Tilmann Moser

Salvador Dali: Bildnis von Laurence Olivier in der Rolle Richards III.

1955, Privatsammlung London

Zwiesprache

Das Kind: Ich hatte keinen Platz auf Erden, war früh verwaist, die Mutter starb gleich nach der Geburt, ich galt schon bald als Mörder ihres jungen Lebens, entkam ihrem schönen Leib mit verbogener Schulter, galt fast als Krüppel, wurde viel gehänselt. Verlor, kaum vier Jahre alt, den Vater, hingerichtet als Verräter. Nur Wochen später fiel der Onkel in der Schlacht. Wuchs auf bei Pflegeeltern, inmitten einer zahlreichen Kinderbande. Ich stählte dennoch meinen Körper und wurde ein Kämpfer und Kriegsheld, meist fern er Heimat auf französischem Boden. Geächtet als Thronfolger, weil der Vater den Anspruch der Krone verlor. Als er sie wieder erhielt, wurde ich legitimiert. Aber der Weg zur Herrschaft war noch weit und forderte grausame Kämpfe, später als Rosenkriege in die Geschichte eingegangen.

Mein Seelenerbe: Verwirrung, Trauer, Heimatlosigkeit, Misstrauen, Ängste, Kränkbarkeit, Jähzorn, Brutalität, Grausamkeit, Erbarmungslosigkeit und Größenwahn. Ein Schicksal, kaum zu ertragen, das Leben: immer nur zu erkämpfen, zwischen innerem Absturz und brennendem Ehrgeiz hin und her geworfen, mit dem Gefühl, verflucht zu sein, den Mitmenschen unbegreiflich und Furcht einflößend, mitten im Menschentrubel von bitterer Einsamkeit geprägt.

Der König: Mit graut vor dir. Ich sehr dirs an, dass du dir wieder in Melancholie gefällst. Dein Selbstmitleid widert mich an. Der Blick verloren nach innen gewandt, hast wieder Umgang mit deinen inneren Gespenster. Dein Haar: wir und ungepflegt, deine Haltung erschlafft, dein Gang gedrückt. Meine Scham über dich ist unerträglich. Ich versuche, dich zu vergessen. Nie werde ich dich je als Teil von mir anerkennen, verfluchter Verfolger in Alpträumen, der immer immer wieder in Selbsthass stürzt und in Todessehnsucht. Muss ich mich selbst ermorden, um dich loszuwerden. Manchen Mitkämpfern will es manchmal scheinen, als suchte ich vor Tollkühnheit selbst den Tod in der Schlacht. Aber ich scheine unverletzlich in meinem Rachedurst. Und wenn mir keiner Liebe schenkt, dann besaufe ich mich am Hass der Andern und werde immer verwegener. Er ist meine Kraftquelle, und im Befehlen und im immer neuen Rekrutieren meiner Heere vergesse ich dich. Wenn mein Blick die Menschen erschaudern lässt, ist das Leben erträglich, mancher krümmt sich gedemütigt wie ein Wurm vor mir. Mich erregt selten Fleischeslust, wohl aber Macht und Sieg, die böse Intrige wie die offene Schlacht. Du klebriges Scheusal, verschwinde!

Der Junge: Ich habe ein Lebensrecht wie du. Und wenn du mich nicht annimmst, mich als Freund akzeptierst, meine ständige Begleitung sogar wünschen lernst, wirst du gespalten bleiben unsicher in der Fassade des Wüterichs. Dann bleibe ich dein nächtlicher Besucher, Garant des ewigen Selbstzweifels. Du zwingst mich, heimtückisch zu werden. Ich erwische dich in Augenblicke der Schwäche, ich kenne die geheimen Zugänge in deine Seele, auch wenn du versuchst, die einzumauern in der Heldenpose und dem fürchterlichen Gewand der Grausamkeit. Du magst siegessicher sein bei Hof und im Kampf, ich wohne ja in dir, und ich kann dich erschrecken so wie du mich. Wir sind verknäuelt,und du ahnst es. Du kämpfst mit der Trunksucht gegen mich, und im Katzenjammer bin ich doch wieder zu Stelle.

Der König: Ich habe bereits zwei Leibärzte hinrichten lassen, die mich nicht von dir befreien konnten. Sie gaben mir bewährte Tränke gegen die Anfälle der Melancholie, gegen ein zähes wiederkehrendes Fieber, das sie als Ursache annehmen wollten. Sie verordneten mir Zerstreuung, Geliebte, Tourniere, ich schalt sie Versagen und ließ sie aburteilen, misstrauisch ob sie nicht im Bunde von Feinden wären. Ich witterte Verschwörer, die mir mit Gift ans Leben wollten, dabei bist du es, der keine Ruhe gibt und auf intime Verwandtschaft pocht. Ich habe Nebenbuhler der Macht beseitigen lassen, doch du bist nicht zu beseitigen. Du gleichst einem Flucht, und mir bleibt nur noch ein blutiger Exorzismus.

Der Junge: Glaube nicht an einen Exorzismus, auch wenn er kirchlich abgesegnet wäre. Es ist kein böser Geist, es ist nicht der Teufel, der in dir haust. Ich bin es doch, dein Zwillingsbruder. Pass auf in der nächsten Schlacht in Bosworth Field. Sie könnte dein Ende sein. Erst dann bist du mich los. Dann sind wir beide tot.