine Ängste und sein Glück erschreiben kann. Es sind Szenen, die es den Lesern erlauben, sich zu ihnen von außen und innen zu verhalten, sich in sie einzufühlen, ohne sich peinlich bedrängt zu fühlen, und sie so dann vielleicht auch in der einen oder anderen Hinsicht als eigene zu erfahren und sogar zu reflektieren.

Das Büchlein führt zu zaghaften Annäherungen über Zurückzu­cken, Ausweichen, allmähliche Vertrautheit, Schwinden der Gefühle, Sehnsucht, verhaltene Zärtlichkeit, Angst, sich zu öffnen, Angst vor Fremdheit, aber auch vor Nähe, hin zu Erstarrung und erneutem Heran­tasten, schließlich zur immer wieder erwogenen Übergabe jener Zeilen, welche die Lesenden nun in Händen halten, an die geliebte: Frau und zu deren entsetztem »Ohne mich!« (S. 92):

Deine Empörung schlug über mir zusammen: »Bist du zufrieden mit deiner Beute, mit deiner Ausbeute? Wie kann einer fühlen und gleichzeitig protokollieren?« (S.90).

Liebe, Hass Trennung. Das Typoskript verharrt ein Jahrzehnt in der Schublade, wird dann aber doch veröffentlicht: als »Dokument einer Lie­be« (S. 95).

Wir gingen tief verstimmt, ja verzweifelt auseinander. Kann es eine Wiederfinden geben? (ebd.)

All dies ist hier ohne weiten Spannungsbogen inszeniert; die Aufmerk­samkeit, die Intensität und mit ihr die Spannung gelten den jeweils für sich stehenden, in achtundsechzig Abschnitten inszenierten einzelnen Si­tuationen dieses Liebesversuchs. Es sind Situationen, in denen dies Ich immer wieder sich, die Geliebte, sie beide, ihre Gesten und Gefühle be­äugt. prüft und reflektiert. Es fragt sich, was in ihr vorgeht, begrüßt und bezweifelt seine eigenen Motive und Gefühle, wird traurig, wenn ihm das Bild der Geliebten und seine eigene Liebessehnsucht entschwinden, trau­rig sogar, weil es sie nicht vermisst; es ist unsicher, ob es sie zu lieben be­ginnt, ja lieben kann: »Verstohlen mustere ich deine Fältchen und frage mich: / werden sie mich verschrecken oder milde stimmen?« (S. 5). Es fühlt sich gekränkt und geht dem nach, es spürt, wie ihr schwarzes Kleid es abstößt, und analysiert dies bis zurück in die eigene Kindheit. Es hofft, durch sie lebendiger zu werden, erhofft Erlösung aus seiner Erstarrung, erschafft sich im Schreiben imaginäre Nähe, genießt und bezweifelt sie. - Das lässt an die Pietisten des 18. Jahrhunderts denken, die sich ihres Got­tes, der ihnen aus der für sie objektiven Welt verschwunden war, nun sub­jektiv in ihren Gefühlen zu vergewissern suchten, ihm in all deren Fein­heiten bis ins kaum Wahrnehmbare nachspürten, beglückt, wenn sie die Gegenwart dieses Gottes fühlten, bei Gefühlsleere aber verzweifelt über dessen so erfahrene Nichtexistenz. An der Stelle jenes Gottes begegnen wir hier nun der geliebten Frau und der Liebe.

Wem solche Liebesversuche übersensibel, übertrieben, ja krankhaft oder gar komisch erscheinen, der mag bedenken, dass sie, so abseitig und privat sie scheinen mögen, doch gesellschaftlich repräsentativ sein könn­ten: dass die wachsende Zahl liebessüchtig-liebesflüchtiger Singles das, was sie sonst nur erleiden, was ihnen also schlicht geschieht, hier benannt und szenisch gestaltet erfahren und vielleicht auch reflektieren könnten. Der in Therapie und Selbstanalyse geschulte Blick des Analytikers, der sich selbst rücksichtslos bis hinein ins kaum noch Spürbare durchforscht, gestattet es ihnen, im fremden Gewand Anteilen ihrer selbst zu begegnen, wenn sie betroffen, besorgt, mitfühlend, mitleidend, schmunzelnd, oder auch empört, seinen Worten folgen. Das werden freilich nicht nur moder­ne Singles sein, jeder, der einmal geliebt hat, könnte hier verdecktem Ei­genen begegnen. Die Schonungslosigkeit Mosers gegen sich selbst trägt hei zur Wahrheit des Textes, zu dessen Gültigkeit auch für Andere.

Wer aber die Instrumentalisierung, den Missbrauch der Geliebten, der Liebe und der eigenen Gefühle zum Zweck des Schreibens und Veröf­fentlichens verurteilt, der sei an ähnliche Klagen erinnert, die Größeren galten, Goethe z.B. wegen der Leiden des jungen Werther. Der »Gedanke an eine Veröffentlichung«

ließ mich schwanken, das Projekt verschieben, in Gedanken um deine Erlaubnis werben, doch immer in der Angst, du würdest es mir verbieten wollen. Und das wollte ich nicht riskieren (S. 95).

Dieser Liebesversuch: Dokument einer gescheiterten Liebe? Ja. - Ein ge­scheiterter Text? Nein.

Carl Pietzcker