Tilmann Moser

Elisabeth Drimala „Liebe altert nicht“

Ein Liebeslehrbuch fürs Alter

Zu Elisabeth Drimialas ermutigendem Werk

Der Markt für Anweisungen für ein geglücktes Sex- und Liebesleben wächst, fast könnte man denken, wir seien alle Analphabeten oder verklemmte Amateure. Die wichtigste Erkenntnis von Forschern und Paartherapeuten ist aber die: zu viele Menschen können nicht offen reden über ihr intimes Zusammensein: oft fehlen sogar die Worte, oder die Scham und die Selbstzweifel übertönen den Wunsch nach Mitteilung und Klärung, vor allem der Wünsche, die jeder heimich hegt, in der Hoffnung, der Partner möge sie doch erahnen. Vielleicht ist das Alter eine besondere Zone der Sprachlosigkeit, selbst zwischen Paaren, die es schon einige Jahrzehnte gut miteinander ausgehalten haben.

Drimalla ist mit ihrem ungeheuren Wissen und ihrer Erfahrung Sprachlehrerin und Dolmetscherin zugleich, die über die Schambarrieren hinweg helfen will. Doch neuer Mut ist immer erforderlich, der Neubeginn der Liebe im Alter ist ein Abenteuer, und „Liebe ist nichts für Feiglinge.“. Das Schlimmste aber ist Kritik, nörgelnde Unzufriedenheit und gekränkter Rückzug, denn es entsteht unweigerlich ein Stau der Enttäuschung zwischen den schweigenden Partnern. Das Gegenteil ist hilfreicher: Lob und Anerkennung für das was möglich ist, was gelingt oder beinahe gelingt. Eine gemeinsame Forschung über die eigenen, bisher geheimgehaltenen Wünsche kann eine neue belebende Intimität erzeugen. Und die muss befreit werden vom Leistungsdruck, und der ist oft genug versteckt in Mythen, was Mann und Frau in der Weltgeschichte und in der Wettbewerbsgesellschaft leisten müssten. Die Autorin erzählt die Mythen über Sexualität aus vielen Jahrhunderten, und man staunt, wie oft sie an gelebter Realität vorbei gegangen sind.

„Viele Paare geraten leicht in einen Teufelskreis aus Erektionsstörungen, Angst, Versagen, Vermeidung und Rückzug. Der Teufelskreis entsteht für Paare oft ganz unbemerkt, weil die Signale des Anderen falsch gedeutet werden.“ Daramilla ist durch und durch liebevolle Pädagogin, mit Anleitungen, Fragebögen, Literaturangaben, Alternativvorschlägen, Kommentaren zu Hilfsmitteln und Stimulanzien, besonders über Viagra und deren viel preiswertere Nachfolgeprodukte. Und was besonders erfreut: sie ist eine Kennerin der schönen Literatur, aus der sie souverän Beispiel schöpft.

Sie ermuntert zu echter Seelenarbeit: ein gemeinsamer Rückblick über die eigene Liebes- und Sexgeschichte, die Geschichte der erlebten Lust wie der Niederlagen; die bewussten und die auch unbewussten Hoffnungen des Beginns, die Rettungs- und Erlösungsphantasien, die manchmal gewaltigen Irrungen und Täuschungen und Enttäuschungen aus der Zeit der Verliebtheit, mit den nachfolgenden Ernüchterungen, die gesprächsbereite Paare dann doch zusammen geschweißt haben, wenn die Bereitschaft zum Verzeihen und zum mutigen Neuanfang vorhanden ist. Der Gewinn ist ein neues Kennenlernen.

Trotzdem: „Von 'lustlosen` Paaren höre ich immer wieder, die Beziehung sei eigentlich so gut, wenn nur nicht das sexuelle Problem wäre.“ Sie bietet vielerlei Ratschläge, eröffnet aber auch die manchmal notwendige Perspektive zur Psychotherapie, für das Paar oder für einen einzelnen Partner, der zu viel neurotisches Gepäck mit sich herumschleppt.

Elisabeth Drimalla, Amor altert nicht. Paarbeziehungen und Sexualität im Alter. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2015, 136 S., Brosch., 114.99 Euro

Tilmann Moser