Tilmann Moser

Max Slevogt: Feierabend

1900/01, Neue Pinakothek, München

Frenzi: Franz, ich hab mir nur eines gedacht: du hat die Flasche fast ausgetrunken, aber den Käse und das Brot nur halb gegessen. Und ich hab gedacht, du gehst wieder an die Arbeit. Falsch gedacht, der Wein macht dich mutig und unternehmungslustig, fast zu keck. Du weißt, dass ich mit dir keine Geschichte anfange, ich weiß längst, dass du wieder mal auf Brautschau bist, da hab ich schon von drei Freundinnen gehört. Deswegen darfst du deinen Hand ruhig wieder zurückziehen und deine Pfeife wieder anzünden. Die ist dir nämlich ausgegangen vor lauter Gucken auf meine Bluse. Die bleibt aber zu, dann kannst gucken so lang du willst. Außerdem weißt du, dass ich versprochen bin, deshalb schau ich so misstrauisch, oder willst du bloß ein bisschen tätscheln, alter Bergbauer. Ich weiß wohl, dass du allein lebst dort oben auf dem kleinen Hof, der nicht viel hergibt. Vorbeischauen für eine Brotzeit darfst du schon, aber ohne zudringliche Hand.

Franz, du dauerst mich, aber lass dir einen Rat geben in Sachen Liebe und Versorgung: Frag mal unsern Dorfpfarrer, der kommt viel herum im Tal, ob er eine arme Witwe kennt mit zwei oder drei unversorgten Bälgern, die nimmer schlafen kann nachts vor lauter Sorgen. Oder schau immer mal wieder ins Kirchblatt, da findest du hinten immer kleine Suchanzeigen nach einem gottesfürchtigen Mann, sogar mit Viehmatten als Dreingabe. Erst neulich hat sich wieder ein Holzfäller zu Tod gestürzt am Rand von der Klamm. Da brauchst Gesellschaft da oben, Kinder, die um dich rum springen, statt Gämsen und Rehe, und eine schaffige Frau, die dir was kocht und nachts mit dir ratschen und schmusen will.

Du riechst auch nicht immer gut in deiner verschwitzten Jacke, die du bei jedem Wetter anziehst. Und einen Kamm könntest auch mal brauchen, sonst bist du noch lang auf Brautschau und wirst alt und wunderlich. Ich mag dich ja, du bist zuverlässig und treuherzig, auch wenn du ein bisschen zu tief ins Glas schaust. Deshalb stelle ich dir nie eine volle Flasche hin. Kaum bin in einen Augenblick weg nach dem Vater schauen, hast du dir schon nachgeschenkt.

Ach Franz, Du musst dich mehr pflegen, und nicht mit Mitleid rechnen. Alle wissen, wie du schaffen kannst und Holz verkaufst, das du selbst ins Tal schaffst. Noch immer bist du angesehen, wenn du nur öfter nüchtern wärst. Jetzt nimm deine Hand wieder weg, und hör auf meinen Rat. Junge Frauen sind nichts mehr für dich, du hast dich als hübscher Junger zu viel rumgetrieben in der Welt und eben keine Junge mitgebracht. Wer will das schon von einer Städterin hier, melken und den Stall ausmisten, bei aller schönen Aussicht und der guten Bergluft.

Du musst schon drüber nachdenken, was du noch für Chancen hast. Und bitte bleib bei der Wahrheit, schau mir mal ins Gesicht und nicht auf die Bluse, dann weiß du, dass ich dir nicht ganz trau. Und jetzt mach dich auf den Weg. Bis du oben bist, wirst du wieder klar im Kopf, und den Rest Käs und Brot packe ich dir ein. Servus.

Soweit meine Geschichte.

Alternative Vorschläge für Geschichten im Freundeskreis

  1. Franz trauert um den Tod seiner Frau, eines Kindes oder einer Kuh und holt sich Trost bei Frenzi, berührt sie ganz unbewusst wie eine mitleidsvolle Mutter, der er dennoch ein wenig zu nahe kommt. 
  2. Franz hat eine Sünde, Straftat oder Untat begangen und möchte bei einer Vertrauten eine Beichte ablegen. 
  3. Frenzi hat ihn hergebeten und wollte ihn tadeln und eine ärgerliche Aussprache halten wegen einer Kränkung oder einer ausgestreuten üblen Nachrede im Dorf.