Tilmann Moser

Ralf Vogt (Hrsg.): Ekel als Folge traumatischer Erfahrungen

Psychodynamische Grundlagen und Studien, psychotherapeutische Settings, Fallbeispiele.

Von Tilmann Moser

Es ist als ob das Thema Ekel selbst dafür gesorgt hätte, dass es 2009 überhaupt zum ersten hochrangig besetzten Kongress über diesen Affekt gekommen ist. Das Leipziger Trauma-Therapeuten-Paar Ralf und Irina Vogt haben ihn, mit wichtigen eigenen Beiträgen vertreten, organisiert. Der Band bringt die gesammelten Vorträge in erschwinglicher Form, und man darf vermuten, dass das Thema in Zukunft den verdienten Platz erhalten wird, der ihm im sich ausweitenden Diskurs über Traumatisierung zukommt. Der Gießener Analytiker Hans-Jürgen Wirth betont mit Recht: "Die biologisch-physiologische Grundlage der Reaktion ist die spontane Abwehr von üblem Geruch und Geschmack, die über Nase und Mundschleimhäute den Organismus überwältigen wollen. Aber dann wird von mehreren Forschern hervorgehoben, dass dem kleinen Kind oft keine andere Reaktion mehr bleibt, wenn seine spontanen Abwehrreaktionen auf unliebsame Zudringlichkeit oder ausbleibende Empathie die Grenzwacht übernehmen. Ekel ist Selbstschutz gegen Enttäuschung und Schmerz, auf die da Kind nicht mehr angemessen sich zur Wehr setzen kann. Insofern ist Ekel eine Art Notwehr, die doch anders ist als Erstarrung, Dissoziation, Devitalisierung,im Extrem der Totstellreflex und die Emigration der Seele außerhalb ihres sie bergenden Körpers. Welche Faktoren zur jeweiligen Wahl führen, ist noch wenig erforscht.

Traumata bilden sich auf Ereignisse, die affektiv nicht bewältigt werden können. Sie verziehen sich in den Untergrund des Bewusstseins, erkennbar oft nur an den Flashbacks, die den Patienten überrumpeln, und deren Abwehr so viel psychische Energie verbraucht. Die biologische Grenzüberschreitung des physischen Ekels repliziert sich in den ohnmächtig erlebten Grenzüberschreitungen durch Missbrauch und Gewalt, durch frühe Ablehnung oder gar pränatale Noxen bis hin zu Abtreibungsversuchen. Das Subjekt ist oft genug gezwungen, sich mit dem Angreifer zu identifizieren, und so kommt es zu den destruktiven Formen der Selbstablehnung, des Selbstekels und der Selbstverachtung, verbunden mit intensiven Störungen des Selbstwertgefühls, die sich unablässig durch die weiter fließenden dunklen Quellen speisen, und die in rein verbalen Therapien oft nicht erreicht werden. Zu Recht betont die Psychoanalytikerin Renate Hochauf: "Deshalb laufen frühe Traumata oft als sensomotorische Matrizen stumm unter späteren Traumata, ohne durch klassische psychotherapeutische Methoden erfassbar zu sein."

Die Einbettung des Ekels in die moderne Traumaforschung und Traumatherapie schließt eine wichtige Lücke, die unter anderen dadurch konserviert wurde, als der Umgang mit Ekel in de Ausbildung kaum je thematisiert wird, wodurch es auch an der nötigen Selbsterfahrung der Therapeuten fehlt. Es gibt dem Thema gegenüber in den Behandlungen oft spontane Abwehrreaktionen, und die Patienten "Arbeiten" dem entgegen, als sie oft fest davon überzeugt sind, dass das Ekelthema zur Beendigung der Therapie führen könnte, weil der Therapeut die massiven Reaktionen auf widerwärtige Erlebnisse nicht aushält. Übertragung und Gegenübertragung kumulieren sich. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade eine wichtige Eigenschaft des Analytikers, nämlich Takt, ihn hindert, das Thema anzusprechen, weil er ahnt, dass die Scham des Patienten überwältigend werden kann. Es gibt im Bereich des Ekels sogar Formen einer omnipotenten Scham, die jede Annäherung an das extrem Beschämende, samt den traumatisierenden Vorerfahrungen der Patienten, mit Rückzug, Wut oder tiefer Resignation zu verhindern sucht. Und der schwierigste Moment taucht auf, wenn beide Partner unbewusst ahnen, dass der Ekel in einer bestimmten Schicht der Übertragung auch dem Therapeuten gelten kann. Die Bewältigung der Gegenübertragung kann ebenfalls schwierig sein, wenn der Patient durch Unsauberkeit, Geruch, extremes Schwitzen usw. zu ihr Anlass gibt.

Dies führt direkt zur Fortentwicklung des Thema hin zum moralischen Ekel, dessen milde Formen Geringschätzung, später Missachtung oder auch tiefe Verachtung sein können. Die Angst des Patienten ist immer der drohende Verlust von Akzeptanz und Sympathie, der eine Wiederholung seiner nie wirklich bewältigten Ablehnungs- und Überwältigungserfahrungen bedeutet.

Die Schulung des erfahrenen Therapeuten hilft ihm, schon durch die Beobachtung minimaler mimischer Veränderungen zu erkennen, dass diese oft tief unbewussten Signale ein Hinweis auf das Thema sind. Da ein Ansprechen des Thema sehr oft wie eine verfolgerische Kränkung erfahren wird, hilft meiner Erfahrung nach der indirekte Weg der Nachfrage: "Könnte es in ihrer frühen Umgebung oder in ihrer Familie ein Ekelthema gegeben haben?" Das hilft bei der zunächst notwendigen Distanzierung und verweist, weg vom Subjekt, auf ein umgreifendes Schicksal einer Gruppe, in der der Patient vielleicht mitleidender Zeuge war. Einfachste Version: ein krankes, übelriechendes, verwahrlostes, übergriffiges Familienmitglied oder ein naher Verwandter, im einfachsten Fall ein Alkoholiker, der immer wieder in die verächtlichsten, aber auch dann gefährlichen Positionen gerät.

Ekel ist also in gewissem Umfang generalisierbar: er kann die Formen wechseln, wobei eine der größten Schwierigkeiten die Tatsache darstellt, dass Teile der verursachenden Traumata in verschiedenen Gedächtnisspeichern aufgebahrt bleiben. Die modernen Körperpsychotherapien bieten den Vorteil, dass sie durch handelnde Inszenierungen die sonst unberechenbaren Trigger leichter zu sehen bekommen und haltende Hilfestellung für das Aushalten einer Wiederholung im Schutz der Beziehung anbieten können.

Der Band bietet sowohl statistisch relevante Forschungen zur Verbreitung von Ekelproblemen wie eindrucksvoll Fallbeispiele zu therapeutischen Prozessen, die die Leiden, das Engagement wie die immer wieder bedrohte Einfühlung beider Partner des therapeutischen Dialogs eindrucksvoll schildern.

Es ist erstaunlich, dass ein so intensives Gefühl wie der Ekel bisher ein solches Schattendasein in der tiefenpsychologischen Literatur und auch in Erfahrungsberichten gespielt hat. Vielleicht war es nicht nur schwer für Psychotherapeuten und Analytiker, sich auch schon die Vorformen von Abscheu bewusst zu machen, sondern die gelegentliche Heftigkeit des Affekts auch zu gestehen Es ist, als bliebe an beiden Partnern etwas hängen und als verbiete der Takt es, die Wahrnehmung anzusprechen. Und in der Tat ist es nicht leicht, dem Patienten ein Ekelgefühl mitzuteilen, er empfindet es als demütigend und als Kränkung und generalisiert es, je nach Übertragungslage, als Kritik an seiner ganzen Person.

Nach meiner Erfahrung hat es sich als am günstigsten erwiesen, mehr historisch zu fragen: "Gab es in Ihrer Familien einmal ein Ekelthema", etwa im Anschluss an Äußerungen zu einem Alkoholproblem, zu Übergriffen, zum Schmatzen oder einem ähnlich "anrüchigen" Thema. Meist ist dann sogar Erleichterung zu spüren, wenn diese unangenehme Seite angesprochen wird.

Nun ist es zum ersten hochrangig besetzten Kongress über diesen Affekt gekommen ist. Das Leipziger Trauma-Therapeuten-Paar Ralf und Irina Vogt haben ihn, mit wichtigen eigenen Beiträgen vertreten, organisiert. Der Tagungsband liefert die gesammelten Vorträge in erschwinglicher Form, und man darf sicher sein, dass das Thema in Zukunft bei vielen Kollegen, vor allem denen, die in diesem Band gelesen haben, das Thema nicht mehr übersehen wird. Schon die gewichtige Nennung des oft verdrängten Gegenstandes mag Mut machen, die eigenen Wahrnehmungen ernst zu nehmen und sie kreativ und entlastend zu verwenden.

Der Giessener Analytiker Hans-Jürgen Wirth betont mit Recht: "Die biologisch-physiologische Grundlage der Reaktion ist die spontane Abwehr von üblem Geruch und Geschmack, die über Nase und Mundschleimhäute den Organismus überwältigen wollen." Von mehreren Forschern wird hervorgehoben, dass dem kleinen Kind oft keine andere Reaktion mehr bleibt, wenn seine spontanen Abwehrreaktionen auf unliebsame Zudringlichkeit oder ausbleibende Empathie es schützen sollen vor einer gefährlichen Überwältigung. Ekel ist Selbstschutz gegen Enttäuschung und Schmerz, auf die da kleine Kind sich nicht mehr angemessen zur Wehr setzen kann. Insofern ist Ekel eine Art Notwehr, die doch anders ist als Erstarrung, Dissoziation, im Extrem der Totstellreflex und die Emigration der Seele außerhalb ihres sie bergenden Körpers. Es wird noch viel Forschung nötig sein, um die Wahl ausgerechnet dieses archaischen Abwehrmechanismus zu erklären. Oft können Traumata nicht anders ausgehalten oder gar integriert werden, als durch diese biologisch fundierte Gegenwehr in Form einer heftigen Körperreaktion, oft mit der Angst, sich zu übergeben, ja sogar mit einer Panikreaktion, wenn keine Fluchtmöglichkeit besteht.

Die biologische Grenzüberschreitung des physischen Ekels repliziert sich in den ohnmächtig erlebten Grenzüberschreitungen durch Missbrauch und Gewalt, durch frühe Ablehnung oder gar pränatale Noxen bis hin zu Abtreibungsversuchen. Oft bleibt auch nichts anderes übrig, als sich mit dem Angreifer zu identifizieren, mit der Folge von tief sitzenden Formen der Selbstablehnung, des Selbstekels und der Selbstverachtung, verbunden mit tiefen Störungen tiefen des Selbstwertgefühls, die sich unablässig durch die weiter fließenden dunklen Quellen speisen, und die in rein verbalen Therapien oft nicht erreicht werden. Zu Recht betont die Psychoanalytikerin Renate Hochauf: "Deshalb laufen frühe Traumata oft als sensomotorische Matrizen stumm unter späteren Traumata, ohne durch klassische psychotherapeutische Methoden erfassbar zu sein."

Die Einbettung des Ekels in die moderne Traumaforschung und Traumatherapie schließt eine wichtige Lücke. Sie wurde dadurch offen gehalten, dass der Umgang mit Ekel nicht zum Kanon der diskutierten und gelehrten Affekten gehörte. Er war kaum ein Supervisionsthema und auch kein Thema der theoretischen Einordnung in eine umfassend Affektlehre. Es gibt dem Thema gegenüber in den Behandlungen oft spontane Abwehrreaktionen, weil die Patienten fürchten, das Ekelthema gefährde die therapeutischen Beziehung, was sogar zur Beendigung der Therapie führen könnte, weil der Therapeut die massiven Reaktionen auf widerwärtige Erlebnisse nicht aushält. Es gibt im Bereich des Ekels sogar Formen einer omnipotenten Scham, die jede Annäherung an das extrem Beschämende, samt den traumatisierenden Vorerfahrungen der Patienten, mit Rückzug, Wut oder tiefer Resignation zu verhindern sucht.

Am größten ist die Angst vor der Übertragung des Ekelgefühls auf den Therapeuten, hier gleicht der Übertragungswidertand dem vor dem Thema von Verachtung. Die Bewältigung der Gegenübertragung kann ebenfalls schwierig sein, wenn der Patient durch Unsauberkeit, Geruch, extremes Schwitzen usw. zu ihr realen Anlass gibt.

Dies führt direkt zur Fortentwicklung des Thema hin zum moralischen Ekel, dessen milde Formen Geringschätzung, später Missachtung oder auch tiefe Verachtung sein können. Immer fürchtet der Patient, er könne den drohenden Verlust von Akzeptanz und Sympathie, der eine Wiederholung seiner nie wirklich bewältigten Ablehnungs- und Überwältigungserfahrungen bedeutet, nicht aushalten. Ein Supervisor, der sich der "Lücke" in den Behandlungsberichten von Kandidaten bewusst wird, müsste gezielt nach dem Affekt fragen, wenn er spürt, dass in der Behandlung zu viel Harmlosigkeit und Wahlgeschmack herrscht, wo es doch Indikatoren gibt, das es im Untergrund er Familie oder im Unbewussten des Patienten längst nicht mehr "gut riecht". Die Schulung des erfahrenen Therapeuten hilft ihm, schon durch die Beobachtung minimaler mimischer Veränderungen zu erkennen, dass diese oft tief unbewussten Signale ein Hinweis auf das Thema sind.

Teile der verursachenden Traumata bleiben in verschiedenen Gedächtnisspeichern aufgebahrt. Es ist das Verdienst von Jörg Scharff, der in seinem Buch "Die leibliche Dimension in der Psychoanalyse" überzeugend darauf hingewiesen hat, wie wichtig der Umgang mit den feinen oder auch gröberen Körperwahrnehmungen es Therapeuten ist. Die modernen Körperpsychotherapien bieten den Vorteil, dass sie durch handelnde Inszenierungen die sonst unberechenbaren Trigger leichter zu sehen bekommen und haltende Hilfestellung für das Aushalten einer Wiederholung im Schutz der Beziehung anbieten können. Optische und akustische Signale kommen hinzu, der Therapeut muss nur sich trauen, sie aufzugreifen.

Es spricht für den Mut von Ralf und Irina Vogt, diesen Kongress in Angriff genommen und die editorische Nacharbeit glänzend bewältigt zu haben. Die spannenden Fallberichte sind begleitet auch von statistischen Forschungen zur epidemiologischen Verbreitung des Affekts, sodass der Leser einen guten Überblick bekommt über den Stand Erkenntnisse über ein beinahe tabuisiertes Thema.

Im realen Leben vermögen allein Lust und Liebe den Ekel am Andern zu mildern oder aufzuheben. Damit vermögen sie plötzlich alle sonst gemiedenen Körperzonen zugänglich zu machen für die Steigerung des erotischen sexuellen Genusses.

Ralf Vogt (Hrsg.): Ekel als Folge traumatischer Erfahrungen. Psychodynamische Grundlagen und Studien, psychotherapeutische Settings, Fallbeispiele. psychosozial-verlag, Gießen 2010, 324 S., kart. und Psychotherapeut (ohne Datum) und Psychologie Heute 9/2010