Tilmann Moser

Täterintrojekte

2010

Das Charakteristische an Täterintrojekten ist das Verborgene, das Heimliche, ihr Agieren aus dem Hintergrund, die Schwererkennbarkeit, das Eigenleben im Dunklen.

Manchmal hat der Patient den Eindruck, er werde von geheimen Mächten angetrieben, die er  nicht steuern kann. Hinzu kommt das Unheimliche: ein Gefühl des Bodenlosen, des Verlusts an Grenzen, einer Identität in Form eines Taumelns zwischen verschiedenen Zuständen. Diese verbinden sich häufig mit unbewussten grandiosen Phantasien, die vermutlich im Bunde sind mit Vorstellungen von Macht, Rache, Behinderung, Zerstörung. Ihre Dimensionen stehen im Zusammenhang mit dem Ausmaß von Verletzung, Kränkung und Demütigung, das den biographischen Hintergrund bildet. In der Gegenübertragung konstellieren sie oft ein Klima der Vergeblichkeit, der Ohnmacht des Therapeuten, seiner Lähmung, und sie kann zu äußerst schmerzhaften Gefühlen der Inkompetenz und des Versagens führen.

Dies wiederum könnte das Klima der Zusammenarbeit vergiften. Der Therapeut wird ärgerlich, ist versucht, sich durch harte Konfrontation, ja auch durch Kälte und Zynismus zu retten. Das alles müssten Alarmzeichen sein, dass er in Gefahr ist, sich ein einen aussichtslosen Machtkampf zu begeben. Wenn er einem starken und doktrinären Überich ausgesetzt ist: Alles muss in Übertragung und Gegenübertragung gelöst werden, sitzt er in der Falle.

Kernberg empfiehlt konsequentes und hartes Konfrontieren mit dem Ziel, dass der Patient spürt, was er anrichtet oder anzurichten droht. Von verschiedenen Autoren gibt es Vorschläge, zu offenbaren, was der Patient auslöst, bewirkt oder gar anrichtet. Da sich im Hintergrund bereits Ärger angesammelt hat – was die meisten Patienten spüren – werden diese Aussagen meist als Vorwurf oder Anklage erlebt,  und die Konsequenz kann sein, dass sich das Gefühl, ein böses Monster zu sein, im Patienten erhöht. Er erlebt der Therapeuten als bedrohlich, ja verfolgerisch, und manche wehren sich gegen dieses Anwachsen der Macht der Analytikers in der Übertragung durch extreme Entwertung, was dessen Unbehagen bis zur Verzweiflung steigern kann. Der Patient wird durch die Deutungen dessen, was in ihm steckt, sozusagen gedrängt, seine Destruktivität anzunehmen als etwas, das seine Persönlichkeit charakterisiert. Das kann zu destruktiver Wut führen, oder zu  Rückzug oder Abbruch.

Wie nähert man sich also den Introjekten, die drohen, sich definitiv gegen den analytischen Prozess zu richten? Manchen Kollegen, die gewohnt sind, mit Rollenspiel zu arbeiten, wissen, auch aus der Gestalttherapie, wie wichtig es ist, seelische Anteile zu externalisieren, den frühen Prozess der meist erzwungenen Internalisierung also umzukehren, um die Gegner allmählich in die Sichtbarkeit zu zwingen. Die bösen Introjekte wollen sich natürlich weigern zu erscheinen, sie spüren, dass es um einen Machtkampf unter für sie ungünstigeren Bedingungen geht. Sie sind außerdem durch manchmal extreme Scham geschützt, wenn sie in einem kränkenden Widerspruch zum positiven Selbstbild des Patienten stehen.

Zunächst geht es darum, sich auf die Suche nach  Namen oder Bezeichnungen für die Introjekte oder Teilintrojekte  zu machen. Bei einer im Ganzen noch guten Arbeitsbeziehung teilt der Patient manchmal die kriminologische Begeisterung über die Entdeckung von Übeltätern, Saboteuren und Dämonen. Er fühlt sich gewürdigt als Besitzer eines ganzen Zoos.  Es kristallisieren sich meist einige Hauptfiguren heraus, in denen der Patient sich partiell wieder erkennen kann. Ich nenne einige der Akteure, mit denen ich Erfahrungen sammeln konnte: der Saboteur, der Entwerter, der Verächter, der Diktator, der Angeber, der Terrorist, der Vernichter, der Weltzerstörer, der Lügner, der Berserker, der Patriarch, die Herrscherin, die Hexe, der böse Zauberer, der Teufel, der Tyrann, der Vergifter, und so weiter.

Auf die Frage: wie mächtig ist der eben Genannte, lernt der Patient, die destruktive Potenz des Introjekts abzuschätzen. Er fängt an, sich mit der Frage zu beschäftigen, was wohl die Botschaft oder der Wahlspruch des bösen Subjektanteils sein könnte.

Das einfache Rollenspiel der Externalisierung kann mit der symbolischen Darstellung eines solchen Anteils beginnen. Es ist durchaus mit Angstreaktionen zu rechnen, weil die Rache des identifizierten Bösewichts gefürchtet wird. Hier ist Geduld und Hilfestellung nötig. Viele Patienten staunen, wie mächtig die Gestalt sich darstellen kann, die sich in einem unbekannt großen Raum zeigt. Sie gewinnen Ahnungen oder Kenntnis darüber, was sich alles in ihrem Untergrund des vormals Unbewussten herumtreibt, und nach welchen Gesetzen die Introjekte, die nun zum Forschungsgegenstand werden, funktionieren.

Ich berichte zunächst über einen Dämon, das den Namen „der Drachen“ erhielt. Seine Dimension wurde von einer Künstlerin erst allmählich wahrgenommen. Sie hatte für sich das Gegenbild eines Gutmenschen entwickelt: liebevoll, hilfsbereit, geduldig, tolerant und in dieser Toleranz sogar leidensbereit, um andere Menschen nicht an ihr leiden zu lassen. In Träumen hatten sich bei ihr, die es „ablehnte, wütend zu werden oder zu sein“, grausame Bilder angekündigt, über die sie entsetzt war.

Sie nahm Teil an sadistischen Versammlungen, das Elternhaus flog in die Luft, sie begegnete zerstückelten Menschen, sie beobachtete Menschen in extremer Gefahr und kam nicht zu Hilfe, sie wurde Zeugin eines Mordes und griff nicht ein und fand die Tat in Ordnung. Ihr Weltbild geriet auf bedrohliche Weise durcheinander. Sie beschuldigte mich, dass ich all dies Böse in sie hineinzaubere, bis sie endlich akzeptieren konnte, dass ein mächtige Drache in ihr hause, und nach weiteren Stunden wurde sie sogar stolz auf das Untier, weil sie sich, verbündet mit ihm, endlich mächtig fühlte. Sie wurde sich ihr Macht auch mir gegenüber bewusst, wo sie doch der Beziehung zu mir ein dauerhaftes Klima von demütiger Dankbarkeit angedeihen lassen wollte. Diese war nicht zuletzt von zunächst hilfreicher, dann mir immer peinlicher werdenden Idealisierung getragen.

Sie traute sich allmählich, wenn auch zuerst hinter einer Schutzmauer, zum Drachen zu sprechen: Ich habe Angst vor dir; ich will nichts mir dir zu tun haben; verschwinde; du hast mich heimlich überfallen. Dann wurde die Worte auch einschmeichelnder, liebevoller, anstaunender, sogar dankbar, dass er sie, ohne dass sie das bisher gemerkt hatte, geschützt hatte und mächtiger machte. Die  Atmosphäre konnte voller Spannung sein: es ging um die schmerzhafte Aneignung neuer Seelenteile, der Begriff einer schweren Identitätskrise ist nicht übertrieben, das bisherige Selbstkonzept wankte.

Als ich sie bat, selbst in die Rolle des Drachens zu gehen, erschrak sie zunächst, doch dann begann eine trotzige, omnipotente, drohende Anverwandlung, und auf die Frage, was der Drache mir machen würde, kam: der würde Sie zerfleischen, mit seinem feurigen Atem verbrennen. Er würde alles sabotieren, ich würde sie nie in Abhängigkeit kriegen, er würde mir Angst und Panik machen, ich würde wimmern vor Schreck und um Gnade flehen; ich müsste mich ihm zu Füßen werfen. Die Größenphantasien ängstigten sie auch. Sie fürchtete, ich könnte sie nicht mehr ertragen und wegschicken, befürchtete das Ende der Analyse.

Der Hintergrund ist ein massiver sexueller Missbrauch im Alter von 6 Jahren, über den sie nie gesprochen hatte, der aber das ganze Leben überschattet.
Ein anderes Täterintrojekt fand sich bei einer Psychotherapeutin, das sich „der Berserker“ nennt. Hier hat sich die Patientin bewusst früh mit einer omnipotenten und häufig destruktiven Figur identifiziert, ihn sozusagen als permanente Kraftquelle  gewählt. Er hat ihre eigenen Größenphantasien aufgesogen. Sie hält sich allen andern Therapeuten für überlegen, ist klüger als andere, durchschaut bedrohliche Zusammenhänge sofort. Das Problem ist, dass dieser Berserker sie sehr früh beschützt hat vor einer abgründigen Verlorenheit in früher Kindheit. Er ist übermächtiger Begleiter und schwankt in seiner Substanz zwischen Identifikation, also zustimmender Aneignung, und innerer Gottheit, dem sie Selbstwert und lebendige Beziehungen opfern muss. Er ist auch mir überlegen und weidet sich an der Aussichtslosigkeit meiner therapeutischen Bemühungen. Sie kam zu mir, weil ihr früherer Therapeut sie unter demütigenden Umständen verlassen hat, der  lange Zeit Züge einer grandiosen Idealisierung hatte rettende Gurus mit grandiosen Phantasien über die Einzigartigkeit seines Therapiesystems.

Es gelang mir, ihr bei der Trennungskrise und der Rücknahme der alles beherrschenden Idealisierung zu helfen. Sie verlangte aber eine Therapiepause auf  unabsehbare Zeit, als ich versuchte, den Berserker zu externalisieren und ihn biographisch einzuordnen. Es schien, als würde sie sich ohne ihn unerträglich klein und hilflos fühlen. Sie wusste auch, dass sie eine erneute Idealisierung von mir eingehen müsste, damit ich der Größe des Introjekts gewachsen wäre, aber angesichts des Trennungstraumas wollte sie, verständlicherweise, zu dem Zeitpunkt keine neue intensive therapeutische Bindung eingehen.

Als ich sie bat, in der Rolle des Introjekts zu mir zu sprechen, kam: „Nie wirst du mir gewachsen sein; ich werde dich in deiner analytischen Nichtigkeit durchschauen; ich werde jeden Fortschritt zerstören; ich werde dich von meiner Größe überzeugen; du wirst meine therapeutische Überlegenheit anerkennen und dich zu meiner Methode bekennen; ich kann die Psychoanalyse in ihrer kümmerlichen Biographiesüchtigkeit durchschauen.“

Manchmal hatte ich Angst, sie könnte in eine psychotische Überragung geraten, zumal sie von früheren Grenzerfahrungen in dieser Richtung berichtet hatte. Ich war traurig über den Abschied, musste auch von eigenen Größenphantasien Abschied nehmen, konnte aber verstehen, dass die ersehnte positive Abhängigkeit des Kleinkindes zu nahe an ihrem früheren Hörigkeitstrauma lag.

So weit war ich aus eigenem Experimentieren und dem analytischen Anverwandeln von gestalttherapeutischen Erfahrungen gekommen: Externalisierung der Introjekte und Umgang mit ihnen im Rollentausch. Eine Erweiterung meines Instrumentariums fand ich in einem  Buch des Münchner Therapeuten und Institutsleiters Artho Wittmann, mit dem Titel „Die Intelligenz der Psyche. Wie wir ihrer verborgenen Ordnung auf die Spur kommen können“ (Kösel, München 2000). Störend an dem Buch ist die absolut großsprecherische Selbsteinschätzung als Gründer einer völlig neuen Therapieform, die alles Bisherige hinter sich lässt.

Er ermuntert die Patienten, ihren zum Teil mühsam aufgespürten und mit Namen versehenen Introjekten oder „inneren Personen“ einen Platz im Raum zu suchen und sie von dort aus sprechen zu lassen. Schon die Raumsuche ist ein therapeutischer Akt, weil die Introjekte tatsächlich ein Raum-, Positions-  und Dimensionsempfinden zu haben scheinen. Sie orten sich im Raum entweder in Bezug auf den Platz des Patienten oder den des Analytikers, von dem aus sie sprechen oder ihre Einwirkung taxieren. Wenn sie als mächtig erlebt werden, stellen die Patienten sich auch mal auf einen Stuhl, um deren Größe zu demonstrieren, wählen eine einschüchternde Sprache mit triumphalistischer Stimme und Gebärde. Staunen und Erschütterung über das Untier in ihnen können das Ergebnis sein. Es gelingt dann auch, das Bild des terrorisierten Opfers in ihrer Person darzustellen, oft ein verängstigtes kleines Kind, das sich seiner Abhängigkeit und seiner manchmal der Vernichtung nahen Kleinheit bewusst werden kann.

Nun noch ein drittes, terroristisches Introjekt: es ist der verfolgerische, sadistische Gott, wie er in meinem umfangreichen Fallbericht „Der grausame Gott und seine Dienerin“ (Psychosozial-Verlag 2010) dargestellt ist. Ausgangpunkt ist auch hier eine frühe Traumatisierung, nämlich Verlassensein durch mehrere Ferienabwesenheiten der Mutter wie der ganzen Familie, während denen sie bei Nachbarn abgegeben wurde. Es folgten Krankheiten der Mutter, bei denen sie sie nicht berührend dürfte. Sie wuchs in einem Pfarrerhaushalt auf, mit einem unempathischen, übergriffigen Vater, vor dem sie sich oft ekelte. Aber um ihm trotzdem nahe zu sein, stürzte sie sich in einen selbstausbeuterischen Dienst an seiner Seite für Gott und Kirche. Dadurch ließ sich die Angst, nicht gewollt zu sein, lange kompensieren. Als sie aber in der frühen Pubertät die Selbstbefriedigung entdeckte und sie exzessiv betrieb, teils um sich überhaupt zu spüren, teils um eine undurchschaute Auflehnung zu agieren, geriet sie in ein Sünden- und Verworfenheitsgefühl, in dem ein alles sehender und extrem missbilligender Gott sie permanent strafte.

Sie versuchte ihn durch Gebetsrituale zu versöhnen, büßte nach demütigenden Rückfällen durch niederschmetternde Schuld- und Schamgefühle. Die häufigsten Gottesstrafen waren die folgenden: er wachte mit unerbittlichen Augen über ihr Leben; er installierte Kameras an der Decke, um sie genau zu beobachten; er ließ sie aufschrecken, um in Panik in der Wohnung herum zu rennen und sich halb bewusstlos vor Angst in einem dunklen Winkel wieder zu finden. In ihren Träumen wurde sie verfolgt, ermordet; sie drohte zu verwesen oder in unterirdische Verließe zu stürzen, aus denen es keinen Ausweg mehr gab.

Das gemeinsame diagnostische Aufsuchen des Introjektes gestaltete sich deshalb schwierig, weil jeder neue grausame Aspekt, den sie offenbarte, zu massiven Ängsten vor seiner nicht aufzuhaltenden Rache führte. Wenn sie mit meiner Hilfe zu ihm sprach, trat ein gewisse Erleichterung ein, wenn sie, zuerst fast gefühllos, ihm seine Grausamkeit vorhielt. Mit der Zeit lernte sie, ihn in zitternder Wut auch anzuschreien, erstaunt darüber, welcher Hass auf Gott, der ihr doch als der ewig liebe beigebracht worden war, in ihr hauste.

Es war eine Art psychosomatischer Notoperation mit vielen Wiederholungen. Manchmal klammerte sie sich verzweifelt an mich, weil sie, wenn das Introjekt sie wie eine Krankheit verließ, ihre seelische Struktur zu verlieren drohte. Sie fürchtete immer wieder verrückt zu werden, aber auch: ohne ihn nicht weiterleben zu können. Manche Stunden glichen einem regelrechten Exorzismus, bei der ich sie halten musste, um ihre bedrohten Konturen wieder zu spüren und das Ausmaß der Verlassenheit überhaupt ertragen zu können.

Und tatsächlich benutzte das Introjekt die Stundenintervalle zu einer strafenden, rachsüchtigen und manchmal vernichtenden Rückkehr. Sie klagte mich dann an oft an, dass ich mit meiner Therapie ihr Leben zerstörte. Ich geriet selbst in die Rolle des Verfolgers, die therapeutische Beziehung war zeitweise extrem bedroht, bis sie mich im Ringkampf als lebendigen Menschen wieder fand und sich selbst als körperlich kräftige, unversehrte Person kennen lernte. Auch in Phasen der beginnenden Depersonalisation in der Panik half immer wieder körperliches Kämpfen, das nach langer Zeit in lustvolles Schreien übergehen konnte.

Dann konnte sie sich ihrer leiblichen willkommenen Existenz versichern und wieder spüren, dass ich der nicht rachsüchtige Begleiter im Kampf mit einem Gott war, der buchstäblich in ihre Körperstruktur eingedrungen war.

Der böse Gott erneuerte immer wieder seine zerstörerische Kraft, gab mich der Lächerlichkeit preis in meinem ohnmächtigen  Glauben an eine allmähliche Genesung. Wir mussten ihn ausfindig machen in vielen realen und eingebildeten Kränkungen, die sie aus ihrer Umwelt erfuhr. Er war der inthronisierte Geist der Verneinung, der ihr Leben durchdrang, bis er allmählich seine Macht verlor und nur noch in immer wiederkehrenden Angstträumen um sein Überleben kämpfte.

Otto F. Kernberg schreibt über die oft widersprüchlich agierenden Introjekte je nach ihrem situativen Mobilisationsgrad -  man könnte auch vom Anlass des Triggerns sprechen folgendes:

„Eine schwerwiegendere Variante pathologischer Entwicklungen dieser Art fällt dadurch auf, daß der Patient  in einer strukturierten sozialen Umwelt ziemlich gehemmt, scheu, ja unterwürfig erscheint, wohingegen er in unstrukturierten sozialen Situationen, sobald er in eine Überlegenheits- oder Machtposition gerät, plötzlich ein erstaunliches Maß an Aggressivität und Arroganz, aber auch an scheinbarer Dummheit zu erkennen gibt. Auch in solchen Fällen kann man ein strenges, brutales Überich finden, das unter gewöhnlichen Umständen einen überwiegend hemmenden Einfluß auf die Ichfunktionen ausübt;  aber unter bestimmten sozialen Voraussetzungen, die das begünstigen, tritt dann eine Identifizierung mit dem Aggressor ein, und die Überichfunktionen treten nun in neuer Gestalt auf, nämlich integriert in sadistische Charakterzüge.

Die Arroganz entspricht einer Charakter-Identifizierung mit einer omnipotent-sadistischen Überichfigur; … „ (Kernberg, 1978, S.146)  Die neuere Überich-Forschung konnte, in verschiedenen Schulen, die auch mit Inszenierung arbeiten, zeigen, dass die Dichtothomie gut und böse natürlich viel zu einfach ist, sondern dass ein ganzer Pool von inneren Personen teils widersprüchlichster Art besteht.

Trotzdem bleibt Kernbergs Forderung eine ganz basale Aufgabe: „Es müssen also idealisierte ´total gute’ mit ´total bösen` Objektimagines integriert werden, und dasselbe gilt auch für die guten und bösen Selbstimagines. In diesem Prozeß der Synthese werden Teilbilder des Selbst und der Objekte zu ´ganzen` Selbst- und Objektrepräsentanzen integriert … (Kernberg, 1978, S. 47).

Für die Integration der Täterintrojekte ist es therapeutisch wichtig, nicht nur die guten Anteile des Selbst und der Objektrepräsentanzen immer wieder präsent zu halten, sondern auch die vitalen Ressource sich immer wieder zu vergegenwärtigen, damit das Ich nicht in seinen einseitig negativen unbewussten Inhalten untergeht. Es ist auch wichtig, dem Patienten Pausen der Auseinandersetzung zu gönnen, ihn wissen zu lassen, dass man das Ausmaß der Anstrengung und die immer wieder auftretende Erschöpfung, die Angst und die Zweifel am Sinn des Vorgehens versteht. Die Bildung der bösen Introjekte war entweder überlebenswichtig oder aber in traumatischen Situationen unvermeidlich.

Noch einmal Kampf

Anders als beim Kampf mit der Patientin, deren Leben von einem verfolgerischen Gott überschattet war, und die sich im Kampf wieder ihrer lebendigen Leiblichkeit versichern konnte, führten vorsichtige Hinweise auf eine fast unerträgliche Körperspannung zu einem Ringen auf einer viel archaischeren Ebene. Die missbrauchte Patientin, von der weiter oben die Rede war, kam erschöpft von nächtlichen Alpträumen in  die Stunde. Nach einer Weile bat sie mich, ob ich mich zu ihr auf die Couch setzen könnte.

Es schien um Beruhigung und einen Halt gebenden Umgang mit ihren Panikzuständen nach den Träumen zu gehen. Sie wand sich im Liegen um mich, wie sie es kannte, und wie ich es im Abschnitt über die „Fleisch fressende Pflanze“ in meinem Buch „Berührung auf der Couch“ beschrieben habe. Sie versuchte, Beruhigung und Geborgenheit zu tanken, um zu einem erträglichen Körpergefühl zurückkehren zu können. Aber es mischten sich kleine hochaggressive Bewegungen in die Berührung, die sie aber noch verzweifelt  kontrollieren wollte. Ich spiegelte ihr die erst noch angedeuteten Aktionen und ermutigte sie, diese zu verdeutlichen. Unter großem Zögern und mit Anzeichen von Scham intensivierte sie die zugleich verzweifelt kämpferischen und anklammernden Griffe, bis es zu einem wilden Kampf kam, in dem sie mich zugleich verschlingen und wegstoßen wollte.

Als sie ermattet aufgab, konnte sie sagen: „Ich wollte Sie beseitigen und einverleiben gleichzeitig.“ Der zerstörerische und der auffressende Impuls, vor dessen Wucht sie aber ebenfalls Angst hatte, vermengten sich, sie sagte, es sei ein schreckliches Chaos in ihr, vermischt mit den nachwirkenden Bildern aus den Träumen. Mir viel der Ausdruck „Pandämonium“ ein, den ich ihr mitteilte, und Bilder von Hieronymus Bosch, in denen menschliche und entstellte tierische Leiber und Dämonen durcheinander agieren.

Sie fühlte sich angemessen gesehen. Als Ruhe im Sturm eingekehrt war, fiel mir eine oft wiederholte traumatische Szene ein: das Kind saß, in der Erwartung der Mutter, die für einige Stunden bei ihrem Liebhaber war, für Stunden in Panik auf einem Stein und wollte sich in deren Arme stürzen, als sie endlich auftauchte. Aber die Mutter stieß sie barsch und vorwurfsvoll zurück, mit der Folge dass sie erstarrte und dissoziierte. Im Hintergrund rangen Wünsche nach Zerstörung und wieder findende Verschlingung miteinander. Der vermutete gemischte Impuls wäre wohl gewesen: in stürmischer Umarmung sich zugleich zu rächen und die Mutter zu inkorporieren, um sie nicht wieder regelmäßig und mit quälender Trennungsangst zu verlieren. Es wäre die Erlösung gewesen, wenn die Mutter diesen Affektsturm mit den widerstreitenden Täterintrojekten zugelassen und überlebt hätte.

Genau so etwas vollzog sich in der tiefen Regression auf Zustände, in denen sich Überlebenskämpfe zwischen Tod, Zerstörung einerseits und ein Rückgriff auf liebevolle Verschmelzungsphantasien mischen. Die Verschmelzungssehnsucht folgte aber nicht einem Drang nach symbiotischem Einswerden von zwei immer noch getrennten Körpern, sondern benutzt eine kanibalistische Gier nach Einswerden durch Verschlingen. In der nächsten Stunde berichtet die Patientin von einem neuen Traum, in dem sie in einer ängstigenden Lage in ihrem Körper einen Anwalt spürte, der sie schützte und ihrem geschwächten Körper Kraft zum Widerstand verlieh. Sie bedankte sich für unseren Kampf und meinte, ich hätte sie auf einer ihr zunächst nur unheimlichen Tiefe erreicht und ausgehalten. Sie brachte einen Blumenstrauß mit und stellte ihn so auf, dass ich ihn immer im Blick hatte. Solche Sternstunden sind nicht gerade häufig, aber dass beide verschwitzt und schwer atmend aus ihm hervorgehen, festigt das Arbeitsbündnis für erneut Krisen. Denn die Täterintrojekte verschwinden ja nicht einfach kampflos, sondern verwandeln täuschend ihr Aussehen, um nichts von ihrer Macht abgeben zu müssen.

Die so genannte negative therapeutische Reaktion

Die Diagnose war lange Zeit eine Art Beschuldigungsreaktion des Analytikers, wenn die Therapie stagnierte oder sich gar zum Schlechten zu wenden drohte. Die Ursache lag bei der Einpersonen-Analyse im Patienten, der trotz korrekter Deutungen nicht Fortschritte machen wollte. Es ging um geheimen Trotz, um Neid auf den Analytiker, um einen destruktiven Autonomiekampf, bei dem sich das Selbst in einem selbstschädigenden, oft unverständlichen Ringen noch um eine primitive Abgrenzung vom frühen Objekt mühte. Oder der Patient wurde der Unfähigkeit zur Dankbarkeit angeklagt.

Die für beide Partner bedrohliche Stagnation wurde mit einem konstitutionell erhöhten Aggressivität des Patienten erklärt. Die Gegenübertragung ging in Gereiztheit über, die vom hohen Thron gegebenen Deutungen wurden als demütigend oder verfolgerisch erlebt, als entlarvend und unempathisch. Es kam oft zu einem Unterwerfungshass oder zum Abbruch der Therapie, in einem nicht mehr analysierbaren masochistischen Triumph.

In seinem monumentalen Werk über „Die Scham, das Selbst und der Andere“ (Gießen 2010) kommt der Berliner Analytiker Jens L. Tiedemann zu einem ganz anderen Ergebnis, das er mit der Existenz eines Täterintrojekts in Zusammenhang bringt:

Der Patient fühlt sich gedemütigt, weil der Analytiker um die seelischen Fehlhaltungen  Patienten weiß und sie ihm immer wieder vorhält. Ein Wissender steht, extrem ausgedrückt, einem Verstockten gegenüber, der sich im Lauf der Sackgasse weiter verhärtet. Tiedemann meint, es gehe trotz der Selbstschädigung und der Verletzung des Analytikers um die Aufrechterhaltung einer „Beziehung zum schlechten inneren Objekt“, das aber durch Lieblosigkeit und Ablehnung charakterisiert war. Tiedemann schreibt: „Es bildete sich ein inneres Objekt aus, das sich selbst verurteil und entwertet, um auf diese Weise die Illusion bewahren zu können, sich von den Eltern geliebt zu fühlen und die Bindung aufrechtzuerhalten.“

Dieses innere Objekt ist mit tiefer Scham besetzt. Das Kind fühlt sich als nicht liebenswert und reagiert mit Scham, manchmal auch mit Schuld, über seine bloße Existenz. Und er zitiert Thomä und Kächele mit dem Satz, es „muss der Patient gerade zu mit einer negativen therapeutischen Reaktion auf die Deutungen des Analytikers antworten. Er dreht gewissermaßen den Spieß um, indem er nun die Position der spöttischen Mutter einnimmt, die seine Lebensäußerungen mit Verachtung bestraft hat.“ (1985, S. 152)

Tiedemann schreibt weiter: „Um die Rolle der Scham bei der Entstehung der NTR zusammenzufassen, kann man festhalten, dass frühe interpersonelle Beziehungen – besonders solche, die durch eine wiederholte emotionale Fehlabstimmung charakterisiert sind – eine fundamentale Rolle in der Entwicklung der Scham im späteren Erwachsenenleben spielen.“ (S. 119) Die Patienten verschließen sich dem Analytiker aus Angst vor einer Retraumatisierung durch extreme Scham, was  den Analytiker in ein „Gefühl des Ungenügens und der Feindseligkeit“ führt. Leo Wurmser spricht sogar von einer „Urscham“, die reaktiviert wird, wenn die „Deutungen des Therapeuten als anklagend und beschämend“ erlebt werden. (Tiedemann, S. 122)

Tiedemann bilanziert: „Gewisse Widerstände, die von klassischen, eher intrasubjektiv arbeitenden Analytikern diagnostiziert werden, sind somit Artefakte`, iatrogene Effekte, die aus der Schamdynamik zwischen Analytiker und Patient entstanden sind.“ (S. 123)

Fast umgekehrt anklagend hält Tiedemann fest: „Mit den Erklärungsansätzen der unbewussten Selbstsabotage würde sich der Behandler vor der Kränkung des Misserfolgs schützen. „ (S. 126) Und noch deutlicher: „Er missbraucht damit das Gefälle zwischen seiner Fachkompetenz und der regressionsbedingten Anhängigkeit des Patienten zum Zwecke der Abreaktion.“ (S. 127) Als veränderte Haltung schlägt er für die Entwaffnung des bösen Introjekts, das zum Täterintrojekt geworden ist, vor, sich die Frage zu stellen, „wie Therapeut und Patient diese Blockade gemeinsam konstruiert haben.“ (S. 129)  „Damit  verlässt er aber auch „das Modell der zur Einsicht führenden Deutung als dem Grundmechanismus der Veränderung.“ (S. 128) Es braucht Empathie für die Notlage des Patienten, in deren Zentrum  die existenzielle Scham  des Patienten steht, der auch keine narzisstischen Erfolge , nicht nur die des Analytikers –ertragen kann, weil sie ihm von Anfang an vermiest worden sind.

Das Konzept der Täterintrojekte erweist sich also auch hier als fruchtbar, wenn es in Zusammenhang mit sehr frühen Erfahrungen der Frustration des Lebensinstinkts gesehen wird, die introjiziert und auf den Analytiker projiziert wird, der mit seiner Verwirrung kämpft und mit der „projektiven Identifikation“ oft nur schwer umgehen kann. Aus seinem eigenen Opfergefühl könnte er ermitteln, was dem Patienten in vorbewusster Zeit geschehen ist, und dann wäre er wieder im Boot der empathischen Solidarität.

Therapeutische Bemerkungen

Neben dem diagnostischen Wert solcher Externalisierungen sind durchaus auch therapeutische Wirkungen zu erzielen, besonders wenn durch Wiederholung und Rollenwechsel eine Vertiefung stattfinden kann. Aus psychoanalytischer Sicht ist es aber auch wichtig, die Konflikte auch in der Übertragung langfristig anzugehen. Wenn sich offene, oft auch plötzliche Verdunkelungen des Bildes des Therapeuten ergeben, ist es natürlich wichtig zu fragen:  Was sind die biographischen Vorläufer dieses bedrohliche Bildes. Die Übertragungen sind aber, auch in ihrem oft blitzartigen Wechsel, leichter zu entziffern und zu ertragen, wenn sie in der Inszenierung sozusagen „besichtigt“ worden und in ihrer Affektstärke wahrgenommen sind.

Da aber meist auch hohe Schamaffekte mit den Täterintrojekten und ihrer Aufdeckung  verbunden sind, empfiehlt es sich, auch die ursprünglich beschämenden Personen aufzustellen. Das kann ganz neue Dimensionen der gegen das Subjekt gerichteten Angriffe erhellen. Wenn diese Angriffe als berechtigt und damit ichsynthon akzeptiert sind, entsteht das Problem, wie eine heilsame Trennung zwischen Subjekt und Angreifer hergestellt werden kann. Dabei empfiehlt es sich,  wenn der Analytiker seiner empathischen Sorge Stimme gibt, etwas in der Formulierung: „Ich sehe, wie der Angreifer Sie zwingt, in ein unglückliches falsches Selbst des Opfers auszuweichen, das die Angriffe für angemessen hält.

Der Preis dieser Identifizierung ist zu hoch und lebenszerstörend, außerdem bezieht der Angreifer seine Kraft von einer parasitären Teilhabe an ihrer Vitalität, die dadurch beeinträchtigt wird.“ Diese reichlich theoretisch klingenden Sätze müssen natürlich in eine verständliche Sprache übertragen werden, verbunden mit der Frage, woher der Angreifer eigentlich seine Berechtigung zum Angriff her nimmt. Wenn man zu einer ursprünglichen einschüchternden Person vordringen kann, ist man dem Ziel der Distanzierung schon ein Stück näher gekommen.

Literatur

  • Kernberg, Otto: Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus. Frankfurt 1983
  • Thomä, Helmut und Kächele, Horst: Lehrbuch der psychoanalytischen Therapie, Bd. 1, Berlin 1985
  • Tiedemann, Jens L.: Die Scham, das Selbst und der Andere. Gießen 2010
  • Wurmser, Léon: Die Maske der Scham – die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten. Berlin 1990