Tilmann Moser

Egon Schiele: Umarmung (Liebespaar II)

1917, Wien, Österreichische Galerie

Venus: Meine geliebter, tapferer, magerer Adonis, du geliebt-gehasster Zauberer, hole mich zurück auf die Erde, aber die ich hinweggeflogen bin mit dir. Wie schaffst du das, vertrauter Kenner meines Körpers. Sind wir ,beinahe, im All explodiert, und doch schon zurück in unserem zerwühlten Bett? Halte mich so fest du kannst, lose mich aus der Verschmelzung und gibt mir wieder Kontur durch deine harte Umarmung. Ich brauche Kraft für unseren nächsten bitteren Streit, der immer wieder kommen wird, sooft wir meinen, wir gehören nun im stürmischen Liebesfrieden für immer besänftigt zusammen. Wiederhole so oft du kannst das traumhafte Hin und Her von Nähe und Entfernung Auch das bereitet mir noch einen wohligen Schauer, wenn wieder kühle Luft zwischen uns strömt. Ich weiß, du wirst mit zärtlicher Hand eine wärmende Decke über uns ausbreiten, unter der wir den seligen Rausch ausklingen lassen. Mein ganzer Leib kehrt zur Ruhe zurück, und er ist, wie die Seele auch, voll kitschig-heißer Worte, die ich dir immer wieder ins Ohr flüstere. Auch wenn du meine Leidenschaftsgedichte nicht gleich druckwürdig findest, nüchterner und mir doch so gewogener Schuft.

Adonis: Barocke Lügnerin, ich bin nur im Alltag nüchtern, nicht wenn ich mir dir entschwebe. Du weiß, dann setzt mein Denk- und Sprachorgan aus und ich kann nur noch stammen, seufzen, wimmern ,und schreien. Vor allem, wenn du zu jubeln und zu singen beginnst. Meine begleitenden Gedichte bestehen aus einsilbig-heftigen Einwortsätzen in mehreren Sprachen, wie du weißt, sozusagen zur biologischen wie zur religiösen Verständigung mitten im Flug. Du musst mich auch halten, so fest du kannst, auch wenn ich die Erschlaffung deiner Arme liebe. Sie umschmeicheln mich eher als mich aufzufangen nach der Landung. Sie sind mir trotzdem genug Lohn für deine Begleitung im Wollust-, Kriegs-der Kriegs- und Friedensfest. Erträgst du schon meine halbnüchterne Frage: Wo steht der gekühlte Wein, den du immer bereit hältst? Darf ich dich für einen kurzen Augenblick loslassen, um ihn zu holen?

Venus: Nein, du eifriger Zerstörer der Nähe! Wie kannst du dich nur losreißen, jetzt wo uns noch der Schweiß der lärmenden Wonne verbindet! Doch, du darfst gehen, unter der einen Bedingung: Dass du mir den Wein aus deinem Mund einflößt, in kleinen Schlucken, die sich dann wie küssen anfühlen. Dann verwandelt sich der Rohling des kurzen Abschieds wieder in einen verwöhnenden Liebhaber. Und dann erzählt du mir, warum du im Traum geschrien hast zu Beginn der Nacht, als wir uns erschöpft von eines rauen Tages Arbeit schlafen gelegt haben? War er verklungen, als du mich zur Geisterstunde kraftvoll geweckt hast? Oder bist du zur mir geflohen, weil dich deine Gespenster, die unermüdlichen, geweckt haben. Du hast mich so geduldig wach gestreichelt. Du scheinst nicht gekränkt, wenn ich erst einmal weit weg bin im Schlaf. Ich genieße die selige Wiederkehr des Aufwachens, deine streichelnde Rückholaktion zum Fest. Manchmal vermute ich, ich könnte Teil deines Gespensterreigens sein, wenn du nach kleinem Anlass mich zornig und voller Schrecken betrachtest. In wen verwandelt du mich dann? So sehr bin ich doch nicht Hexe, du dankst es mir doch immer wieder, wenn ich dich in das das Hexeneinmaleins der Liebe einführe. Wie gerne bin ich deine Lehrerin, die immer wieder Lernerfolge ernten darf.

Adonis: Du bist nicht nur meine Liebeslehrerin,du bist meine Retterin. Du weißt, mein Geist ist unstet, an manchen Tagen fühle ich mich getrieben, hektisch, launisch, und habe Angst, verrückt zu werden. Ich kann tagelang nichts essen, obwohl ich Hunger habe. Du bist in der Lage, mich aufzufangen, mir Ruhe zu gewähren. Wenn du für mich kochst, hört die Abmagerung auf, und damit auch die Angst vor einem frühen Tod. Ich fürchte um mein Werk, an das du doch glaubst.

Venus: Ich weiß, ich bin dein Lebensengel, Schutzengel deines Werks. Meine Wärme und meine Fülle reichen für uns beide. Und wenn du dann zu mir hin glühst, dann weiß ich: so schnell kann dir kein Tod etwas anhaben, und deine Ängste beruhigen sich.

Adonis: Um dir nahe zu bleiben, will ich selbst wieder besser für mich sorgen. Ich will nicht, dass mein Ehrgeiz mein Leben verzehrt, aber ich fürchte, er tut es bereits.

Venus: Du weißt, mein Lieber, mein Ehrgeiz sieht anders aus. Ich arbeite nicht für die Ewigkeit. Meine Devise lautet: Verführungsarbeit, von mir aus zweimal täglich, gegen den Tod in dir.

Adonis: Deshalb sterbe ich so gern mit dir und in dir. Von mir aus zweimal täglich. Einverstanden, ich bleibe. Am Leben.