Tilmann Moser

Der Wahn ist kurz, die Reu´ ist lang

Wolfgang Schmidbauer über Liebesrituale

Wer die „Zeit“ regelmäßig liest, darf sich auch ohne quälende Beziehungsprobleme ruhig eingestehen, dass er seine wöchentlich im „Magazin“ erscheinenden Beispiele von Paarkonflikten mit seinen Kurzlösungen neugierig und aufmerksam liest, schöpfen sie doch aus der Fülle des Lebens mit Konflikten. Und Einzelne und Paare, die das Zerbrechen ihres anfänglichen Verliebtheitswahn dauerhaft und zufrieden überlebt haben, können sich gratulieren, dass sie den Experten für schwere Krisen nicht brauchen. Der schildert in einem guten Schlusskapitel die Grundlagen seiner Heil- oder Milderungskunst, was das Buch auch zu einem Lehrbuch für angehende Paartherapeuten macht.

Einer der ersten Sätze in der Einleitung lautet: „Die gegenwärtige Enttäuschung ist die Wurzel des Problems. Es sind die Überschätzung, die große Illusion von gemeinsamer Aufwertung, die das Paar anfangs umgaben.“ Und der erfahrene Experte, der sich viel Leid, Wut und Hass anhören musste, verrät: „Zu Beginn einer Paartherapie verwenden … Paare viel Zeit darauf, über Verletzungen zu klagen, böse Worte, Kontrolle über Anrufe, … Vorwürfe über Egoismus,, Rückzug, erotisches Desinteresse, Ausbeutung, verbale oder physische Gewalt.“ Dann sich die wichtigen “Rituale“, die eine Beziehung lange und hilfreich tragen können, verloren gegangen oder gar giftig geworden, vorwiegend am Hauptkonflikt „Autonomie – Abhängigkeit“. Der beruht, seit Liebesehen sehr viel häufiger sind als familiär oder sachkundig arrangierte, auf den „Idealisierungen der Verliebtheit.“

Schmidbauer teilt sein Buch ein unter spannenden Überschriften, in denen sich die entsprechenden Unterbeispiele finden, an denen sich Scheiternde und wenigsten halbwegs gut Überlebende zu ihren Spezialproblemen orientieren können:

„Rituale gegen die Angst, Eros - Geld und Leistung, Aggression, Pflicht und Neigung, Vorwurfskonflikte, Entwertung, Beziehungswahn und Rache und andere.

Die Fallbeispie sind ausführlicher als in seine journalistischen Kurztexte, und sie sind eingebettet oder gefolgt von theoretischen Erläuterungen, die die zum Unheil führenden, für den Partner oder beide nicht mehr erträglichen, destruktiv gewordenen Eigenschaften auch psychoanalytisch deuten. Übertragung und Gegenübertragung spielen auch in der Paartherapie, nicht nur auf den Therapeuten, sondern viel mehr noch untereinander, eine große Rolle, man denke nur an die fast sprichwörtlich gewordene Konstellation, wenn die Partner aufeinander reagieren, als handelte es sich, ganz hinter dem Rücken des Unbewussten, um die eigenen Eltern mit fortbestehenden kindlichen Wünschen oder Vorwürfen.

Wolfgang Schmidbauer, „Unbewusste Rituale in der Liebe. Einführung in die Paaranalyse“. Reihe Leben, Klett-Cotta, Stuttgart 2014, 252 S., kart.

Tilmann Moser