Tilmann Moser

Psychoanalyse und buddhistische Erleuchtung

Passen Sie überhaupt zusammen?

Ralf Zwiebel, Freudianer, und Gerald Weischede, ehemals Psychotherapeut und jetzt Meditationslehrer, arbeiten seit langem denkerisch und erfahrungsreich zusammen, hatten bereits ein Buch „Neurose und Erleuchtung“ verfasst und schreiben jetzt über „Buddha und Freud – Präsenz und Einsicht. Über buddhistisches und psychoanalytisches Denken“. Die freundschaftliche Kooperation scheint ihnen zu gefallen, und doch verhehlen sie nicht ihre Zweifel an einem möglichen Brückenschlag: sie beobachten, „dass für Buddhisten … bislang die Psychoanalyse in der Regel auf wenig Interesse stößt, aber auch die meisten Psychoanalytiker eine ausgesprochen skeptische Einstellung gegenüber dem Buddhismus … behalten.“ „Immer wieder taucht also die Frage auf, ob Buddhisten und Psychoanalytiker in einer Erfahrungs- und Begriffswelt leben, die weitgehend unvereinbar bleibt.“ Sie wollen es aber fast erzwingen, die beiden Disziplinen bleiben sich zwar weitgehend fremd, sind aber trotzdem „komplementär“, zum Beispiel was die kontemplative Grundhaltung in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld angeht. Dabei ist Tätigkeit dem Buddhisten schon ein zwiespältiger Begriff, denn er lebt ohne aktive Ziele, kennt nicht Gier und Verlangen, die für die Menschen vor allem Leid und Konflikte bringen, während der Meditierende das ruhige Sein sucht und störende Gedanken an sich vorüber ziehen lässt.

Das Setting wird aber dennoch verglichen: das ruhige Sitzen hinter der Couch und das fast bewegungslose Sitzen auf dem leicht gepolsterten Schemel. Dieses  ist aber eine oft schmerzhafte Herausforderung, besonders, wenn ein „retreat“ eine Woche oder länger dauert und die Gliedmaßen rebellieren wollen. Aber nicht nur die Gliedmaßen tun weh, sondern auch die Seele findet das Verfahren äußerst gewöhnungsbedürftig, und so ist immer wieder von den anstrengenden Bemühungen die Rede, bis der ersehnte Seinszustand der Ruhe wirklich eintritt. Üben üben üben! Wirkliche Meisterschaft erreichen nur asiatische Wandermönche und Meister, und auch sie geben kaum Auskunft über ihr Erleben, sondern hoffen, dass die Schüler an ihrem vielsagenden Schweigen  erkennen, wo der Weg verlaufen könnte.

Offen sprechen die Autoren auch über Gefahren: der an sich erstrebte Selbstverlust ist für manche Menschen gefährlich, und dort beginnt schon der Übergang von der Erleuchtung zur bedrohlichen Neurose, der Panik vor der Leere, die Todesangst, die Verzweiflung vor der oft einsetzenden Ergebnislosigkeit, denn Erleuchtung ist ein  extremes Fernziele, und die Kunst der geduldigen, oft jahrelangen Annäherung kann in Erschöpfung und Resignation enden. Der Kompromiss ist die stille Leidenschaft der Autoren, die Brücke doch noch zu finden und zu eine immerhin vergleichbaren Gelassenheit zu erleben. Sehr lesenswert!

Ralf Zwiebel und Gerald Weischede, Buddha und Freud – Präsenz und Einsicht. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2015, 278 S., kart..

Tilmann Moser