Tizian: Ländliches Idyll
um 1507/08, Privatsammlung und als Leihgabe in Fogg Art Museum, Cambridge, MA.
Frau: Ritter Kuno, ich weiß, dass Ihr Euch langweilt, hier auf dem Land un in unserer bescheidenen Burg. Euch lockt das Abenteuer, die Raufhändel, der kämpfende Männerbund,ja der Krieg, und nun der Kreuzzug. Was hat Euch der Papst nicht alles lautstark versprochen: die Befreiung und Rückeroberung des Heiligen Landes von den Ungläubigen, einen Feldzug als Dienst an Gott und unserm Heiland, Ruhm und Ehre, einen Platz im Paradies, nach ungeheurer Verkürzung des Fegefeuers. „Dieu lo voult!“, schallt es durchs Land, und alles rüstet sich zum Aufbruch, Tausende aus allen Landen, zu Fuß und beritten, in stolzer Rüstung wie Eure, die jetzt in der frühen Morgensonne glänzt. Ich weiß, Ihr wartet schon ungeduldig, dass Euch Euer bestes Pferd gebracht werde. Mein Flehen hat nichts genutzt, auch nicht die ausgestreckten Ärmchen des Kindes, nicht mein warmer Leib, das Kosen und sanfte und wilde Turteln in der Nacht. Und längst habt ihr, misstrauisch wie Ihr seid bei dem langen Abschied,habt Ihr mir schon den schmerzenden Keuschheitsgürtel anmessen lassen, wisst nicht, wie treu ich Euch sein würde, vor Gott haben wir es einander gelobt. Schon habt Ihr das Gesicht abgewandt, dem ach so fernen Land zu, wo ihr kämpfen und Beute machen wollte. Eure Rückkehr steht in Gottes Hand, dem Ihr dienen wollt, aber in Wirklichkeit versucht Ihr ihn. Ist Euch gegenwärtig, wie viele vom letzten Zug zurückgekehrt sind?
Ritter Kuno: Weib, was seid Ihr kleinmütig! Und voller Angst und Unverständnis für unseren großen Plan und Aufbruch. Für Gott und unseren Heiligen Glauben ist kein Mut und Eifer zu groß. Und außerdem verlangt es mein Lehnsherr, der einen Herzogstitel gewinnen will, wenn wir uns siegreich bewähren. Die Sarazenen besudeln das Heilige Land. Sie wollen unsere Kirchen und Burgen und Festungen dort zerstören, das Kreuz in den Staub treten, unsere Reliquien rauben und schänden: Christi Rock und Teile des Kreuzes und die Nägel, die Marterwerkzeuge, die Tropfen des Heiligen Blutes. Soll alles in ihrer Hand bleiben? Und wir wären zu furchtsam, es ihnen zu überlassen. Nein! Die Scham und Schande wären zu groß! Wenn der Papst und der Heilige Bernhard rufen, sind wir zur Stelle. Alles andere wäre feige Schmach.
Frau: Ritter Kuno, so mischt Ihr also Wallfahrt und Krieg, frommes Beginnen und Beutezug, Mordlust und Missionierung, Fernweh und Flucht vor der häuslichen Langeweile? Und denkt nicht an Eure Familien! Was nutzen mir Geld und Edelsteine, Seide und kostbare Gewänder, die Ihr vielleicht herbei schleppt, falls wir Euch wiedersehen. Ihr habt mir viel Geld gelassen für Messen um die Bewahrung Eures Leben und Eurer Seelen. Ich fürchte, Ihr werdet mehr sündigen als gut machen.
Kuno: Spart Euch Euren Tadel und Euer Flehen, der Entschluss ist gefasst. Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben! Auch Euch gewährt der Papst Ablass für Euer Dulden, Jahre der Hölle sind Euch geschenkt! Ermesst Ihr überhaupt das Gnadenwerk des Heiligen Vaters? Wir ziehen nicht umsonst nach Jerusalem, wir finden reiche seelische und schimmernde Beute. Selbst unser Besitz wird sich vergrößern, bedenkt das auch. Und reizt nicht meinen Zorn durch mit Eure Verzagtheit. Ich wende mein Gesicht ab von einem Weib, das keine höheren Ziele kennt als das ländliche Idyll. Pfui über Euch und Eure feige Liebe, die mich nicht länger aufhalten soll.
Frau: Schaut wenigsten noch einmal nach unserem Knäblein, das Euch nicht mehr kennen wird, wenn Ihr wiederkehrt. Es wird vergeblich nach Euch Ausschau halten und mich mit Fragen nach Euch bedrängen. Ich kann Euch nur begleiten in ständigem Gebet. Keine Kunde wird zu uns dringen, während Ihr fort seid. Auch mich werdet Ihr älter finden und vielleicht verhärmt, müde von weiblicher Herrschaft über das Gesinde, das sich sträuben wird, mir willig zu Diensten zu sein. Sie sind Eurer scharfes Regiment gewohnt, nicht meine zarte Frauenstimme. Ihr zieht stolz von dannen und überlasst mich der Sehnsucht und der Angst.
Kuno: Macht mir das Herz nicht schwerer als es ist. Und trotz aller Abschiedsschwere: es ist heiter und trotzig gestimmt, mit seiner Gier nach Kampf und fernen Ländern, nach Tapferkeit und Sieg. Dieu lo voult, und damit Ade!