Tilmann Moser

Kommentar zu den Aufsätzen von Rainer Richter und Reinhard Plassmann, Heft 2/2013

Tilmann Moser (2013)

Die hoch qualifizierten therapeutischen Kollegen, die als Lehrer in den verschiedensten, zum Teil tiefenpsychologisch orientierten Verfahren Ausbildung und Fortbildungen anbieten auch für Psychoanalytiker und psychologische Psychotherapeuten, in: Psychodrama, Gestalttherapie, Bioenergetik, konzentrative Bewegungstherapie, Verhaltenstherapie, Biodynamik, verschiedene Formen von Körperpsychotherapie usw., berichten immer wieder von der gleichen schmerzlichen Erfahrung: Wenn die Kollegen zum Wohle ihrer Patienten eines dieser Verfahren wohldurchdacht in ihre psychodynamische Behandlungspraxis integrieren und darüber in den Antragsberichten auch schreiben, erhalten sie die Anträge oft zurück, verbunden mit teilweise entwertenden Bemerkungen, dass all das nicht zum zulässigen Kanon tiefenpsychologischer Behandlungen gehöre.

Da viele Therapeuten inzwischen aber mit dieser Integration positive Erfahrungen gemacht haben, entschließen sie sich zum Verschweigen dessen, was sich für sie längst bewährt hat. Und damit zwingen sie sich zur Unaufrichtigkeit und treten sogar in einen stillschweigenden Pakt mit den dankbaren Patienten ein.

Gutachter und Obergutachter sind hervorragend psychoanalytisch ausgebildete Fachleute, und viele sind durch ihre Kommentare, wenn sie nicht zu entwertend sind, hilfreich tätig durch Anregungen und Ratschläge für die Antragsteller. Aber sie sind sehr tief identifiziert mit den Richtlinienverfahren aufklassischer psychoanalytischer Grundlage. Sie haben in ihrer Ausbildung wenig erfahren über den Stand anderer, auch hoch elaborierter Verfahren und wenige haben höchstens heimlich eine Ergänzung nach ihren ein bis drei zwei Lehranalysen gesucht. Die meisten sind misstrauisch geblieben gegenüber dem, was sich an den Grenzen des analytisch Kodifizierten getan hat und müssten sich vielleicht ihre mangelnde Kompetenz eingestehen, statt abzuwehren und zu verurteilen.“ Es fehlt „eine Offenheit gegenüber wichtigen Erweiterung des therapeutische Instrumentariums, vor allem angesichts Störungen, die nur mit großen Schwierigkeiten ausschließlich durch Arbeit mitÜbertragung und Gegenübertragung anzugehen sind. Gerade bei traumatischem Hintergrund ist es für viele Patienten zu gefährlich, ihre destruktiven Grundkonflikte voll in die Übertragung einzubringen, weil die Angst um den Verlust der Beziehung zum einzigen schützenden Objekt, das sie haben, viel zu bedrohlich ist. … Der Therapeut entfernt sich vorübergehend – die Übertragung wird ihn trotzdem immer wieder heimsuchen – aus der Übertragungs- und Gegenübertragungsverstrickung und wird zum hilfreichenRegisseur der Szene, in der die ängstigenden Affekte freier fließen können.“

Da hierzulange noch kaum eine Integration stattfinden, „kommt es zu dem Paradox, dass die kompetentest und erfahrensten Vertreter unseresunseres analytischen Faches,ohne es zu wollen oder zu merken, die Fortentwicklung unseres therapeutischen Instrumentariums zum Wohl der Patienten behindern.“

Zu Reinhard Plassmann: In meiner Ausbildung war das Vertrauen in die Wirkung von Deutungen, im Gücksfall durch den von Cremerius ironiesierten „goldenen Schuss“, noch ungebrochen, mit der daraus folgenden „Einseitigkeit der Sprechaktivität“ (Plassmann), der Geringschätzung des „Prozesses“ und der Nicht-Berücksichtigung der unterschiedlichen energetischen Ladung der Affekte. Um diese „Ladung“ und deren Handhabung geht es aber, die in einer rein verbalen, nur auf Übertragung und Gegenübertragung bezogenen Therapie schwierig ist, weil eventuell beide Partner Angst haben vor den archaischen, aber stets zurückgehaltenen Gefühle (beim Patienten aus Angst vor Beziehungsverlust bei zu starker negativer Tönung).Alle zu starken Affektebleiben oft draußen und müssen außerhalb agiert oder übermäßig kontrolliert werden.werden, „die Stunde bleibt infolgedessen fühlbar leblos, durch die Beschäftigung mit emotional unbesetzem Pseudomaterial.“ Robert Langs nennt diese Konstellation übertreibend die „therapeutische Verschwörung“ des Ausblendens von Affekten im gefährlichen Rohzustand. Plassmann spricht von “Blockierungen“:„Die Stunde wiederholt das Trauma, indem eine emotionale Erregung von gleichsam toxischer Stärke den Transformationsprozess blockiert“, mit den Folgen, die er anschaulich schildert.

Es ist gerade das Verdienst mancher alternativer Verfahren, zum Beispiel durch die direkte Konfrontation des Patienten mit wichtigen Personen oder Introjekten auf dem sogenannten leeren oder heißen Stuhl, die verdrängte Gefühlsstärke sichtbar und fühlbar und integrierbar zu machen. Ein Stück „Katharrsis“ im Dienst der Ichentlastung ist, dosiert angewandt, durchaus hilfreich, vor allem, weil sie mit dem so notwendigen „Jetzt“ der Szene arbeitet, statt der oft unendlichen Exploration der Vergangenheit und stagnierender oder verstrickter Übertragungs- und Gegenübertragungszustände. Die neuen Verfahren erlauben es: „Beide Grenzzustände, den Untererregungs- wie den Übererregungszustand, können wir gut wahrnehmen.“

Ohne Selbsterfahrung in einem mehr „mobilisierenden“ Verfahren, zum Beispiel Halt gebende Berührung oder handelnde Inszenierung, scheuen viele tiefenpsychologisch arbeitenden Therapeuten dafür zurück, das monopolartig festgehaltene verbale Verfahren zu variieren. Es wäre also zu fordern, in die noch immer sehr einseitige Ausbildung von Psychotherapeuten und Psychoanalytikern mindesten die Kenntnis und Selbsterfahrung eines anderen, szenischen Settings zu integrieren. Was in den Kliniken selbstverständlich ist: Arbeit mit klassischen und körpernäheren oder szenischen Verfahren, sollte auch in der Einzeltherapie möglich werden, umjeden Patienten nicht nach vorgezeichnetem oder gar manualisiertem Schema, sondern nach seinen ureigensten emotionalen Zuständen zu behandeln.