Tilmann Moser

Kann man über Geilheit unter Gebildeten öffentlich sprechen?

Zur Würdigung eines oft versteckten Gefühls

Darüber schreiben scheint leichter als darüber zu sprechen, man denke an die Fülle des pornographischen Schrifttums, das nur darauf zielt, Geilheit zu wecken und zu nähren. Auch die Filmseite des Pornogeschäfts blüht, und die Stars des öffentlich kopulierenden Gewerbes treten ungeniert in Talkshows auf . Sie plaudern über die notwendigen oder hilfreichen Eigenschaften der Helden und Heldinnen, die aus dem Stand eine glaubhafte Begattung mit Nahaufnahmen der stöhnenden Münder oder der sogenannten Geschlechtswerkzeuge hinkriegen müssen.

Zahllose wirkliche Künstler haben dieser angeblichen Nachtseite ihrer Begabung freien Lauf gelassen, zum Beispiel Rodin, Klimt, Schüle oder Picasso. Schriftsteller haben sich an der Geilheit versucht: Felix Salten wird verdächtigt, die "Josefine Mutzenbacher" geschrieben zu haben, von John Clelland stammen die "Memoiren der Fanny Hill", „Fifty shades of Grey“ von E. L. James. Manche haben sich sogar verurteilen lassen, wenn sie nicht nur für private reiche und die Lüsternheit kultivierende Auftraggeber gearbeitet haben, wie etwa beinahe der Maler Boucher im 18. Jahrhundert. In neuerer Zeit waren, wenn es zur strafrechtlichen Anklage kam, unzählige Kommissionen und Gutachter tätig. Sie haben literarischen oder malerischen Werken, der Pornographie verdächtigt, das Gütesiegel der Kunst verliehen, gelegentlich erfolglos, bei Erfolg konnten sie die Autoren der Verfolgung entziehen. Heute ist fast nichts mehr verboten, es sei denn, es gehe um Gewaltverherrlichung oder um Kinderpornographie.

Das Wort geil blüht in der Pennäler- und Studentensprache, viele interessante Dinge oder Aktivitäten sind geil oder affengeil oder superaffenobergeil; der Bezug zur ursprünglichen Bedeutung scheint verloren. Dabei war dem Gebrauch des Wortes einmal eine erhebliche Portion Eltern-Schockieren beigemengt. Doch heute bringen es schon die Fünfjährigen aus dem Kindergarten und die ABC-Schützen aus der Schule mit nachhause, die noch nicht einmal wissen, was damit gemeint sein könnte.

Die Sexualisierung der Werbung wird von jedem anständigen Kulturkritiker verurteilt, von jeder feministischen Initiative in Grund und Boden verdammt. Dabei ist sie eher anzüglich, lüstern, aufreizend, anmachend, aber nicht unbedingt geil. Geilheit gehört zu einer anderen Domäne der Sexualität. Und die Top-Models würden echt giftig, wenn man sie eines geilen Berufes bezichtigen würde, aber anzüglich dürfen ihre Auftritte schon sein. Dagegen weiß man, dass andere Mädels den Agenturen die Bude einrennen und es kaum erwarten können, bis sie sich ausziehen dürfen und die Kamera und das Blitzlicht ihnen den Glanz im Mutter- oder Vaterauge oder des jubelnden Publikums ersetzt. Mit geilen oder aufgeilenden Posen bezahlen sie dafür, dass sie beachtet werden. Und eine Karriere als Pornosternchen ist der Wunsch vieler junger Damen, die zwischen dem Traum vom berühmten Model und dem vom hüllenlosen Paarungsgewerbe noch schwanken. Der Lohn ist, neben dem Geld, das für die Noch-nicht-Stars spärlich fließt, der geile Blick des Objektivs, mit dem sich der Kameramann als das stellvertretende Große Auge voll identifiziert, und hinter dem sich die geilen Blicke der Männer verbergen, um die es ja geht..

Was ist eigentlich Geilheit? Es ist ein dranghaftes Gefühl, das auf sexuelle Entladung drängt, die aber nicht unbedingt gesucht wird. Das ist paradox. Sie kann ersehnt werden, real oder in der Vorstellung. Aber ebenso wichtig ist der Blick, die Neugier, die Erregung über ein Geheimnis. Die Bilder können auch Phantasien sein, die das Begehren wecken. Geilheit überschwemmt das Gehirn, sie scheint in intensiven Stadien der Lustsuche zwanghaft, und verharrt doch sehr oft auf der Schwelle zur Realisierung der geil machenden Vorstellungen oder ist nur ein Vehikel zur Selbstbefriedigung, um danach wieder für eine Weile in sich zusammenzufallen. Denn wie das sexuelle Begehren wird Geilheit repetitiv gesucht, doch es gibt keine wirklich Befriedigung ohne Aktion.

Mein Gewährsmann für Geilheit, über die man selbst unter Freunden selten spricht, der Arzt Wolfram P., hat nicht nur die eigenen Abgründe erforscht, sondern sich als Seelenberater von betroffenen jungen Menschen ein Bild machen können, was sich hinter der oft unbeteiligt scheinenden Fassade scheinbarer Ungerührtheit verbirgt. Er ist zu der Auffassung gelangt, dass Geilheit ein Doppelgesicht besitzt: Einerseits ist sie eine Energie, die die Welt mit am Laufen hält, weil sie, Liebe hin oder her, die Menschen zur Fortpflanzung treibt, obwohl sie keine spezifisch eheliche Kraft zu sein scheint. Sie ist sozusagen der Motor im Motor der Sexualität. Andererseits gelangt er zu dem Schluss, dass viele Menschen von Geilheit regelrecht geplagt werden, weil sie nicht endgültig oder wenigsten stöhnend zu befriedigen oder zu löschen ist. Dies um so mehr, wenn Menschen keinen Zugang zu sexueller Erfüllung finden. Doch selbst sexuelle Erfüllung befreit oft nicht von der Fortdauer der Geilheit, und deshalb, so sagte er mir wiederholt, stehe er nicht an, sie als eine Krankheit, mindestens aber ein schwerwiegendes Symptom zu betrachten, von Jugendlichen bis hin zu den berühmten lüsternen Greisen.. Auf deren Erforschung hat er viel Zeit und viele Gespräche verwandt mit den wenigen Menschen, die ihm vorurteilslos genug erschienen, um unbefangen mit ihm reden zu wollen. Ich sah es als eine Ehre an, dieser Gespräche für würdig befunden zu werden, und er verhalf mir dazu, als mein Wille zur Aufrichtigkeit gewachsen war, in einige eigene Abgründe zu schauen, die ich als Jugendlicher lange vor mir zu verbergen versucht hatte. Gleichzeitig lehrte er mich, milder über diese heimlichen Seiten zu denken.

Fast schonungslos berichtete er mir von den Verstrickungen seiner eigenen Jugend, und was dort fehlte, ergänzte er aus den allerjüngsten Einblicken in die Verwirrungen seines Zöglings Peter, der, da er sich an Geilheit schwer erkrankt fühlte, bereitwilliger als die meisten seiner Altersgenossen, auf mühsame Bekenntnisse einließ. Durch ihn gewann er auch Einblick in das Innenleben einer Jugendbande, die sich, einige Jahre früher, die Erkundung und das Ausleben von Geilheit zu einem ihrer Ziele gesetzt hatte.

Einige Frauen, denen ich diesen Text zu lesen gab, reagierten mit Wut oder wenigstens Kopfschütteln über die Geilheit, die hier als Männersache dargestellt wird. Die Frauen wären dann nur Objekte und Opfer. Es steht mir nicht zu, Geilheit aus der Sicht der Frauen zu schildern. Ich kann diesen nur vorschlagen, ihre mögliche Wut gegen den lieben Gott zu richten, der die menschliche Natur so eingerichtet hat, dass sich bei vielen Männern die Nüstern blähen und die Pupillen weiten, wenn sie a) bestimmte meist weibliche Bilder sehen, und b) mehr oder minder an diesem nicht immer als Krankheit erlebten Zustand leiden, den man mit der Doppelgesichtigkeit eines Rausches vergleichen könnte. Den Text erlebten sie deshalb kritisch als in den Stilebenen schlingernd. Ich behaupte dagegen, dies gehöre zu meinem Zugang zu dem schwierigen Thema. Fest steht auf jeden Fall: Viele Frauen erleben Geilheit ganz anders als Männer, und manche behaupten verschämt, sie kennen dieses Phänomen gar nicht, höchstens in unwillkommenen Träumen, von denen sie sich zu ihrer Beschämung und Befremdung heimgesucht fühlen.

Vieles, was ich im folgenden berichte, werde ich der Einfachheit halber diesem Peter zuschreiben, dem es, wenn er nur nicht kenntlich wird, einen durchaus prickelnden Spaß bereitet wird, der Held eines literarischen oder therapeutischen Essays zu werden. Sprachlich muss ich mir selbst einen rechten Ruck geben und hoffen, dass sich nicht die Zeilen verbiegen oder sich sträuben wollen. Denn natürlich sind mir in meinem sogenannten passiven Wort- und Bilderschatz die meisten Ausdrücke von Geilheit spielend geläufig, manches sogar aus der realen Erfahrung. Will ich sie aber niederschreiben, dann fürchte ich mich durchaus vor dem Urteil des als anständig und tadelsbereit vorgestellten Lesers oder Hörers, der mich selbst eines krankhaften Hanges zum Unanständigen zeihen könnte. Dabei fühle ich mich doch nur wie ein Berichterstatter, der sich freilich mit einem massenhaften Seelenereignis auseinandersetzt, das Menschen oft hinterrücks und überraschend heimsucht und verwirrt, selbst wenn die Reizbilder oft auch gesucht werden. Aber das macht die Sache nicht besser.

Schon die Suche nach den Auslösern der Geilheit kann qualvoll und beschämend, aber auch wiederum reizvoll sein, weil hinter der Suche die Verheißung lockt, ja eine Art Erlösung, die aber so viel trügerischer ist als die der zielstrebigen und zielbewussten Suche nach Sexualität. Oft aber ist nur diffuse bildlose Geilheit da, bereitet dennoch Unruhe und sucht sich konturierende Bilder. Geilheit und Sexualität können sogar in einen Gegensatz geraten, so wie sie sich manchmal auch unterstützen und steigern.

Soweit die Vorrede, mit der ich mir Mut anzuschreiben versuche.

Mein Gewährsmann berichtet mir, dass das Jahrzehnt zwischen seinem vierzehnten und vierundzwanzigsten Lebensjahr für ihn qualvoll war wegen der Geilheit, die er als solche nur erlebte, nicht aber sprachlich oder gar begrifflich-psychologisch fassen konnte. Selbst vor dem Ausdruck hatte er Angst, weil er ihn mit drohender und nicht wieder zu korrigierender Verworfenheit gleichsetzte. Er durfte nicht wissen, dass er an Geilheit litt, und dass sein Leiden einen Namen und einen Ursprung hatte, nicht zuletzt im Klima seiner prüden und gleichzeitig von unterschwelliger Lüsternheit durchzogenen Familie. Sexualität war dort ein Tabu, und Tabus machen, wie man weiß neugierig. Er spielte nicht mit Nachbarskindern, er war in der Schule ein Sonderling, und so kam es, dass er bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahr weder eines weiblichen Genitales noch eines anderen männlichen Organs ansichtig geworden war, an dessen Anblick er sich hätte beruhigen können über seine Zweifel an der tauglichen Größe seines eigenen Penis. Nein, ich gebe mir jetzt den Ruck und wiederhole das durchgestrichene Wort Schwanz, weil es so ja auch in seinen Berichten lautet, und weil Peter als hilfreicher Stichwortgeber ohnehin von nichts anderem redet. Das ohne Zittern in der Stimme ausgesprochene Wort Schwanz, das W. über lange Jahre immer und immer still oder halblaut oder auf einsamen Spaziergängen auch laut geschrien wiederholen musste. Dies habe schließlich sogar eine gewisse Ruhe in den Umgang mit seinem Meister Iste gebracht, wie unser größter Dichter ihn nennt.

Die Geilheit habe ihn oft so überkommen, dass er stundenlang in den frei Haus gelieferten Versandhauskatalogen die Bade- und Unterwäschemoden habe studieren müssen, dabei vorzugsweise die von den jungen Mädchen in den unschuldig-anmutigen Posen, die von Sexualität noch nichts zu wissen schienen. Mit dem Blick habe er versucht, die leichten Hüllen zu durchdringen, um endlich zu erfahren, wie es darunter ausschaue. Dabei habe er geschwankt zwischen ritterlicher Großmut, mit der er bat, ihn nur zu wissenschaftlichen Zwecken kurz das von farbenfrohen Reizen umflorte Allerheiligste inspizieren zu lassen, und bösartiger Gewalttätigkeit, mit der er ihnen in der erregenden Phantasie die Kleider vom Leib riss. An manchen Tagen zeigte er den Papiermädchen sein pralles Glied, Verzeihung, seinen knochenharten Schwanz oder Ständer, wie er ihn dann stolz nannte. Und wiederum war seine aufgeregte Person gespalten: Er gewährte ihnen, wenn sein Selbstbewusstsein aus irgendeiner Richtung einen schweren Schlag erlitten hatte, die "Gnade des Anblicks", um sie zum Staunen zu zwingen, wie er mir gestand. An anderen Tagen wollte er die muntere Schar nur erschrecken.Oder er wichste im Zorn über ihre Unnahbarkeit auf ihre noch immer nicht erschrockenen Gesichter und schämte sich unendlich und bat um Verzeihung. Er verstrich das Sperma über die Seiten, weil er sie trocknen wollte, um zu prüfen, ob der vergossene Lebenssaft eine besondere Brenn- oder gar Heizkraft hatte. Diese Erforschung seiner Potenz, von der er sich noch nicht vorstellen konnte, dass er mit ihr je eine wirkliche Frau beschmutzen dürfe, verlieh seinem geilen Nachmittag ein angeblich wissenschaftliches Mäntelchen, das einen Teil seines Gewissens und seiner Scham beruhigte. Manchmal bildete er sich sogar ein, einen geheimen Auftrag zu diesem Tun zu haben, und wollte sich für seinen Mut bewundern, mit dem er, zur Anstachelung seiner Aktivität, die Worte Fotze und Möse abwechseln vor sich hin sang. Er verstand jetzt auch, ohne selbst einen solchen schriftstellerischen Graffitti-Mut zu haben, warum viele Knaben mit ähnlichem Leiden an allen möglich Orten, vorwiegend aber in WCs oder schwer zugänglichen Wänden ähnliche Worte in vielen orthographischen und kalligraphischen Varianten, an die Wände pinselten.

Da die Geilheit, was die Suche nach Reizen angeht, mit einem Radargerät versehen scheint, das auf die Aufdeckung von anzüglichem Material programmiert ist, bekenne ich, dass ich schon bei dem Wort pinseln wieder aufgeregt oder gar erregt werden könnte, wenn mir nicht mein reiferes Alter eine gewisse Gelassenheit beschert hätte.

Mit den vielen Pubertätswitzen, die diese Atmosphäre der Geilheit in Reinkultur enthalten, will ich den Leser verschonen. Sie befriedigen einerseits die pure Lust am aufputschenden Benennen der Geschlechtsteile und ihres Gebrauchs und entzünden also dauernd das Feuer des kleinen Tabubruchs. Andererseits betonen die Witze gegenüber denen, die noch keinen Zugangs zur Sexualität haben - vielleicht außer dem der Onanie (vulgo Wichsen oder sich einen herunterreißen oder von der Palme schütteln), das muss doch mal ausgesprochen sein, wenn man über Geilheit schreibt) -, also, sie betonen, dass Sexualität wirklich stattfindet, obwohl man es doch noch nicht so recht glauben kann. Sie betonen ebenfalls, dass man die Erwachsenen quasi erwischt hat oder dass man den lüsternen Subtext vieler alltäglicher Äußerungen versteht oder ihn auch erfindet. Kleines, harmloses Beispiel: "Wie heißt der chinesische Gesundheitsminister oder der Polizeipräsident von Peking? - Unwissendes Achselzucken.

Antwort: „Swing dei Ding!" Dazu zehn Varianten, die ganzen Ministerien durch, oder das Politbüro, je nach Wahl, oder auch die verschiedenen Nationen, in deren verballhornte Namen man das Immer-Gleiche verpackt. Vyk van Voorn oderVyk van Hint, echt niederländisch! Was soll daran krankhaft sein? Zunächst noch gar nichts. Es ist eine Frage des Maßes oder des Grades der Unfreiheit.

Soll ich verraten, was der Mösenblick ist? Ich schiebe ihn Peter zu, dem in Geilheit Ertrinkenden. Es ist der Zwang, überall dort, wo der unschuldige oder der gesuchte Zufall einen Blick zwischen die Beine einer Frau oder eines Mädchens erlaubt, und sei sie noch ein Kind, dass diesem Blick gefolgt werden muss. Der Zwang setzt schon ein, wenn nur ein Rock sich leicht hebt, denn das kann elektrisierend verheißungsvoll wirken sein; wenn unter einer engen Jeans sich der Slip abzeichnet. Der suchende Blick in der Badesanstalt muss erkunden, wie spitz ein Badeanzug zuläuft; mit einiger Anstrengung beobachten, ob Schamhaare sichtbar sind; ob ausrasiert wurde. Das Schwimmbad ist radioaktives Territorium: Der von Geilheit Getriebene spürt, wann sich eine Frau auf der Wiese umziehen wird. Er spürt, ob da ein Spiel kleiner Mädchen ergiebig ist; er wittert hinter Büschen sich Küssende, die in Selbstvergessenheit versinken werden, sodass sie seinen Blick nicht spüren; er muss beobachten, ob die Vulva sich abzeichnet unter den dünnen und engen Sommerhosen.

Aber der mit Geilheit Geschlagene muss kein Spanner sein, vielleicht nur eine Vorform davon, oder eine ganze Variation von Vorformen.

Geilheit ist aufgeladen mit jugendlicher Frustration, die weit ins Erwachsenenalter hinüberströmt; mit unerfüllter Neugier, mit sexuellem Drang, vor allem aber mit der frühen Prägung einer sterilen und gleichzeitig hoffnungslosen Aufgeregtheit über das Thema Sexualität. Sie konnte oder kann noch nicht gelebt werden konnte, sondern hat sich in die Sonderformen des Schauens, Hörens, Witterns ausgegossen und sich dort verfestigt hat.

Geilheit als Infektion verharrt meist vor der Schwelle zur Perversion, obwohl sie sich dorthin entwickeln kann. Viele, die mit Geilheit geschlagen sind, müssen sich mit der Angst, abnorm zu sein herumschlagen. Sie sind unfrei, weil die Prägungen der Pubertät fixiert geblieben sind. Sie müssen wittern wie die Jagdhunde und sind kaum von der Beute ihres Blickes abzubringen, den sie doch geschickt zu verbergen wissen. Neben dem Mösenblick gibt es den Busenblick, der Achselhöhlenblick, den Arschblick und andere Sonderformen, die oft mit dem zufälligen oder gezielt arrangierten Grad der Verhüllung ihres Objektes zu tun haben.

Viele Frauen und Mädchen haben ein Gespür für diese Blicke. Es ist, als ob das Wild eine Gegenwitterung hätte. Fast könnte man es ein Glück nennen, dass bis zu einem gewissen Grad der Impertinenz eines Blickes die Erblickten oder Beobachteten eine Gelassenheit, eine Freude, einen Triumph oder eine Lust aufzubringen vermögen. Sonst wäre der Krieg der Blicke, wogend zwischen Liebkosen und rüdem Entblättern, unerträglich. Die Natur, vom gesellschaftlichen Rollenspiel überformt, absorbiert einiges von der Geilheit und verwandelt sie in Bestätigung. Je nach Temperament und Vorerfahrung und Laune vermögen Frauen einen geilen Blick in einen Flirt-Blick zu verwandeln und ihn damit zu entgeilen. Andere aber erleben einen Flirtblick in ein freches Betasten und sind empört. Doch die wirklich geilen Blicke sind oft lästig, und es gehört, da sie unvermeidlich sind, viel Sicherheit dazu, sie zu ertragen. Kerle wie Peter genießen es auch, Frauen und Mädchen aus ihrer gelassenen Ruhe zu bringen: sie sich abwenden oder erröten zu lassen. Das spendet männlichen Triumph und ein Machtgefühl, das die Ohnmacht, die oft in der forschenden Geilheit steckt, vorübergehend kompensieren kann. Denn Geilheit ist ohnmächtig, auch demütigend. Sie ist gezwungen, der Frau, sogar dem Kind, den Besitz des Geheimnisses, der phantasierten Befriedigung, ja, der sexuellen Gnade zu lassen. Manch einer merkt gequält, dass er mit hündischen Blick schaut, mit Bettlerblick, mit dem Blick dessen, der in Kindheit und Jugend zu lange gedarbt hat, und der sich dauernd schauend weiden muss, statt essen zu dürfen.

Es ist die Verknüpfung von Sexualität und Geheimnis, verbunden mit tief inneren Zweifeln an der eigenen sexuellen Tauglichkeit, die Geilheit so zäh, so unstillbar machen. Denn risse der Jugendliche den Katalogschönheiten die Kleider weg, wie er es erträumt; dann wäre er verblüfft, erstaunt, erfreut, entsetzt, gierig oder verängstigt, aber das Geheimnis wäre plötzlich geheimnislos, und das will er gar nicht. Denn er ist fixiert, oft bis ins hohe Alter, auf das prickelnde Geheimnis, das er einst als Kind neugierig zu erforschen versuchte, und an das er gekettet blieb.

Täuschen wir uns nicht, Geilheit ist weit verbreitet, wuchtig oder in feineren Abstufungen. Sie trennt im Erleben häufig Frauen und Männer, das erfährt man spätestens dann, wenn man mit eine Frau zusammen ungewollt Zeuge eines Geilheit erweckenden Anblicks wird - es sei denn, das Paar hätte Übung in solchen Situationen. Dann driften oder jagen die Beiden seelisch auseinander, man ist als Mann geneigt, sich zu schämen oder sich oder den anderen der unanständigen Geilheit zu verdächtigen. Meistens werfen sich die Männer in die Pose der Korrektheit: „Wie peinlich“, der Anblick kopulierender Hunde in nicht zu übersehender Nähe.

Die Frauen lieben oft mehr als den auf sie gerichteten Blick den geilen Blick der Männer auf beobachtete Frauen oder Szenen.Die Männer sind die Kundschaft der Peep-shows und der Erotik-Kinos. Sie streunen um Eros-Boutiken herum und drücken sich an den Auslagen entlang, wenn sie die Schwelle nach langem Zaudern einmal überschritten haben. W. erzählte mir die einzelnen Schritte über die Schwelle und die lange und mühsam errungene Übung darin, unbefangen zu erscheinen. Bis er seinen ersten Band mit Nacktfotos erstand, dauerte es Jahre, und dann merkte er, dass es prickelnder war, halbbekleidete als nackte Damen zu betrachten. Der Franzose Boucher beherrschte sein Handwerk, Nacktheit und Drapierung gekonnt zu mischen.

Die meisten Jugendlichen entdecken eines Tages die Pornosammlung ihres Vaters und reagieren oft mit Verachtung, die ich noch nicht zu deuten weiß.

Aber genug nun der Männerbeschuldigung. Weder W. noch ich können sich als kundig bezeichnen in Sachen weiblicher Geilheit, sie wird vor Männerohren meist sorgsam verborgen. Ich habe mich schon glücklich gepriesen, dass sich unlängst eine Freundin überhaupt in ein Gespräch darüber einließ, und muss zugeben, dass ich meinen Ohren nicht traute, wie geläufig ihr das Thema war, und wie relativ freimütig sie darüber berichtete, eigene Erfahrungen eingeschlossen. Aber darüber sollte sie selber sprechen. Ich will nur so viel verraten, dass dem männlichen Mösenblick der Schwanz- und Hodenblick entspricht.Er sucht der mit der gleichen, manchmal obsessiven Neugier die Gestalt und Lage des Gemächts in der Hose zu orten. Natürlich dachte ich, um mir den Glauben an ihre Reinheit zu erhalten, den ich den Frauen als Jüngling immer zugebilligt habe, dass es da statistisch gewaltige Unterschiede geben muss: Auf zehn Mösen- oder Spaltenblicke kann doch höchstens ein geiler Klötenblick kommen, ansonsten fände ich die sittlichen Grundlagen unseres Staates auf gefährliche Weise unterhöhlt.

Aber just um diese Zeit informierte mich mein Gewährsmann über ein spätes Geständnis seiner hochbetagten Tante, die ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraute, dass ihre lebenslange Leidenschaft für Kirchen nicht zuletzt damit zusammenhing, dass sie "wie zwanghaft", aber doch in spürbarer Erregung, immer wieder versuchen musste, dem Gekreuzigten unter das Lendentuch zu schauen. Und da dies meist unmöglich war, musste sie, scheinbar in einer Kirchenbank ins Gebet vertieft, phantasieren, was sich darunter verberge. Sie war sich des gotteslästerlichen Charakters ihres Forscherdrangs durchaus bewusst und auch bereit zuzugeben, dass ebendies ihre nach außen unerkennbare Geilheit erhöhe.

Als ich vor Jahrzehnten einmal in erregter Neugier "Die sexuellen Phantasien der Frauen" von Nancy Friday las, konnte ich noch nicht glauben, dass dieses Buch auch für deutsche Frauen Gültigkeit haben sollte. Mit ähnlichen Gedanken wurden ja auch die Bücher von Masters und Johnson in den sechziger Jahren als für Europa ungültig um ihren Aussagewert gebracht.

Die Geilheit, meist optischer Art, lebt von der Brisanz des Geschlechtsunterschiedes, die diese in bestimmten Zeiten, wenn auch mit großer Streubreite, für Kinder und Jugendliche hat. Je mehr Verborgenheit einer zu erleiden hatte, desto wütender will die Neugier ein späte Erfüllung. Da kann einer längst verheiratet sein oder sich mit vielen Freundinnen verlustiert haben: Die Fixierung auf das damals ungelöste oder erschütternde oder aufwühlende oder infrage stellende oder erschreckende Geheimnis bleibt und muss immer neu umkreist werden. Der Forscherblick ist schier unbezwingbar und nie zu beruhigen. Es kann einem in einem Schwimmbad geschehen, dass man sieht, wie eine Reihe von Männerköpfen sich im Schrittakt einer leicht geschürzten Dame bewegt; am sichersten passiert es aus einer Perspektive von unten, etwa wenn die Männer im Becken stehen und die Halbgöttin des Geheimnisses ihre unsichtbare Möse wie eine Monstranz vor sich her schiebt. Dies ist ein typischer Männersatz, ich gebe es zu; wie ihn eine Frau formulieren würde, weiß ich noch nicht.

Die Männer scheinen vom aufregenden Geheimnis des Geschlechtsunterschiedes mindestens an der Oberfläche oder auf der Verhaltensebene tiefer heimgesucht als die Frauen. Ja freilich, wie konnte ich es vergessen: Sie haben die Kastration immer noch v o r sich und müssen zwanghaft herausfinden, wie es sich ohne Schwanz lebt, und können es nicht fassen, dass Frauen mit einer solchen Anmut danach weiterexistieren. Die Männer müssen also nicht nur das Rätsel des Geschechtsunterschiedes lösen, sondern auch dieses: Wie man, unten ohne, mit solcher Nonchalance leben und damit auch noch eine solche Anziehungskraft entfalten kann, ja eine sanfte Gewalt des lockenden und verwirrenden Übergriffs ohne jede Berührung, die manchmal einem Besatzungsregime gleicht. Denn die Geilheit wird oft als eine Art passive Fernsteuerung erlebt, wie es eine ungarische Seelenforscherin einmal dargelegt hat.

Männliche Geilheit hat also auch mit Verblüffung zu tun, mit der Herausforderung des Es-nicht-fassen-Könnens. Dagegen hülfe nur Abwendung und Blickaskese, aber wer bringt schon diese Seelenstärke auf. Manchmal hilft die Aggressivierung des Blicks, sozusagen die Rache für die Erregung in Form einer Vergewaltigung auf der Netzhaut, oder wenigstens eines genüsslichen Ausziehens oder eines Anstarrens. Dieses macht dem geil machenden Opfer deutlich, dass es für wenige Augenblicke nur Objekt ist, dem man es heimzahlt, dass sie ein Weib ist und unten ohne lebt. Und dieses verdammte Ohne ist auch noch das Zentrum der Neugier und der Sehnsucht und ein Rätsel, das man, einmal zur Geilheit verdammt, auch dann nicht löst, wenn man später immer wieder ganz real die Nase hineinsteckt.

Gibt es ein Fazit für solch krause Gedanken? Geilheit als prickelndes Gewürz der Sexualität ist ein Geschenk der Natur; Geilheit als Plage kann eine Last sein, für Männlein wie für Weiblein, vor allem, wenn sie sich gegenseitig damit plagen. Die Frauen reklamieren meist die Unschuld für sich, partiell vielleicht sogar zu Recht.

Geilheit ist eine Lust und eine Seelenkrankheit, wenn sie zur Heimsuchung geworden ist. Sie ist früh angelegt ist, wenn das Kind den Geheimnissen der Sexualität hilflos und von Verboten eingeschüchtert ausgeliefert ist. Aber die heutige erotische und sexuelle Überreizung kann das gleiche Ergebnis haben: ebenfalls eine frühe Prägung auf Erregung, die um die Geschlechterdifferenz kreist.

Zum Schluss eine Beobachtung, die mich als Mann spüren ließ, was Frauen erleben, wenn sie gleich von mehreren Männern geil taxiert werden: Drei halbwüchsige Mädchen saßen bis zum Hals im Wasser des Thermalbades. Als ich die Treppe zum Becken herunter ging und an ihnen vorbei musste, hörte ich die eine kichernd sagen: "Guck doch mal, was der in der Hose hat." In meinem Körper zog sich alles zusammen, ich wäre gern unsichtbar gewesen. Die blonde Brut rückte noch näher zusammen von unten besehen, offenbaren musste. Sie kicherten weiter und neigten sich einander in fröhlicher Intimität und Verschworenheit zu. Da ich inzwischen selbst bequem und geschützt im warmen Pfuhl lag, fand ich meine Gelassenheit wieder und ergötzte mich an dem Schauspiel, das die meisten Opfer gar nicht bemerkten, wenigstens nicht bewusst. Aber ich glaubte kleine Zeichen des Unbehagens zu beobachten: Einige beschleunigten plötzlich den Schritt, und um die rasch wechselnde Gruppe schwebte eine kleine Wolke intimer Feindschaft, die schnell ihre Umrisse veränderte. Fast wurde ich geil über ihrer Geilheit und empfand meinen Blick, kurzzeitig meinem wieder jugendlichen Gewissen ausgesetzt, als einen verbotenen Blick auf eine verbotene Szene. Er war verbunden mit dem Impuls, die Opfer zu warnen, so wie ich als junger Ritter manchmal Frauen hatte retten wollen, wenn die bedenkenlosen Altersgenossen ihre, wie mir damals schien, verdammungswürdigen Witze über sie rissen.

Im warmen Wasser, das schon die Römer umspülte, fiel mir ein anderes Erlebnis aus scheinbar unschuldiger Kinderzeit ein, das ich später immer verband mit dem Bild der Mänaden, obwohl ich damals noch nicht Sänger und auch vom Tode noch weit entfernt war. Auch will ich nicht den Eindruck erwecken, ich betrachtete mich vom Typ her als Opfer von Frauengeilheit. Ich will nur die einseitige Last der Beschuldigung von meinen schmalen Männerschultern wälzen und ein wenig davon abgeben.

Glaubt man denn wirklich, die Jahre der Pubertät von Mädchen seien frei von geilen Phantasien (vorausgesetzt, sie sperren sie nicht weg in den Käfig der unbewussten Träume), nur weil sie nicht Wände beschmieren und lauthals Witze reißen? Sie haben vielleicht ein größeres Potential der Verdrängung, und der Trieb drängt sie weniger stark, von seiner Einbettung in tragfähige Beziehungen abzusehen. Also mag es weiter dabei bleiben, dass Geilheit als regelrechte Erkrankung oder Heimsuchung mehr die Männer als die Frauen erfasst und vielleicht auch mehr Unheil anrichtet, wenn in manchen Situationen wie Krieg und Eroberung alle Hemmungen fallen.

Also zu der versprochenen Episode: Erneut sind zwei halbwüchsige Mädchen beteiligt: Sie hatten mich als etwa sechsjährigen Jungen zu hüten. Sie waren in der Stimmung, Sexualforschung zu betreiben, bogen mich, kichernd erregt, nach rückwärts so über ihre Knie, dass sie in meine lockeren Spielhosen tiefen Einblick nehmen konnten. Ihr Erregung muss mich angesteckt haben, ich konnte eine Bubenerektion nicht vermeiden, was sie zu dem Ausruf veranlasste: "Guck mal, was der schon für eine Maschine hat!" Ich schämte mich in meinem Festgehalten sein, war aber auch maßos zornig und schrie sie an als "Schweine!" Sie ließen los, und wir verliefen uns wieder, unterschiedlich erregt oder beschämt oder empört, in dem großen Garten. Beim Abendessen waren sie scheu und still, als fürchteten sie Anzeige und Bestrafung. Aber was hätte ich sagen sollen, mir fehlten die Worte und der Mut, und sie hätten mich sicher der frechen Lüge geziehen. Und die Feriengastfamilie hätte sich vielleicht über meine verdorbenen Phantasien aufgehalten oder übe meine Neigung zu petzen oder zur Lüge.

Zweites Fazit: Geilheit ist ein segensreiches Naturphänomen, und in der Steigerung eine seelische Krankheit. Mein therapeutischer Gewährsmann meint, er brauche manchmal sehr lange, bis er bei betroffenen Klienten zu deren Ursprüngen gelange, weil selbst bei abgebrühten Geilen die Geständnisscham riesig sein kann. Das Fernsehen, das Kino, die Werbung und die Pornographie binden wohl eine Menge Geilheit, aber sie stachelt sie eben auch auf. Deshalb ist ein Urteil so schwer, ähnlich wie bei den Gewaltfilmen. Man kann von einer Industrie sprechen, die die Geilheits-Sucht bedient, und sie liefert genug Stoff für moralisierende Predigten und besorgte Kulturkritik. Wenn ein Tier brünstig wird, verengt sich seine Welt und seine Instinkte auf Partnersuche, die oft nur wenig von Beziehung enthält. Die elementare Wucht des Triebs ist häufig beeindruckend. Möglicherweise sitzen in der Geilheit der Menschen ganz archaische Abläufe, auch wenn sie durch viele biographische und situative Faktoren überformt werden. Was die Geilheit als abgrenzbares Phänomen gelegentlich beunruhigend macht, ist ihre mögliche Ablösung von Partnersuche, Fortpflanzung, Festigung von Beziehungen, Kultivierung des Daseins, usw. Sie scheint schwer kultivierbar. Wo sie in der Kunst glückt, sind wir dankbar, dass wir sozusagen frei von Schuld hinschauen oder hinhören dürfen. In der Regel enthält sie einen bedrohlicher Aspekt von Einsamkeit, auch wenn sie in Banden von Jugendlichen zum Kitt ihrer Beziehung werden kann.

Eine explosionsartig angewachsenen Industriezweig bildet die Pornofilmbranche, die weltweit agiert und deren Produkte mit Kopfdruck in Sekundenbruchteilen verfügbar sind. Die bedienen eine Fülle von Formen von zielstrebiger Suche: Nach Stimulierung von sexueller Erregung, Suche nach der Vielfalt von erotischer Betätigung,Voyerismus, und nicht zuletzt das Hervorrufen von zunächst zielloser Geilheit, die aber auch in eindeutigeres sexuelles Übergehen kann. Die Suche nach einen körperlich-seelischen Zustand kann sich als Sucht darstellen, die Krankheitswert haben kann. Wie in meinem Aufsatz „Psychoanalyse der Pornofilmsucht“ dargestellt, dominiert eine fast unendliche Fülle über der gezeigten sexuellen Betätigungen. Sie schloss bis vor einiger Zeit „Unzucht“ mit Tieren,. bevorzugt Pferden und Hunden mit ein, außerdem Gruppen-Vergewaltigung von Soldatengruppen mit rücksichtslosem Massengebrauch der Opfer. Der Vorteil für die Täter war die Reduktion der Hemmung individueller Gewaltanwendung oder die Beseitigung von Überichproblemen wie die kollektive Beseitigung von Angst angesichts einer eventuell strafenden Besatzungsarmee.