Tilmann Moser

Bernhard Heisig: Der große König und sein Soldat und Der Feldherrnhügel

1992, Privatbesitz und 1988, Privatbesitz

Beide ohne weitere Angaben aus: Bernhard Heisig, Eine unendliche Geschichte, Hrsg. von Rüdiger Küttner, Verlag Faber und Faber, Leipzig 2010.

Kein einfacher Soldat wäre während der Schlacht dem König so nahe gekommen. Er muss, vielleicht als Melder, Offizier oder Adjutant ein Botschaft überbracht haben, als er von der Seite seines obersten Befehlshabers weg geschossen wurde. Todesschrei und erschrockene Abwendung erfolgen zeitgleich im gleichen Bruchteil einer Sekunde. Es mag sogar sein, dass der Getroffene dem König nahe stand, aus täglichem oder zumindest regelmäßigem Dienst. Dann wäre das Memento Mori noch tiefgreifender, aufwühlender, niederschmetternder. Der Zeitpunkt des Ereignisses ist schwer zu bestimmen. Es kann die Stunde der Morgenröte sein, in der der Kampf beginnt, der Hörnerschall ist verkungen, der König versucht das wogende Getümmel zu überblicken, hat sich ein wenig von seinen Generälen abgesetzt, oder sie erschrecken, unsichtbar, in seiner Nähe. Aber er erscheint auf dem Bild allein und blickt ins Dunkel. Oder die Schlacht ist geschlagen, wir wissen nicht, um welche seine Großgemetzel es sich handelt. Dann wäre es die Abenddämmerung, die ihn plötzlich ins Dunkel blicken lässt, real herabsteigende Nacht oder die totale Schwärze als Symbol des Grauens, das den abgebrühten Schlachtenlenker plötzlich umfängt.

Heisig ist als Portrait ist ein Erforscher der menschlichen Natur und oft von diagnostischer Genauigkeit. Hier erkennt man das Gesicht des Königs nicht, man sieht nur wogende Emotion, aber in einer Art Schockstarre, schon nicht mehr in schreitender Bewegung, ein Standbild des Schreckens. Heisig zeigt den König in einem seiner wohl menschlichsten Augenblick, in der soldatische Abgebrühtheit, die er sich, der schwäremerische Jüngling und sensible Künstler und Philosoph, in Jahrzehnten der Kriegführung angeeignet hat, nichts mehr hilft. Selbst wenn der Maler den kriegswütigen Monarchen nicht verehrt hat, hier sucht er doch seine Seele und erscheint damit als jemand, der Menschliches an ihm finden will, eine Regung, die weit über das hinausgeht, was die anekdotische Propaganda und die historische Verehrung an Gerechtigkeit und sozialer Sensibilität in ihm später finden wollte.

Der Schrei lässt in seiner Intensität das ganze Bild erzittern, auch der Betrachter wird noch von den Schallwellen, die aus dem aufgerissenen Mund ertönen, getroffen. Der König wird die Leiche, anders als die Zehntausende von Gefallenen, die anfangen zu verwesen oder von Tieren angefressen werden, bevor sie auf knarrenden Karren abtransportiert werden, nicht einfach liegen lassen, sondern einen gesonderten Abtransport organisieren, vielleicht seiner Witwe etwas zukommen lassen, sogar einen posthumen Orden oder ein namentliches Gedenken in der aufrüttelnden Rede nach dem Kampf. Er wird seine Erschütterung zu verbergen suchen, wieder laute Befehle geben, seine Generale loben oder tadeln, und versuchen, den Abmarsch des erschöpften Heeres organisieren, Trost und Schnaps verteilen lassen und sich aufgewühlt zur Ruhe begeben in einem halbwegs komfortablen Zelt oder einem nahen Schlösschen des königstreuen Landadels, der sich geehrt fühlen wird.

Aber der Maler lässt ihn noch nicht allein. Er begleitet ihn bei einem nächtlichen Spaziergang, zurück auf den nun menschenleeren Feldherrnhügel. Und da fasst den sieggewohnten, aber auch durch Niederlagen leidgeprüften König ein noch tieferes Grauen, das Antlitz wiederum höchstens im tiefsten Dunkel durch einen Gewitterblitz für einen kurzen Augenblick beleuchteten König. Und der Blitzstrahl offenbart nicht nur die entsetzten Züge des einsamen Monarchen mit den aufgerissenen Augen, sondern zugleich seine Vision des Todes, der düster aufscheint über der Tages der Generalität,die ihn am anderen Morgen erwartet. Bis dahin muss er sich gefasst haben, der Maler hat das Zusammentreffen von königlicher Pflicht und nächtlicher Erschütterung so zusammen gebracht, dass wir im König auch den Nächsten zu erkennen vermögen, der Sterblichkeit in seiner grauenvollsten und zugleich angeblich ehrenhaftesten Art erlebt hat, in der unendlichen Mischung aus Krepieren und Heldentod für König und Vaterland. Heisig hat aus den „Alten Fritz“ in einer Weise nahe gebracht, in der er für kurze Momente herausfällt aus dem historischen Mantel der Größe.