Tilmann Moser

Burne-Jones: Der Schicksalsfelsen

Mann: Immer habe ich mich danach gesehen, einmal eine nackte Frau zu sehen. Jetzt sehe ich eine und bin erschrocken. Ich zucke zurück und halte mich doch fest am Felsen. Um besser zu sehen, habe ich den Helm abgenommen.. Das Blut scheint aus meinem Gesicht gewichen. Nicht einmal halbbekleidet habe ich eine Frau gesehen, obwohl ich immer wieder versucht habe, heimlich in die Badestube der Mägde zu schauen. Die Wärterin hat mich hohnlachend weggejagt: „Du Grünschnabel, verschwinde!“ Ich bin kein Gründschnabel mehr, ich darf manchmal schon mit auf die Jagd, mit eigenem Bogen. Vielleicht hat sie sich erinnert an meine Rüstung, die ich als Jugendlicher tragen durfte, und die ich heute auf meinem Streifzug an den Felsenstrand angezogen habe. In ihr fühle ich mich noch immer sicherer.

Die Überraschung wirft mich fast um. Ich wage kaum, den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden. Der helle Körper leuchtet und will doch wie in einem Nebel nur verschwommen zu sehen sein. Und doch nehme ich wahr, sie ist wunderschön, und schlanker als alle Frauen in der Burg. Ich merke, dass ich nicht gut atmen kann in der Rüstung. Leichtsinnig trete ich in die Flut, ohne zu prüfen, ob ich noch Grund finde. Ich fürchte zu fallen. Warum schaut sie mich nicht an, das würde meine einsame Verwegenheit mildern. Findet sie mich unverschämt, dreist, zudringlich, erschrocken. Und doch neigt sie den Kopf in meine Richtung, schaut halb zu Boden, halb nirgendwohin. Oder, denke ich beschämt, sieht sie die Löcher in meinen Unterkleidern.

Wie spricht man so ein Wesen an, wenn der Schreck sich mildert? Wird sie überhaupt mit mir sprechen wollen? Mein Mund ist gefährlich trocken, vielleicht würde ich kein Wort sagen können. Soll ich verschwinden, sie feige in der Kälte stehen lassen? Merkwürdig, denke ich kurz, wie kommt sie an den Felsen, wer hat sie hingebracht, was sollen die Ketten? Sie sieht aus wie ausgesetzt, wie auf den Märchenbüchern mit den griechischen Sagen. Dort eine wunderschöne Frau erlöst werden, von einem Ritter, der zu ihrer Rettung kommt. So einer wollte ich immer werden, der Retter einer solchen Gestalt, fast einer heiligen Gestalt.

Jetzt merke ich an den kalten Füssen, dass der Anblick mich aufwühlt. Ich habe weder Flügel, wie auf einigen Ritterbildern, noch ein Boot, in das ich sie einladen könnte. Ich weiß nicht weiter und würde sie am liebsten fragen: „Soll ich bleiben? Was willst du von mir? Soll ich Hilfe holen?“ Aber ich will keinen Dritten. Ich will allein sein mir dir. Aber hier? „Willst du dich setzen? Aber wohin? Mit deinem Po auf den kalten Stein? Hast du Hunger? Wo sind deine Kleider? Kann ich überhaupt helfen? Erleidest du eine Strafe? Bist Du verbannt? Wo ist deine Familie? Sie muss grausam sein! Was hast du verbrochen? Du bist so zart, du kannst nicht böse sein. Gibt mir ein Zeichen, dass meine Gegenwart dich nicht stört, dir nicht unwillkommen, ja widerlich ist. Ich bin auch nicht böse. Du machst mich unsicher, ratlos. Hilf mir doch! Ich flehe dich an. Ich glaube, du musst m i c h retten. Verachte mich nicht in meiner Hilflosigkeit. Hörst du nicht, wie ich stumm in deine Richtung stammle? Kann uns jemand sehen vom Ufer aus. Das wäre entsetzlich. Vater würde mich streng verhören, wenn ihm etwas zugetragen würde. Ich denke ohnehin, dass er mich von Spähern beobachten lässt: Ob ich ein Prinz nach seinem Sinn werde. Tauglich, tapfer und zuversichtlich. Ob ich die Knappenrüstung verdiene, die er für mich noch als Jugendlichem schmieden ließ. Und die Mutter: Würde sie in eine ihrer nicht seltenen Ohnmachten fallen, die uns alle betreten machen? Dann erscheint sie kränklich und wehrlos, und doch ist sie die heimliche Herrscherin auf der Burg. Teuflisch schöne Unbekannte, rede endlich, die Szene wird unerträglich.

Sie: Ich weiß nicht, wie ich hergekommen bin. Aber man sagt mir nach,dass ich manchmal schlafwandelnd angetroffen werde. Auch jetzt weiß ich kaum, ob ich wach bin oder träume. Aber so ausgesetzt im in einem gefährlichen Nirgendwo fühle ich mich häufig. Manchmal führen mich Dienerinnen zurück in mein Gemach. Aber jetzt erscheint keine in der Nähe. Das macht mich froh und ängstlich,ich bin auf mich allein gestellt und weiß nicht mehr, wer ich bin. Kannst du es mir sagen? Wie deutest du meinen fragenden Blick, der doch Halt sucht.

Selbst wenn ich warme Wintergewänder trage, fühle ich mich nackt vor den Blicken der vielen Bewohner der Burg. Ich weiß nicht, warum sie mich oft heimlich anstarren. Bin ich denen so unheimlich wie mir selbst. Mama sagt, nun wirst du eine Frau, aber ich fühle mich oft noch wie ein Kind. Ich war verwirrt, als mit ein Busen wuchs, ich kann mich nicht an ihn gewöhnen, mich mit ihm anfreunden. Meine Gespielinnen sind stolz auf den Ihren, und sich zeigen sich ihre wachsenden Schamhaare. Schau nicht auf meinen Schoß, ich bin dort noch nackter als am ganzen Körper, der mich doch auch so fremd ist und ein Rätsel. Ich lebe eingehüllt in Scham. Wenn du mich ansiehst, schaudert es mich. Bist du ein Mann? Bist du gefährlich? Was wirst du mit mir tun, wenn du mich mitnimmst, weg von diesem kalten Schicksalsfelsen? Du trägst ein Schwert, aber von Zierbändern umwickelt? Bist du aufgebrochen zu einem Kampf? Hast du Feinde? Bin ich ein nackter Feind für dich? Kann ich dich nicht rühren in meiner Schwäche? Ich bin so verletzlich, du musst mich schonen. Wirf keinen begehrlichen Blick auf mich, er könnte mich töten. Wirf lieber einen schützenden Mantel über mich. Aber den hast du nicht. Wie kannst du mich mit Blicken einhüllen, die nicht töten? Meine eigenen Blicke dringen noch nicht zu dir durch, aber ich spüre verschämt ein scheues Wissenwollen, was du verbirgst hinter dem Eisen, das bei jeder deiner Bewegungen leise klirrt?

Was wollen Mann und Frau voneinander? Wie können sie sich so verständigen, dass diese entsetzliche Fremdheit nachlässt? Was würdest du mir enthüllen, was ich wissen sollte über dich? Und was müsstest du von mir wissen, dass ich weniger nackt würde? Gib wenigstens einen Laut von dir, vor allen Worten, dass ich deine Stimme höre, vor den gefährlichen Worten, die ich vielleicht nicht verstünde. Und nimm den Schrecken aus deinem eigenen Gesicht zurück. Wie kann ich ihn mildern, damit du mich nicht ansteckst mit deiner eigenen Angst. Ich müsste lange,an einem weniger unbarmherzigen, an einem sicheren Ort neben dir sitzen, um aus dem Zittern herauszufinden.

Er: Wenn du so redest, werde ich ruhiger. Ich fand die Scheide für mein Schwert nicht als ich loszog von der Burg, ich wusste nicht wohin, eine Unruhe trieb mich weg von den groben, den lärmenden Kameraden, die mehr zu wissen schienen über Frauen als ich, und die mit ihrem Wissen prahlten. Mein lieber Parsifal, flüsterte meine Mutter, als ich aufbrechen wollte. Sie blickte nur kurz auf von ihrem Lieblingsbuch, und umhüllte meine Hüfte mit einem ihrer Bänder. Und dann drängte sie mir noch den lächerlichen Beutel auf mit ein wenig Nahrung. Sie ist immer besorgt, ob ich genug esse. Sie sieht mich immer noch als Kind und wird traurig, wenn sie mich in der Rüstung sieht.

Sie: Ich werde ruhiger, weil ich deine Worte höre und verstehe. Wir müssen viele Worte tauschen, bevor wir uns berühren dürfen. Deine Hände sehen nicht aus, als ob du mich würgen könntest. Mein Hals ist zart und schmerzt manchmal, wie auch mein Kopf, wenn ich nicht aus dem Grübeln herausfinde. Mein Vater ist ein grober Klotz, mit ihm ist nicht zu reden über das, was so rätselhaft in meinem Inneren vorgeht. Und meine Mutter muss ich eher selbst trösten, als dass sie mir antwortet auf meine Fragen.

Er: Wo und wann können wir uns wiederfinden, um weiter sprechen und fühlen zu lernen?

Sie: Ich werde dich finden. Ich werde listig werden, geheime Türe finden. Und wenn du das Eisen ablegst, wird es auch nicht verräterisch klirren, wenn du nach mir suchst.