Tilmann Moser

Francisco de Goya: La maja desnuda

1795–1800, Museo del Prado, Madrid

Zu so einem innig-kühnen Bild gehört eine entsprechend innige Geschichte. Ich beginne mit der frechen Frage: Hat er sie davor oder danach gemalt? So bettet man sein Schatz nicht außerhalb einer höchst intimen Situation. Glänzt ihr leuchtender Körper noch nach den Wonnen einer stürmischen Begegnung, oder strahlt er ihr entgegen. Hat sie immer so schwellend junge brüste, oder sind sie angeschwollen unter seinen Liebkosungen. Sie war, die mutmaßliche Herzogen von Alba, die ihm ihre Gunst zugewandt hat, vielleicht schon etwas betagter, aber er hat sie als blühende fast noch Jugendliche porträtiert. Und fürwahr: für eine so liebreizend-freche Selbstdarbietung reicht nicht eine einmalige gewesene oder bevorstehende leidenschaftliche Umarmung, sondern es braucht für eine so zärtliche und dennoch zutiefst erotische Körperlichkeit eine längere gemeinsame Geschichte. Denn so viel hingebungs- und erwartungsvolle Preisgabe des eigenen Leibes verrät echte Liebe, sonst wäre es höfische Pornographie. Nein, es ist das Auge sicherer Liebe, das auf ihr ruht, und sie weiß sich in dieser staunenden Liebe des Malers gesehen und geborgen.

Denn ihre Haltung ist nicht dreist und schamlos, ihr Schoß mit dem kleinen Polster ist sichtbar, aber nicht provozierend ausgestellt, nicht eigentlich herausfordernd und lockend, sondern voll nackter Würde nur einem Einzigen angeboten, abwartend, zum Schenken bereit dem, der es verdient hat durch tausend liebevolle Momente. Also: es ist ein Bild tiefer Liebe.

Mehr verrät uns ihr Blick: Er schmeichelt vertrauensvoll dem Maler, der ihre Würde achtet, aber sie einhüllt mit dem Blick unverstellter Zuneigung. Zu ihren Augen gehören seine Augen, die hin und her wandern zwischen ihr und dem werdenden Bild. Sie scheint neugierig darauf, wie er sie sieht und portraitiert, und neugierig, wie sie sich sehen wird durch die Augen seiner Kunst, die sie verwandelt sehen werden. Deshalb ist ihr Blick sowohl fragend wie bestimmend: Bist du dir deiner Verantwortung bewusst, ich liefere mich dir aus und werde dein Geschöpf, bleibe aber auch ich selbst, so etwas geht nur in langer Vertrautheit. Also schaut sie sowohl keck wegen ihrer Kühnheit, denn sie zeigt sich letztendlich doch auch uns, und sie wird es gewusst haben: Das Bild wird zunächst nur bei ihm oder in ihrem Boudoir hängen, später aber, da sie seinen Ruf kennt, in einem Adelspalast und noch später in einem der großen Museen der Welt, eben im Madrider Prado. So viel Größenphantasie wird sie wohl haben dürfen, denn das kleine Kind in ihr, das sich dem mütterlichen oder väterlichen Auge nackt zeigen will, lebt ja auch noch in ihr und hält sich für ein kleines Wunder, das auch erwachsen noch Bestand haben soll.

Sowohl für Davor wie Danach sind die Pfühle drapiert, und es ist eben der Reiz des Portraits, dass es unsere erotische, aber nicht rein sexuelle Phantasie stimuliert zu spannenden Geschichten über die Art dieser Beziehung. Die Frage des Davor oder Danach entstammt platter, wenn auch reizvoller Neugier, aber sie wirkt längst überholt, weil die Liebe nicht mehr danach fragt. Ihr Blick scheint zu fragen: „Was wirst du, Liebster, gleich mit mir tun, oder was hast du, Liebster so herrlich mit mir getan? Ich bin gleichermaßen davon berauscht. Es ist alles in der natürlichsten Ordnung, wenn die Liebe uns trägt.“

Und er hatte sie ja schon bekleidet gemalt, in der gleichen Pose, und er mag sie danach oder nach ein paar Tagen oder Wochen oder Monaten ein wenig verlegen gefragt haben: „Darf ich das auch ohne Deine Hüllen versuchen?“ Und sie wird vielleicht errötet sein, sich in seine Arme geflüchtet, keck oder milde tadelnd gefragt haben: „Meinst du das ernst, verliebter Schwerenöter?“ Und wird sich ein wenig ertappt fühlen in einer kühnen und berauschenden künstlerischen Größenphantasie, in der er gewohnte Grenzen überschreiben will, um ihre Liebe ein Denkmal zu setzen, dankbar, dass er sie trotz mahnend Finger erhobenem nicken sieht. Sie fühlen sich nicht nur wie ein glückliches, sondern in dem kostbaren Augenblick des Einverständnisses wie ein verschworenes Paar.