Tilmann Moser

Erinnerter, mentalisierter, symbolischer und berührbarer Leib

Ein Kongress über Körper-Sprachen

„Der Tendenz, den Körper, jedenfalls die Abhängigkeit von ihm zu überwinden, tritt das Nachdenken über den Körper entgegen - und dem ist ja auch unsere Tagung gewidmet.“ Dieser Satz des prominenten analytischen Nachdenkers über den Körper, Joachim Küchenhoff, aus dem vorliegenden Kongressband „Körper-Sprachen“ kennzeichnet drastisch den gegenwärtigen Zustand der klassischen Psychoanalyse beim Umgang mit dem heilsam berührbaren Leib. Immerhin leuchtet eine vorsichtige Hoffnung auf in dem Satz: „Diskurs zum oder über den Körper sind daher immer neu kritisch zu hinterfragen, insoweit sie dazu beitragen, verfügbar zu machen...“ Das Tabu der  Berührung bleibt aber bestehen, Texte von Kollegen, die seit langem mit „heilsamer Berührung“ (Heisterkamp) arbeiten, sind seit Jahren unerwünscht, obwohl sie in den achtziger Jahren auf den Jahreskongressen zulässig waren und breit und engagiert diskutiert wurden.

Ähnliches gilt für die die Arbeit von Leuzinger-Bohleber zum vorsichtigen Modetrend embodyment, bei dem man unbewusste Körpererinnerungen intensiv beim Patienten abfragt, notfalls inspiriert durch die mitfühlende Gegenübertragung, die in dem Fallbericht von ihr bis zu leidvoller Identifikation gehen kann und zu wachsender leiblicher Introspektion führt, die dann wieder pflichtgemäß der Sprachkur zugeführt werden kann. Ursula Volz-Boers, ob durch Selbsterfahrung kundig in analytischer Leibtherapie, begrenzt sich wieder brav auf die „Resonanz  im Therapeuten“ auf die präsymbolisch und daher kaum reflektierend erfassbaren frühen Traumatisierungen.  Ebenso verschweigt Heisterkamp seinen umfangreichen Kosmos „heilsamer Berührungen“ und begnügt sich mit spiegelnder und affektiv verstärkender Mitbewegung, mit entsprechender Schere im Kopf. Nur Gabriele Poettgen-Havekost versteckt geschickt einige zarte Berührungen im sonst unanstößigen Text. Leikert wagt sich bis zu „sensorisch-intuitiver Einfühlung“ in die „außerhalb der eigenen Reflexionsfähigkeit“ verbleibenden frühen Störungen, nennt das „Umfokussierung auf Körpergefühle“, aber vom berührend aufschließbaren  unendlichen Schatz der frühen Einschreibung weiß und hält er nichts. Der lebendig fühlende aktuelle Körper bleibt abgesichert hinter der Tabugrenze, kommt aber wenigstens durch leidvolle projektive Identifizierung ins helle Licht der Sprache. Spannende Literaturanalysen und Blicke auf die moderne Psychosomatik ergänzen den Band. Trotzdem haben sich bei vielen Kollegen wichtige noch rein sprachlich erfasste Aspekte verändert: Auch vom unsichtbaren Rücksitz aus die Beobachtungen des Sprachklangs und feiner Körperbewegungen und die aktive Einladung zur affektfördernden Verstärkung dieser Bewegungen. Der Kongress aber war ein wichtiger halber Durchbruch: Selten ist derleidige Leib so gründlich mit pionierhaft wachsender Einfühlung sprachlich durchleuchtet worden, nun wartet man gespannt auf die längst fällige Überwindung der reinen Sprachgrenze.

Walz-Pawlita, Unruh, Janta Hrsg. „Körpersprachen“. Psychosozial-Verlag Gießen 2016, Hardcover, 314 S., 36.90 Euro.

Tilmann Moser