Tilmann Moser

Verbal – Präverbal – Averbal

Psychotherapie an der Sprachgrenze

Tilmann Moser bezeichnet sich nicht mehr nur als Psychoanalytiker, sondern als analytischer Traumatherapeut. Das bedeutet: Um den Patienten zu erreichen in seinen tief verborgenen seelischen Wunden, die sprachlich oft unzugänglich sind und quälend durch unberechenbar einbrechende Flahbacks ohne symbolisierte Inhalte, verwendet er dafür vielfältige Formen der körperlichen Berührungen. Sie bringen beruhigenden und stärkenden Halt mit der Hand, aber auch kräftigende Formen des kämpferische Widerstandes für in Angst und Verzweiflung erstarrte Menschen. Es sind im Stehen Fäuste gegen Fäuste oder gegenseitiges Drücken gegen Schultern oder Seilziehen unter hoher Spannung. Beide können dabei durchaus Schwitzen geraten und lachend gemeinsam wieder Atem holen.

Erschienen im Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt a. M. 2018

Leseprobe

Einleitung: Vom Segen der Berührung

Deutschsprachige Lehranalytiker über Körperarbeit und Psychoanalyse

Die grotesken Annahmen durchaus ehrbarer Wissenschaftler bis ins 20. Jahrhundert hinein behaupteten, Säuglinge und Kleinstkinder hätten noch kaum klare, deutliche Körpergefühle, kein Erinnerungsvermögen, kaum sinnliche Wahrnehmungen und nur eine rudimentäre Bindungsfähigkeit. Ähnliches wird bis heute von manchen Tierarten gelehrt: Fische hätten keine Schmerzempfindungen, höchstens ein paar Reflexe, keine primitiven Körpererinnerungen, keinerlei Denkvermögen und nur rudimentäre Verständigungslaute wie die Walfischgesänge und Vogelstimmen. Also gelten sie zivil- und strafrechtlich als Sachen, über die man beliebig verfügen kann, und erst ein langsam wachsendes Gefühl für den Tierschutz hat einen Sinn für Achtung und Respekt entwickeln können. Und doch haben sensible Zeitgenossen zu vielen Zeiten innige Beziehungen zu Tieren entwickelt, lautlich, sprachlich und körperlich, die man als tief seelisch bezeichnen darf, und in denen viele Gesten, Zeichen und Laute eine intime Orientierung über ihren Zustand, Wünsche und Aktivitäten erlauben. Eine Art Zwiesprache war durchaus möglich, manche glücklichen und unglücklichen Menschen fühlten sich in ihren Stimmungen von ihren Hundefreunden wahrgenommen und „verstanden“, und manche Tiere teilen auch Affekte wie Freude und Zorn, nehmen sie war und geraten bei Begeisterung des Herrn oder der Herrin in lebhafte Bewegung oder Mitbegeisterung. Tierpsychologie ist ein anerkanntes Fach, es gibt Tierpsychotherapeuten sowie Wolfs-, Pferde- oder Löwenflüsterer.

Ein noch viel komplexerer verbaler, präverbaler und averbaler Austausch vollzieht sich – bekannt durch die auch visuelle Säuglingsforschung – ebenso zwischen Fötus, Säugling und Kleinkind. Der Reichtum der reinen Lautdialoge kommt noch hinzu.

Psychotherapeuten und Psychoanalytiker hinter der Couch hörten lange Zeit in ihren Ausbildungen wenig über die präpsychischen und psychischen Vorgänge in Säuglingen, sie mussten weit weg von der noch nicht vorhandenen Sprache aufgenommen, vermutet oder konstruiert werden. Seit dem Boom der Säuglingsforschung wissen wir mehr; die Wissenschaft hat den „kompetenten Säugling“ entdeckt, der der Mutter ausreichend Zeichen für ihren Umgang mit ihm gibt und sie ermutigt, ihn reagierend richtig wahrzunehmen, zu behandeln und sein Gehirn wie sein wachsendes Körperselbst anzuregen, bis ein auch sprachlich kompetentes Selbst entstehen kann.

Doch der Übergang von averbaler zu verbaler Verständigung ist noch immer ein Rätsel mit vielen Facetten, und lange resignierte die Psychoanalyse ob der Aufgabe, hinter die Sprachgrenze zu schauen, um dort Wichtiges zu erkennen und zu verstehen. Das Verhältnis von Geborgenheit, Spüren, Fühlen, Bewegen, Haltfinden, Wohlbehagen und den verschiedensten Anreizen zur Lust und zur Arbeit des Spracherwerbs beschäftigen heute weltweit die verschiedensten Disziplinen, sei es als Grundlagenforschung oder drängender Neugier um das Wissen einer nur allmählich zunehmenden Steigerung der verbalen Leistungen, zu welchen instrumentellen Zwecken auch immer.

Sigmund Freud hat in der für ihn dominanten Vaterrolle therapeutisch-analytisch gedacht, geforscht und behandelt, Säuglinge und Kleinkinder hat er jedoch pädagogisch weitgehend seiner Frau überlassen. Wenn er abends müde seine Praxis verließ, waren sie alle längst im Bett. Sobald sie klar fühlen, denken und sprechen konnten, waren sie interessanter für ihn wegen des geliebten Ödipuskomplexes, den er selbst heftig durchgemacht hatte und den er bei seinen Kindern wahrgenommen und bei seinen Patienten gründlich untersucht hat. Er war seine Leidenschaft. Sigmund Freud hat wohl kaum den „kompetenten Säugling“ in all seinen Schattierungen, Zeichen und Bindungsbotschaften ähnlich aufmerksam erlebt und theoretisch gedeutet wie den sprechenden.

Aber wenn man den tief in vorsprachliche Phasen regredierten Patienten auch sinnlich und körperlich wahrnimmt, macht man viel mehr an psychisch Beobachtungen, spürt eigene Gefühle, Stimmungen, leibliche Gegenübertragungsaffekte, sieht aber auch die vielen Zeichen früher Bedürfnisse und Beziehungsangebote sowie das Wechselspiel mit den mütterlichen Angeboten. Es braucht aber ein anderes, erweitertes Beobachtungspotential als lauschend hinter der Couch zu sitzen, womöglich mit geschlossenen Augen und meditativ gefalteten Händen wahrnehmbar ist.

Meine eigene Variante der therapeutischen Partnerschaft: aktiver eingreifend neben der Couch sitzen, aufmerksam mit allen Sinnen, nicht nur mit den Ohren, sondern allen Sinnen und den eigenen Bewegungsimpulsen, den eigenen Körperreaktionen, dem eigenen Atem, den Imitationsregungen, also den Vorläufern der Identifizierung und der psychosomatisch wirkenden Einfühlung und der Frage: „Was braucht er oder sie, was teilt er unbewusst mit außerhalb der Worte, wie atmet er und was melden die minimalen Bewegungen und winzigen Gesten, die Selbstberührungen, die Aufhellungen und Verfinsterungen des Gesichts?“

Auch der männliche Psychotherapeut und Analytiker kann, wenn er dafür offen ist, die vielen Botschaften kennenlernen, die die Mutter in den ersten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren sowohl entziffert wie provoziert, fördert und moderiert, instinktiv und suchend und fragend beantwortet.

Jörg Scharff hat uns als mütterlicher Vateranalytiker (père maternel') die vielen körperlichen Empfindungen des mitschwingenden Therapeuten zu beachten und zu verstehen gelehrt in seinem Buch „Die leibliche Dimension der Psychoanalyse“ (Frankfurt 2010). Was bei ihm fehlt, ist die berührende Reaktion, die so viel diagnostisches wie heilendes Potential enthält. Vor ihr ist er trotz seiner auch körpertherapeutisch fortgebildeten Empathie wieder zurückgeschreckt, auch unter dem Druck des klassisch-analytischen Verbots der Berührung. Aber wie lernt die frühe Mutter ihr Kind kennen und fördern? Durch mitfühlende Interaktion, der die sprachliche Dimension der Verständigung erst allmählich entgegen kommt. Das Spiel mit Lauten, Berührungen und ersten Worten ist die faszinierende Begleitmusik zum sich bildenden sprachlichen Selbst des Kindes. Nur Lacan und seine Schüler behaupten, dass das Unbewusste von Anfang an sprachlich verfasst sei.

Durch einige Jahrzehnte forschender Arbeit mit einer sinnlich wachen und berührenden Beziehung zu den Patienten – in Dankbarkeit für den einsam forschenden und therapierenden Sandor Ferenczi und viele seiner Nachfolger habe ich, zusammen mit wenigen kollegialen Pionieren, zu einem breiteren Umgang mit den Patienten gefunden. Eine sinnlich-empathische Wahrnehmung gibt es natürlich in der klassischen Psychoanalyse hinter der Couch in geringerem Umgang auch: feine Bewegungsgeräusche, den Atem, unwillkürliche Laute, Kleiderrascheln und anderes, den Stimmklang, auch erste optische Eindrücke bei der Begrüßung, usw. Der Analytiker kann gelegentlich sogar den Kopf drehen und aus dieser Perspektive auf den Liegenden schauen und einiges wahrnehmen, auch wenn viele Kollegen das meiden, es indiskret finden oder sich in der eigenen meditativen Haltung des einfühlsamen Lauschens mit geschlossenen Augen nicht stören lassen wollen.

An einigen Fallbeispielen zum Reichtum der seelischen und körperlichen Ereignisse an der Sprachgrenze, vor allem bei frühen gestörten oder traumatisierten Patienten, möchte ich die Möglichkeit oder die Notwendigkeit eines Parameterwechsels der Psychoanalyse mit eigenen Fallgeschichten darstellen.

Doch zunächst eine vergebliche Hoffnung.

Erinnerter, mentalisierter, symbolischer und unberührbarer Leib: Ein Bericht.

Ein Kongress über „Körper-Sprachen“ der DGPT, September 2015.“

„Der Tendenz, den Körper, jedenfalls die Abhängigkeit von ihm zu überwinden, tritt das Nachdenken über den Körper entgegen – und dem ist ja auch unsere Tagung gewidmet.“ Dieser Satz des prominenten analytischen Nachdenkers über den Körper, Joachim Küchenhoff, aus dem vorliegenden Kongressband „Körper-Sprachen“, kennzeichnet drastisch den gegenwärtigen Zustand der klassischen Psychoanalyse Umgang mit dem heilsam berührbaren Leib. Immerhin leuchtet eine vorsichtige Hoffnung auf in dem Satz: „Diskurse zum oder über den Körper sind daher immer neu kritisch zu hinterfragen, insoweit sie dazu beitragen, Körperlichkeit verfügbar zu machen ...“ Das Tabu der Berührung bleibt aber bestehen, Texte von Kollegen, die seit langem mit „heilsamer Berührung“ (Günter Heisterkamp) arbeiten, sind seit Jahren unerwünscht, obwohl sie in den achtziger Jahren auf den Jahreskongressen zulässig waren und heftig diskutiert wurden. Es hat eindeutig eine Verschärfung der Behandlungsregeln stattgefunden, und deshalb schweigen nichtberührende Kollegen lieber über ihre Praxis als sich oft strenger und missbilligender Kritik auszusetzen. Und dennoch ist neuerdings viel introspektiv und einfühlsam fragend vom Körper die Rede, die Patientenwerden sogar angehalten oder ermuntert, nach Körpergefühlen zu fragen, als Anhaltspunkte für bewusst erinnerte und erlebte Szenen.

Ähnliches gilt in dem Sammelband für die Arbeit von Marianne Leuzinger-Bohleber zum neuen diagnostischen Trend „embodyment“, bei dem man unbewusste Körpererinnerungen erforscht und bearbeitet, notfalls inspiriert durch die mitfühlende Gegenübertragung, die in dem Fallbericht von ihr bis zu leidvoller Identifikation gehen kann und zu wachsender leiblicher Introspektion führt, die dann wieder der Sprachkur zugeführt werden kann. Ursula Volz-Boers, durch Selbsterfahrung selbst kundig in analytischer Leibtherapie, begrenzt sich ihrer Praxis wieder auf die „Resonanz im Therapeuten“, auf die präsymbolisch und daher kaum reflektierend erfassbaren frühen Traumatisierungen. Ebenso verschweigt Günter Heisterkamp seinen umfangreichen therapeutischen Kosmos in „Heilsame Berührungen“ und begnügt sich in seinem Vortrag mit spiegelnder und affektiv verstärkender „Mitbewegung.“ Nur Gabriele Poettgen-Havekost versteckt geschickt einige vorsichtige haltende Berührungen im sonst unanstößigen Text.

Thomas Leickert wagt sich bis zu „sensorisch-intuitiver Einfühlung“ in die „außerhalb der eigenen Reflexionsfähigkeit“ verbleibenden frühen Störungen, nennt das „Umfokussierung auf Körpergefühle“ der auf Worte lauschenden Aufmerksamkeit. Aber vom berührend aufschließbaren unendlichen Schatz der frühen Einschreibungen weiß und hält er nichts. Der lebendig fühlende aktuelle Körper bleibt abgesichert hinter der Tabugrenze der Berührung, kommt aber wenigstens durch leidvolle projektive Identifizierung fühlend und deutend ins helle Lichte der Sprache. Spannende Literaturanalysen und Blicke auf die moderne Psychosomatik ergänzen den Band.

Der Kongress war ein wichtiger halber Durchbruch: Selten ist der Leib so gründlich mit wachsender Einfühlung sprachlich durchleuchtet worden; nun wartet man gespannt auf die längst fällige Überwindung der reinen Sprachgrenze.“ (leicht veränderter Nachdruck der Rezension des Bandes) im PP-Ärzteblatt 12/2016): Tilmann Moser: Walz-Pawlita, Unruh, Janta (Hrsg.): „Körper-Sprachen“. Psychosozial-Verlag Gießen 2016, Hardcover, 314 S.

Zum Verhältnis von Psychoanalyse, Traumaforschung und Traumatherapie.

Mit Traumatherapie hatte ich mich als Psychoanalytiker und Körperpsychotherapeut lange Zeit wenig beschäftigt, bis ich entdeckt, dass auf der homepage einige psychologische Therapeuten und Psychoanalytiker zu ihren Methoden auch EMBR, Gestalttherapie und Traumatherapie angaben. Es musst sich als um besonders weitergebildete, neugierige und flexible Therapeuten handelte, mit schlägigen Fortbildungen, wie begrenzt auch immer. Das machte mich neugierig, und als ich einige Publikationen zu Traumaforschung und Traumatherape zu lesen begann, stelle ich fest, dass eine

Reihe von Pionieren eine vorgängige psychoanalytische Ausbildung oder eine dankbar erlebte Selbsterfahrung erwähnten, sie schienen sich auch in mehreren Richtungen fortgebildet zu haben, und auch diejenigen, die sich vom Couchsetting und diese doppelte definitv abgewandt hatten, handhabten die Begriffe Übertragung und Gegenübertragung doch souverän, weil eine tiefere therapeutische Bindung und Arbeit gar nicht ohne diese Phänomene auszukommen schienen. Und auch die körpertherapetisch fortgebildeteten analytischen Kollegen stießen in immer frühere, tiefenemotionale Schichten der Störungen vor. Es musste also eine breite Zwischenschicht von

Behandlungsinstrumenten geben, die sich verzahnen oder überlappen konnten, sodass sich die scheinbaren Gegensätze sich für mich immer mehr milderten oder voneinander lernen konnten. Als stark unterschiedlich erwiesen vor allem die diagnostischen Zugänge und die breiteren Formen des Zugangs zu Patienten wie Inszenierung von frühen Szenen, stärkere Aktivität und die verschiedensten sanften oder heftigen Formen von Berührung.

Peter A. Levine

Die bedeutendsten Traumaforscher, deren Werken ich im Folgenden nachgehen werde, sind mit der Psychoanalyse vertraut.alle sind, zum Teil aus schmerzlicher Selbsterfahrung, an ihre Grenzen gestoßen, vor allem durch die Entdeckung des gewaltigen Unterschieds zwischen den impliziten oder emotionalen, nur im Körper gespeicherten Erinnerungen und dem expliziten oder episodischen, sprachlich fassbaren Gedächtnis. So schreibt der weltweit lehrende Peter A. Levine in seinem Grundlagenwerk „Sprache ohne Worte“ (deutsch München 2011): „Im Gegensatz zum willkürlichen Gedächtnis entgehen die Aktivitäten des emotionalen Gedächtnisses oft unserer bewussten

Wahrnehmung. Statt im bewussten Denken an einer verbal formulierten Idee festzuhalten …, macht sich das Erfahrungsgedächtnis sogenannte somatische Marker zunutze. Dabei handelt es sich um Emotionen oder physische Empfindungen, die uns auf der Grundlage früherer Erfahrungen oder Gefühle über eine Situation informieren.“(S. 371) In seinem zweiten Buch „Trauma und Gedächtnis. Die Spuren unserer Erinnerung in Körper und Gehirn“ (2015, deutsch München 2016) unterscheidet er noch klarer zwischen körperlichen und biographischen Erinnerungen. „Im starken Gegensatz zu erfreulichen oder sogar auch lästigen Erinnerungen, aus denen in der Regel zusammenhängende Erzählungen gebildet werden können, auf die man später wieder zurückgreifen kann, steigen ´traumatische Erinnerungen` meist als fragmentierte Splitter unvollständiger und unverdaulicher Empfindungen, Emotionen, Bilder, Gerüche, Geschmäcker, Gedanken und so weiter auf.“ (S. 33) „Implizite Erinnerungen lassen sich nicht gezielt abrufen und sind auch nicht über eine ´träumerische` Rückbesinnung zugänglich. Vielmehr steigen sie in Form einer Collage von Körperempfindungen, Emotionen und Verhaltensweisen auf, wie sie wieder verschwinden, was meist weit unterhalb der Bewusstseinsschwelle geschieht.“ (S. 51) Und in Begrenzung von allen „nur“ verbal orientierten Therapieformen stellt er fest: „Zwar befassen sich die genannten therapeutischen Schulen mit bestimmten Dysfunktionen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen, dringen aber nicht bis zu dessen eigentlichem Kern vor. Dazu berücksichtigen sie nicht ausreichend die essentiellen Mechanismen in Körper und Gehirn, die vom Trauma beeinträchtigt werden.“ (S. 21) Die in den letzten Jahrzehnten auch psychoanalytisch untersuchten „prozeduralen Erinnerungen“ gelten ihm als Folgeerscheinungen der impliziten oder tiefenemotionalen, weil sie die durch bestimmte Trigger auftauchenden reaktiven „Bewegungsmuster“ darstellen, die sich aus den Abwehrreaktionen ergeben, aus den „motorischen Aktionsprogrammen“. Diese sind nur durch genaue Beobachtungen der „Körpersprache“ und der Körperempfindungen zu ermitteln, die sich im analytischen Couchsetting nur höchst begrenzt wahrnehmen lassen.

Eine ganze Reihe von Körpertherapien, die sich zum Teil gewaltsamer Interventionen bedienen, um an die verschütteten Primäremotionen heranzukommen, wie Bioenergetik, Urschreitherapie, massive Exposition und andere kathartische Therapieformen sind zwar auf einem richtigen Weg, aber sie enthalten dadurch massive Gefahren, als sie zu heftiger Retraumatisierung führen können, weil ihre physiologischen Reaktionen suchtartigen Charakter annehmen können.

Dagegen setzt Levine, ähnlich wie Albert Pesso, der das schrittweise Vorgehen der Beobachtung „microtrecking“ nennt: „Die Aufarbeitung prozeduraler und emotionaler Erinnerungen verlangt eine sorgfältige Überwachung und Verfolgung der individuellen körperlichen Reaktionen. Hierzu gehören Gesten, Mimik, (als Hinweis auf intensive, aber oft flüchtige emotionale Zustände) und Veränderungen der Körperhaltung sowie autonome Hinweise wie Durchblutung …Herzfrequenz … und spontane Veränderungen der Atmung.“

Levines zweiter Band (2016) ist, neben Ausführungen zur neurophysiologischen „Alchemie des Erinnerns“, reich bebildert mit Formen seines körpertherapeutischen Eingreifens sowohl mit Babys wie mit einem schweren Fall von Vietnamkriegs-Traumatisierten. Das Buch von 2011 enthält eine Fülle von Anleitungen zur körpertherapeutischen Selbsttherapie und von Hilfen für Therapeuten zum berührenden oder herausfordernd inszenierendem Umgang mit traumatisierten Patienten. Störend ist gelegentlich nur die heilsbringerische Botschaft der schnellen Erfolge, er gilt als der Charismatiker unter den Traumatherapeuten..

Man könnte von einem Dreigestirn der Traumaforscher sprechen, die sich untereinander befreundet haben sich immer wieder gegenseitig aufeinander beziehen und Gedanken voneinander entnehmen: Levine, Bessel van der Kolk und Albert Pesso.

Bessel van der Kolk, „Verkörpter Schrecken“, Lichtenau/Westfahlen,
englisch 2014, deutsch in 3. Auflage 2016

Vom früheren Lehranalytiker und Doyen der amerikanischen Traumaforscher Bessel van der Kolk schreibt zum Beispiel Levine begeistert „Das Buch ist von atemberaubendem, geradezu epischen Ausmaß, ein Grundlagenwerk, geschrieben von einem der wichtigsten Pioniere der Erforschung und Behandlung von Traumata.“, gewonnen aus jahrzehntelanger Beschäftigung mit Traumatisierten des Holocaust. Er zitiert ihn: „Der Preis für das Ignorieren oder Verzerren der Botschaften des Körpers ist die Unfähigkeit herauszufinden, was wirklich gefährlich und schädlich ist, und – ein ebenso großes Handicap – was ungefährlich und förderlich ist.“ (S. 119) Und weiter: „Traumatisierte können erst genesen, wenn sie sich mit ihren Empfindungen in ihrem Körper vertraut gemacht und mit ihnen Freundschaft geschlossen haben. Wütende Menschen leben in einem wütenden Körper. Die Körper von Menschen, die als Kinder mißbraucht oder mißhandelt wurden, ist angespannt und defensiv, bis die betreffenden die Möglichkeit finden, sich zu entspannen und sich wieder sicher zu fühlen … Menschen können sich erst verändern, wenn sie ihrer Empfindungen und der Interaktion ihres Körper mit seiner Umgebung gewahr sind.“ (S. 123) Das schließt stimulierende Berührungen durchaus ein, ebenso wie eine Halt gewährende Beruhigung, wenn sie Spuren des Traumas zu zeigen beginnen. Doch bilanzierend bedauert er: „Obwohl die Psychoanalyse heute eine weniger wichtige Rolle spielt (gemeint im Umgang mit schwer Traumatisierten, T. M.), lebt die ´Redekur` weiter, und viele Psychologen sind nach wie vor der Meinung, das detaillierte Erzählen der Geschichte eines Traumas helfe Menschen, ein Erlebnis dieser Art hinter sich zu lassen. Dies ist auch eine der grundlegenden Prämissen der kognitiv-behavioralen Therapie (KBT), die auf der ganzen

Welt gelehrt wird.“ (S. 220) „Wir können die ´Glitschigkeit` von Wörtern überwinden, indem wir uns dem selbstbeobachteten, körperbasierten System zuwenden, das sich in Empfindungen, Eigenarten des stimmlichen Ausdrucks und physischer Anspannung äußert. Die Fähigkeit, viszerale Empfindungen wahrzunehmen, ist die Grundlage emotionalen Gewahrseins.“ (S. 284) Dazugehört eine genaue introspektive wie vom Therapeuten kommende Beobachtung durch den psychophysiologisch erfahrenden und mit der Gehirnforschung vertrauten „Zeugen“, denn: Es steht völlig außer Frage, dass die Sprache wichtig ist: „Unser Selbstempfinden hängt aber davon ab, daß wir unsere Erinnerungen zu einem kohärenten Ganzen organisieren können. Dies erfordert gut funktionierende Verbindungen zwischen dem Bewusstsein und dem Selbstsystem des Körper.“ (S. 295) Und er schreibt zustimmend über den von ihm bewunderten Albert Pesso: „Er sagte mir, er habe eine Möglichkeit entdeckt, die Beziehungen von Menschen zu ihrem innersten Kern, ihrem somatischen Selbst, zu verändern.“ (Zum früheren

Werk Pessos s. Moser, „Dramaturgie des Unbewussten“, Stuttgart 1991.) Nach einer Selbsterfahrung in einer Einzelsitzung bei ihm schrieb er später: „Ich hatte eine mehrjährige Psychoanalyse hinter mir und erwartete deshalb keine großen Offenbarungen. Ich war ein gestandener Profi in den Vierzigern mit eigener Familie …“ Aber gegen Ende der Sitzung schreibt er: „Sofort spürte ich eine tiefe Erleichterung in meinem Körper – die Anspannung in meinem Brustkorb verschwand, und auch meine Atmung wurde entspannter. In diesem Augenblick beschloß ich, Pessos Schüler zu werden.“ (S. 355) Und er bilanziert seine lebenslang Forschung, die er als Psychiater und Analytiker begann für sich (hinsichtlich der Behandlung von traumatischen Störungen, T.M.: „Jeder, der mit einer Redetherapie begann, wird fast augenblicklich mit der Begrenzheit der Sprache konfrontiert. So isst es auch mir mit der Psychoanalyse ergangen. Es fällt mir zwar leicht zu reden, und ich kann interessante Geschichten erzählen, aber mir wurde schnell klar, wie schwer es ist, tiefe Gefühle zu empfinden und gleichzeitig einem anderen Menschen über sie zu berichten. Konfrontiert mit den intimsten, schmerzhaftesten und verwirrendsten Augenblicken meines Lebens, sah ich mich oft gezwungen, mich entweder auf das innere Wiedererleben alter Szenen und zu spüren, was ich damals empfunden hatte, oder meinem Analytiker logisch und kohärent zu berichten, was mi in den Sinn kam. Entschied ich mich für letzteres, verlr ich rasch den Kontakt zu mir und konzentrierte mich auf die Meinung des Analytikers, was ich ihm berichtete. Schon der geringst Anflug von Zweifel seinerseits und die unscheinbarste urteilende Bemerkung von ihm ließen mich verstummen, mit der Folge, daß ich meine Aufmerksamkeit darauf konzentriert, seine Billigung zurückzuerobern. von ihm.

Die neurowissenschaftliche Forschung hat herausgefunden, daß wir über zwei Formen von Selbstgewahrsein verfügen: Die eine verfolgt unser Leben im Zeitkontinuum, die andere erfaßt es im gegenwärtigen Augenblick. Die erste, unser autobiographisches Selbst, stellt Beziehungen zwischen Erlebnissen her und verbindet sie zu einer zusammenhängenden Geschichte. Dieses System basiert auf der Sprache. Unsere Erzählungen verändern sich durch das Erzählen, sowie sich unsere Perspektive durch die Einbeziehung neuen Inputs verändert.

Das andere System, unser Selbstgewahrsein von Augenblick zu Augenblick, basiert hauptsächlich auf körperlichen Empfindungen, doch wenn wir uns sicher fühlen, können wir Worte finden, um auch diese Art es Erlebens andern mitzuteilen. Die beiden Arten der Selbstkenntnis sind in verschiedenen Gehirnbereichen lokalisiert, zwischen denen so gut wie keine Verbindung besteht.. Nur das im medialen Präfrontalkortex lokalisierte Selbstgewahrsein kann das emotionale Gehirn verändern.“ (S. 282) Dieses muss angetriggert werden durch mitgeteilte Beobachtung auch minimaler Körperbewegungen, Gesten, Atemveränderungen, bis es, auch an katharrtischen Reaktionen erkannt und verändert werden kann. Die „die aus dem „verkörperte Schrecken“ aus dem akuten oder „kumulativen Trauma“ entstanden Spannung oder Lähmung kann so erkannt und aufgelöst werden. Van der Kolks Erkenntnisse sind am meisten von der Psychoanalyse verwendet und teilweise integriert worden, aber ohne den viele weiterreichenden Aussagecharakter der körperlichen Deformation der Psyche aufgreifen zu können. Sie wendet sich inzwischen zwar mehr traumatischen Störungen zu, in geduldiger verbaler Aufmerksamkeit und Intuition, aber der Abstand zur direkten Traumatherapie ist noch enorm durch die Spaltung der Aufmerksamkeit in implizite und autobiographisch fassbare Erinnerungen.

Biographische Notiz: Meine eigenen rein analytischen und körpertherapeutischen Erfahrungen: ein Jahre jungianischer Therapie (Milderung), zwei Jahre zweistündig analytische Therapie, abrupt aufgegeben wegen Verschlimmerung der Depression und Resignation, ein Jahr einstündige Psychotherapie mit Übergang in vier Jahre Lehranalyse, hoffnungsvolles Überleben, Pause und Stabilisierung durch Praxisbeginn, nacu schwerem depressiver Rückfall,zwei Jahre Fortsetzung der Lehranalyse, sehr hilfreich dazu partallel ein halbes Jahr eine psychoanalytisch geführte nender paralleler hilfreicher Körpergruppe, abgebrochen wegen Verbot durch den Lehranalytiker. Nach späteren depressiven Rückfällen Danach vier mal mehrmonatige psychotherapeutische Klinik mit begleitender Körperarbeit, teilweise mit erzwungener Sofortabsetzung von Medikamenten, später Beginn mit Psychopharmaka, Milderung, danach vier Jahre analytische Körperpsychotherapie in dreistündiger Einzelarbeit, danach gut lebensfähig bis heiter mit intensivem Sportprogramm. Durch die Ausbildung bei Albert Pesso viele intensive Körperselbst- Erfahrungssitzungen. All dies war schmerzhaft allmählich überzeugungsbildend in Sachen verbal-präverbal- averbale Therapie.

Ein neuer Zugang vom bewegten Ausdruckkörper her: Albert Pesso

Der vor kurzem verstorbene, weltweit lehrende Körpertherapeut hat sich immer geweigert, sein System in Büchern darzustellen, selbst kurze Aufsätze sind nur verborgen in amerikanischen Insiderzeitschriften. Im Internet ist zu lesen, von ihm autorisiert:

Nach meiner jahrelangen Ausbildung bei ihm habe ich im Nachwort zu meinem Buch über seine Methode „Strukturen des Unbewussten. Protokolle und Kommentare“ ( Stuttgart 1991) geschrieben:

„Pesso machte, während er noch als Leiter einer Schule für freien Tanz arbeitete,. Eine psychoanalytische Therapie, die ihn aufs tiefste enttäuschte und verletzte. … Später arbeitete er mehrere Jahre als Körpertherapeut in einer psychoanalytisch orientierten Klinik, wo er Gelegenheit hatte, mit den Therapeuten viel über die Frage zu diskutieren, welche Faktoren in einer Therapie heilend wirken. Seine ersten Jahre waren waren noch gekennzeichnet von dem Versuch, die für sein therapeutisches handeln wichtige Abfolge von Energie, Aktion, Interaktion und Verstehen so zu handhaben, daß ein möglichst intensiver Ausdruck der ungelebten Gefühle auf der organismischen Ebene stattfand – im bewußten Gegensatz zur reinen ´talking cure` der Psychoanalyse. Dies führte … zu einer Vorliebe für möglichst dramatische Strukturen, eine Tendenz, die dadurch verstärkt wurde, daß Pesso vorwiegend als Ausbilder von Therapeuten mit eigener langer Selbsterfahrung und Ausbildung tätig war.

Er konnte also in höherem Maße in den üblichen Gruppe Konflikte aktualisieren, und die Teilnehmer wollten es auch oft so,, um an einem Punkt der Stagnation weiterzukommen. Die Tatsache, daß in den letzten Jahren die meisten Teilnehmer seiner Ausbildungsgruppen Analytiker oder analytisch orientierte Therapeuten waren, hat aber zu einer Wiederannäherung an einige grundlegende psychoanalytischer Konzepte geführt: Er räumt ein, dem verantwortlichen Ich des Patienten heute viel mehr Verantwortung ein, dessen Funktionsfähigkeit er auch während der Struktur ständig beobachtet und zu stärken versucht.

Im Zentrum von Pessos Arbeit steht allerdings nach wie vor die These, daß die unbefriedigten archaische Bedürfnisse wie die infantilen Konflikte nach Möglichkeit in einem ´Aggregatzustand` angegangen werden sollten, die ihrer frühen organismischen oder leibseelischen Form entspricht“ (S. 162/3) „Auf eine knappe Formel gebracht, könnte man sagen: Die Pessotherapie ist eine dramatische Form der Psychoanalyse, insofern die inneren Repräsentanzen sich hier nicht in der Übertragungsbeziehung entfalten, sondern in möglichst präzise gestalteten Szenen, in denen die frühen bedeutsamen Figuren oder (Teil-)Introjekte präsent gemacht werden. …

Voraussetzung für diese Arbeit sind die präzise Beobachtung des körpersprachlichen Ausdrucks seiner Patienten wie auch die sichere Einschätzung seiner jeweiligen Regressionsstufe. Es ist daher kein Zufall, daß der größte Teil von Pessos Schülern, zumindest in Europa, aus Analytikern und analytisch orientierten Therapeuten besteht.“ (164) „Nach meiner Erfahrung eignet sich die Pesso-Therapie … in ganz besonderem Maße als Ergänzungstherapie zu tiefenpsychologisch orientierten Therapien.“ (165)

Inzwischen hat sich seine Therapieform in Deutschland rasch ausgebreitet, teils privat, teils in Ausbildungsinstituten. Wie andere Körperpsychotherapeuten rät er allen psychoanalytisch orientierten Therapeuten, sich durch Seminare in vielen Körperpsychotherapien sich mit dem Umgang mit dem berührbaren Körper in Selbsterfahrung vertraut zu machen und die Angst vor ihm zu mildern. Dem Mangel an theoretische Schriften Pessos hilft eine reiche Sammlung von Beispielfilmen ab.Von Leonhard Schrenker (Stuttgart 2016, 2. Aufl.2016) liegt eine gründliche Darstellung der Methode vor. Hervorragende Aufsätze von Almuth Roth und Barbara Fischer im Netz stellen den neueste Stand vor. Unter „Arbeitsgemeinschaft Pesso-Therapie. PBSP,com werden eine Fülle von „Lectures von Pesso und Videos von seinen Therapiesitzungen angezeigt.

Psychologische Psychotherapeuten, Träger des Fortschritts?

Ein Paradox: die Zahl der psychologischen Psychotherapeuten ist um ein vielfaches Höhe als die der Psychoanalytiker. Sie durchlaufen, zum Teil an anerkannten freien oder vereinigungsgebundenen analytischen Instituten, mehrjährige Ausbildungen. Zum Teil tun dies auch staatlich legitimierten Institute, mir Ausbildungsgänge an., die bei den seriöseren, kontinuierliche Kurse und Lehrtherapien berufsbegleitend anbieten bilden;.andere „Ausbildungsberechtigte“ auf Vereinsbasis bieten „fraktionierte“ Weiterbildungen an in Wochenend- oder Wochenkursen an, mit weit geringerer Kontinuität der Fortbildung. Doch allen ist gemeinsam, dass sie nur mehr oder weniger rein analytische Angebote vorfinden und also weit weniger klassisch psychoanalytisch indokriniert ihr Berufsleben beginnen. Dafür dürfen sie aber auch nur über maximal 100 in Abschnitten beantragte Therapiestunden verfügen. Das hat für ihre therapeutische Einstellung weitreichende Vor- und Nachteile.

Die Vorteile: sie stoßen viel rascher an die Grenzen ihre Ausbildung, sind also offener für die vielfältigen Weiterbildungsangeboten, die zunehmen auf dem Markt, vielfach auch fraktioniert und mit minderen Anforderungen. Sie trauen sich also durch instabilere Bindungen an orthodox-analytische Institute auch an die Einbeziehung des Körpers heran, falls des den Kollegen gelingt, die neue erworbenen Kenntnisse zu integrieren oder durch Supervision oder Intervision zu vertiefen. Das kann vielen Patienten zu einer echten Hilfe werden, wenn auch die Pioniere nicht umsonst vor mangelnder Tiefe der Techniken warnen, vor einer Vernachlässigung der notwendigen Beachtung von plötzlich wechselnden Übertragungen .und Gegenübertragung, was oft zu Unklarheit, Verwirrung, Stagnation oder destruktiven Abbrüchen führt. Bei viele Analytikern, die das auch zu negativen Urteil gegen Berührung überhaupt verleitet. Analytisch orientierte Lehrer der Körperpsychotherapie verlangen deshalb auch den Nachweis von ausreichend gründlichen analytischen Vorerfahrungen.

Analytisch grundierte Körperpsychotherapie: George Downing

Der in Paris lebende, europaweit lehrende Theoretiker und Praktiker der Körperpsychotherapie George Downing bildet für mich den Übergang von den psychoanalytisch orientierten Traumaforschern und Traumatherapeuten mit seinem Werk „Körper und Wort in der Psychotherapie“ (deutsch München 1996). ,“Er fragt gleich zu Beginn, nachdem er seine Dankbarkeit der Psychoanalyse gegenüber ausgedrückt hat, weil sie eine subtile Verknüpfung von Übertragung und Gegenübertragung praktiziert: „Wie müssen wir vorgehen, damit die verbalen und die physischen Interventionen ineinandergreifen und harmonieren … wie geht der Therapeut vor, um beides wirksam miteinander zu ´verweben`, wie ich es später nennen werde.“ (S. 18)

Er fragt später weiter: „Welche körperliche Bewegung würde für die Patientin oder den Patienten selbst bei dem, was sie/er im Augenblick erlebt, der Qualität der empfundenen Emotion am genauesten entsprechen?“ (S. 94) Die Grundannahme dabei ist, dass traumatische Erfahrungen Bewegungsreflexe der Abwehr auslösen, und bei intensiven positiven Emotionen Reflexe der Annäherung an das Objekt auslösen, die durch genaue Beobachtung und körperliche Stimulation zu ermitteln sind. Pessos microtracking der beiden Körperimpulse lautet bei ihm die Beachtung des „Mikroausdrucks“, den das wachsame Auge oder die mitgehende Körperintuition des Therapeuten ermittelt.

„An dem Tag, an dem ein Klient wirklich ´begreift`, wie stark er den Körper benutzt, um sein zwischenmenschliches Feld zu strukturieren, wird sein Bedürfnis nach direkter Arbeit mit dem Körper um ein vielfaches zunehmen.“ (S. 69) „Man könnte sagen, die Arbeit mit dem Körper öffnet eine Tür zum (averbalen, T. M.) Unbewussten. Zweitens erschließt sie uns die präverbale Vergangenheit des Patienten. Kein anderer Schritt bewirkt das so effektiv und umfassend.“ Dazu gehören kontrollierte Techniken der Einleitung von Regression, denn: „In bestimmten körperlichen Regressionszuständen kann die präverbale Vergangenheit mit einer Genauigkeit nachgezeichnet werden, wie nirgendwo sonst.“ (S. 102) So wie Psychoanalytiker sich distanzieren würden von einem Unterlaufen oder einer Überrumpelung der Abwehr, so ist der Körperpsychotherapeut gehalten, die Dosierung der Konfrontation genau zu beachten. Denn „Körperabwehrmechanismen scheinen die gleichen Ziele zu haben wie die ´rein` psychischen Abwehrmechanismen wie Projektion, Verleugnung und so fort. Ihre Funktion besteht darin, uns vor Dingen zu schützen, die wir nicht wahrhaben, fühlen oder tun wollen.“ (S. 191)

Allerdings werden andere, wie durch einen Sprung der Ebenen, eingesetzt, je nach dem Traumatisierungsgrad der Emotion. Das Gegenteil der heftigen, aber oft total gehemmten Wegbewegungen, die zur Erstarrung führen, sind die gehemmten Hinbewegungen. Beide brauchen begleitende Unterstützung, Halt oder Widerstand gebend. Aber zur Wahrung der Autonomie des Patienten und zur Vermeidung von Manipulation ist es wichtig, „den Patienten vorher zu fragen, ob er die unterstützende Bewegung erlaubt.“ (S. 245), denn „Körperliche Berührungen sind in der Psychotherapie eine extrem tiefgreifende

Intervention, und wenig bewirkt hier sehr viel.“ (S. 245) Aber „Wenn ein Patient also in der Körperpsychotherapie nicht unterstützend berührt wird, kann er das sehr viel stärker als Mangel erleben.“ Die Halt gebende Hand kann aber als so wirksam erlebt werden, dass die aus der personalen Übertragung quasi herausgenommen und zu einer „anonymen Hand“ wird. Der Patient „wünscht weder Augenkontakt noch eine Wahrnehmung der Person des Therapeuten oder einen rhythmischen Austausch, in welcher Form auch immer.“ (S. 250)

Angesichts der Macht des Körpertherapeuten, rasch heftige Gefühle auszulösen, kommt Downing zu der für alle Kollegen geltenden Warnung, nämlich der „Verlockung der Grandiosität. Wenn die Körperpsychotherapie ein Berufsrisiko hat, dann dieses ... Der Punkt ist die Diskrepanz zwischen der technischen Leichtigkeit einerseits, mit der ein Körperprozess in Gang gesetzt werden kann, und der Macht und Komplexität des Körperprozesses selbst. Durch so wenig können wir so viel auslösen. Das kann Illusionen fördern. Und zwar auf beiden Seiten der therapeutischen Beziehung. Der Patient, verblüfft darüber zu entdecken, wie viel in ihm aufgewühlt worden ist, hat die Tendenz zu idealisieren. Er kann den Therapeuten als eine Art Magier betrachten.“ (S. 340) Albert Pesso hat das Problem auf seine offenherzige Art sinngemäß so ausgedrückt: Am Beginn der Arbeit mit der Heftigkeit der ausgelösten Prozesse habe er sich stolz wie im „miracle business“ tätig gefühlt, bis er sich an die „Entdeckung der Langsamkeit“ gewagt habe, mit dem, was er später das geduldige microtracking nannte, in der Sorge um die noch begrenzten Fähigkeiten, einen solchen Gefühlssturm zu bewältigen und zu integrieren.

Deshalb hat es auch dazu geführt, dass er bevorzugt Gruppenteilnehmer zugelassen hat, die ihrerseits in einer Halt gebenden therapeutischen Begleitung sich befanden, zur besseren Integration des Schubs an regressiver Überwältigung. Und er suchte zum Ende einer „Struktur“, so die Bezeichnung einer Sitzung, immer nach einem positiven, neue Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigenden Ausgang, oft im Schutz „idealer Eltern“ als Garant einer kräftigen Zufuhr einer korrigierenden Erfahrung.

Ein Lehranalytiker der Körpertherapie: Ulfried Geuter

In seinem grundlegenden Werk zur Geschichte und Theorie der Praxis des vielgestaltigen Gebiets „Körperpsychotherapie“ (Springer, Berlin-Heidelberg 2015) schreibt Geuter, der selbst Lehranalytiker ist, zur Therapeutischen Anwendung“: „Sich der Wahrnehmung des Zustands zuzuwenden, ist in der Körperpsychotherapie ein zentrales Mittel, um autobiographische Erinnerungen zu transformieren. Daher nutzt die Körperpsychotherapie nicht nur gedankliche Assoziationen, sondern auch die Assoziationen des Körpers:

Empfindungen, körperliche Impulse, sinnliche Erlebnisqualitäten, die in einer therapeutischen Sitzung hinzutreten und zur erlebten Vergangenheit führen oder als Qualitäten des Moments hinzutreten und zur erlebten Vergangenheit führen ... Beschränkt sich die Psychotherapie auf Gedanken und Gefühle, werden die entsprechenden Gedächtnisspeicher nicht genutzt.“ (S. 172) Und weiter heißt es: „Viele Inhalte dieses implizierten Gedächtnisses stammen aus einer Zeit, in der das episodische Gedächtnis noch nicht funktioniert. Episodische Erinnerungen sind nämlich erst möglich, wenn ein Kind Erinnerungen sprachlich als ´meine` einordnen kann, d. h. wenn es über die Sprache und ein Ich-Bewusstsein verfügt. Das hängt mit dem Sprung einer Reifung des präfrontalen Cortex zusammen und ist in der Regel erst ab dem dritten Lebensjahr möglich. Frühe Lebenserfahrungen werden daher zwangsläufig in Handlungsbereitschaften nicht-sprachlich gespeichert.“ (S. 174)

Und der Analytiker in ihm fasst zusammen: „Die Körperabwehr ist zwar mit Abwehrmechanismen wie Verdrängung, Hemmung, Reaktionsbildung, Affektisolierung oder Wendung gegen das eigene Selbst verbunden, aber bei ihr sorgt in erster Linie der Körper für die Kontrolle des Unerwünschten und die dadurch mögliche Anpassung an die Realität.“ (S. 253)

Die logische Folge bedeutet: „Durch die körperliche Exploration führt die Sprache der Bewegung zu einem expliziten Verständnis ihres symbolischen Gehalts. Das weitet den Raum dessen aus, was dem Zugriff des Bewusstseins unterliegt.“ (S. 286) Die beobachteten oder durch Berührung ausgelösten Bewegungsimpulse werden durch den Therapeuten durch vielfältige und ausdeutende Antwortbewegungen (nach dem Muster der fragenden und antizipierenden Mutter) begriffen und bewusstseinsfähig und können ins wachsende Selbst integriert werden und verlieren im Falle einer vorliegenden Traumatisierung ihren „abgründigen“ Schrecken.

Eine tiefenpsychologische Summe der Entdeckungen

In dem voluminösen Lehrbuch „Psychoanalyse der Lebensbewegungen“ von Peter Geißler und Günter Heisterkamp fassen zum ersten Mal deutsche Analytiker und Lehranalytiker ihre Erfahrungen des erweiterten Settings zusammen:

„Hier liegt wieder die Frage nahe, ob bei schweren Entwicklungsstörungen die Körperpsychotherapie, u. a. die Berührung, noch häufiger in die Therapie integriert werden sollte, als es heute der Fall ist.“ (S. 15) Doch Heisterkamp bilanziert die skeptische Reaktion der Psychoanalyse gegen die Rezeption der neuen Entdeckungen: „Offenbar braucht es lange klinische Erfahrung, um mit den Möglichkeiten der Psychoanalyse freier umgehen und sie ohne Sorge erweitern zu können. Doch es bleibt die schon erwähnte Sorge und die Skepsis vieler Analytiker gegenüber Körperarbeit und besonders gegenüber eigener Körpererfahrung. Ist ein Grund die sozusagen ungeschützte Begegnung mit einem Bereich, der als privater, intimer und persönlicher erfahren und empfunden wird als der sprachliche Umgang (auch in der selbst erfahrenen Lehranalyse) und der einer Begegnung mit leibnahen Ebenen, damit eventuell auch starken Emotionen, frühen Erlebnissen, oder überhaupt dem unmittelbaren Erleben näher stehen könnte?“ (S. 13)

Eine der in der Einbeziehung des Körper erfahrensten PsychoanalytikerInnen, in Jahrzehnte langer eigener Praxis und Supervisionstätigkeit, Gisela Worm, legt besonderen Wert auf die wiederholte Anregung von eigenen Körperwahrnehmungen, deren Entschlüsselung in ihrer Bedeutung als Teil des Selbsterlebens, und das Verstehen deses subjektiven Körpererlebens als Teil der Beiehung. bilanziert: „Alle drei Wege (der Einbeziehung des Körper, T. M.) haben ihre besonderen Möglichkeiten und ihre Grenzen. Gemeinsam ist die Grundannahme, dass das Körpererleben als zentraler Teil des Selbsterlebens einen entscheidenden Einfluss auf alle intrapsychischen und interpersonalen Wahrnehmungen und Reaktionen hat. Die Verknüpfung mit den inneren Beziehungsmustern und deren Geschichte bestimmt den Umgang mit dem Ausdruckskörper, im Unterschied zum Erleben des Funktionskörpers in seiner psychosomatischen Bedeutung.“ (S. 236)

Ähnlich argumentiert Gabriele Poettgen-Havekost zum Umgang mit schweren Traumata: „Die traumatisierenden Erfahrungen mit den dazugehörigen Affekten können nicht symbolisiert in die psychische Struktur integriert werden, sondern bleiben abgespalten, isoliert und eingekapselt. Sie sind mit einem Erleben von äußerster Angst und Hilflosigkeit bei Verlust aller inneren und äußeren Möglichkeiten, sich zu beruhigen verbunden ...“ (S. 239) Sie bezeichnet Traumatisierung als „erstarrte Lebensbewegung“, die mit schonender Vorsicht wieder ins Fließen gebracht werden soll.

Thomas Reinert, Direktor einer analytisch orientierten psychosomatischen Klinik, kommt nach einigem Zögern und nach langer Spezialisierung im Umgang mit schweren Borderline-Störungen zum Ergebnis: „Wenn nachhaltige Struktur-Beeinflussungen bei solchen Patienten angestrebt werden und nicht nur Symptomverbesserungen, ist m. E. eine analytische Behandlung ohne Einbeziehung des Körpers nicht möglich! Die immer wieder aufgeworfene Frage, ob die Körperlichkeit in die psychoanalytische Arbeit direkt einbezogen werden sollte oder nicht, ist für mich nach langjähriger Erfahrung damit eindeutig beantwortet. Aber das Entscheidende ist an dieser Stelle gar nicht die Frage ´ob oder ob nicht` sondern vielmehr die Frage des ´Wie`!“ (S. 501)

Viel vorsichtiger nähert sich Ursula Volz-Boers dem Körper zuerst über das leibliche Mitschwingen des Therapeuten in der körperlichen Gegenübertragung mit dem Patienten: „Körperempfindungen in der Gegenübertragung werden als Informanten nicht oder nicht ausreichend mental repräsentiert … Die Körperresonanz wird als Zugang zu Bereichen seelischer Verfassung, in denen Spuren frühesten basalen Erlebens in sensomotorisch-affektivere, also in einem archaischen seelischen, gebunden geblieben sind.“ Dann aber heißt es, die reine Resonanz überschreitend: „In diesem Organisationsniveau besteht die Behandlungstechnik in einer aktiven, körperaffektiv geleiteten Einlassung auf Körpersensorik, auf Körperinszenierungen und Handlungsdialoge mit Patienten in der Übertragung.“(S. 58)

Die psychoanalytisch versierte Traumatherapeutin Ursula Huber in „Wege der Trauma-Behandlung, Teil 2“ (Junfermann, Paderborn 2003) geht mehr auf die erlebnishafte Situation des missbrauchten Kindes ein, das bei einer traumatischen Begegnung keine andere Wahl hat, als nur seinerseits den eigenen Körper zu missbrauchen, um einer lebensbedrohlichen Reaktion zu entkommen: „Tatsächlich ist die KlientIn, wenn wir das Beispiel der Überlebenden von Kindesmissbrauch oder häuslicher Gewalt nehmen, von denjenigen verraten und verletzt worden, denen sie am meisten vertraute und die sie am meisten brauchte. Sie konnte zum Zeitpunkt der Traumatisierung nichts – nichts! – anderes tun, als letztlich zu kapitulieren – sonst wäre es kein Trauma geworden, sondern ´nur` ein belastendes Lebensereignis, denn sie hätte noch rechtzeitig dagegen ankämpfen oder davor fliehen können, wirklich traumatisiert zu werden.“ Bei genauer Körperbeobachtung zeigen sich aber Restspuren der Erstarrung einer Kampf- oder Fluchtbewegung, die im körperlichen Schutz und Halt Stück für Stück verflüssigt werden können, um einen Neubeginn der Gegenwehr zu ermöglichen, und sei es zunächst nur in der Phantasie, vor dem verzweifelten Schrei oder von Probehandlungen der Verzweiflung, der Gegenwehr wie der vergeblich gebliebenen Annäherung an ursprünglich geliebte Personen.

Niklaus Roth, Ein Schweizer freudianischer Lehranalytiker

In seinem Kommentar meines Buchs „Das erste Jahr“ (Suhrkamp Frankfurt, 1986) über eine Patientin mit schwerer Borderline-Störung schreibt er: „Ohne bei einer Patientin, die so tief regredieren muss (und kann), auf den Körper einzugehen, ohne die Sprache auch aus der körperlichen Bewegung heraus neu zu entwickeln, bestünde die Gefahr, im willkürlichen Verwörtern der Situation dem Patienten eine ihm unerreichbare, unpassende Weltkonstruktion aufzudrängen.

Auf einer frühen Ebene bergen Wörter die Gefahr, das falsche Selbst zu füttern. Schweigen allein kann auf der anderen Seite zum Abgrund werden. Körperlicher Kontakt dagegen vermag eine Brücke zu bilden, die trägt, aber nicht zwingt – und wenn sie als eben das gemeint ist und als solches auch vermittelt werden kann.“ (S. 163/4) Und er erkennt klar und gegen die allgemeine psychoanalytische Annahme eine Verletzung der sorgsam zu hütenden Abstinenz: „Wer als Therapeut mit dem Körper arbeitet, hat tatsächlich Abstinenz neu zu verstehen und durchzuhalten. Gelingt das, kann allerdings der Körper als Quelle besonderer Kompetenz erfahren werden. Er weiß oft besser, was verletzt wurde, aber auch was die Verletzung heilt, und er hat oft ein besseres Gedächtnis als die Seele allein mit ihren Vorstellungen. Vor allem kann er fähig bleiben, Hoffnung auszudrücken und noch Berührung mit dem Leben zu suchen, wo Denken und Fühlen ganz dem Wiederholungszwang verfallen scheinen.“ (S. 167)

Das eher nichtanalytische Handbuch der Körperpsychotherapie (Schattauer-Verlag, Stuttgart/New York, 2006) bietet riesige verdienstvolle Übersicht über Theorie und Praxis der Körperp sychotherapie. Dennoch enthält es hervorragende Arbeiten der psychanalytisch orientierten Traumatheoretiker..In seinem Grundsatzvorwort betont Besservan nschaften haben gezeigt, dass es zwischen den verschiedenen Gehirnregionen, die für Verstehen, Planung und Emotionen zuständig sind, kaum eine Verbindung gibt. Mit anderen Worten sind wir nicht in der Lage, uns von bestimmten Gefühlen auf dem Weg des bloßen Verstehens zu befreien – ganz gleich, ob es sich dabei um Liebe, Furcht, Verlassenheit oder Hass handeln mag.“ (S. X) „Zerstörte Beziehungen zu den primären Bezugspersonen und andere Formen überwältigender Erlebnisse verändern das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper: Er verschließt sich, verspannt sich, wird hilflos oder hektisch, er schmerzt, und der Patient scheint weder zu sich selbst noch zu seiner Umgebung eine tragfähige Beziehung aufbauen zu können.“ Deshalb „muss sein Körper zunächst wieder mobilisiert werden.“ (S. VIII) Und er folgert: „Nun mögen analysierende Gespräche darüber, weshalb man sich schlecht fühlt, ein nützlicher erster Schritt sein; doch ist es kaum wahrscheinlich, dass dadurch bereits eine tief greifende Veränderung der körperlichen Erfahrungswelt eintritt.“ (S. IX)

Thomas Busch zitiert in seinem Aufsatz „Therapeutisches Berühren als reifungsfördernde Intervention“ auf der Suche nach einer Erklärung, warum Körpereinsatz im Gefolge es frühen Freud so starr abgelehnt wurde: „Freud berührte Patientinnen im hypnotischen Zustand an Stellen, an denen sich Energie mangels lustvoller Erregung staute. Mit der gleichen Absicht massierte er andere Hysteriepatientinnen. Zu einem späteren Zeitpunkt wirft sich eine Krankenschwester seiner Station, die Freud durch Hypnose von ihren Symptomen geheilt hatte, in seine Arme und umschlingt seinen Hals, um ihn zu küssen: Eine für Freud wohl unvorstellbare – möglicherweise traumatische – Entgleisung dieser Patientin.

Unter diesem Eindruck einer irritierenden Erfahrung von körperlicher Nähe verwirft Freud seine Arbeit mit Berührung und entscheidet sich vollständig gegen sie.“ „Trotzdem wirkt Freuds Erbe bezüglich der mangelnden Differenzierung zwischen Berührung und Erotisierung im Rahmen behandlungstechnischer Grundlagen der klassischen Psychotherapierichtungen, der Verhaltenstherapie, der Psychoanalyse und der Tiefenpsychologie folgenschwer nach.“ (S. 522)

Hans-Joachim Maaz

Der jahrzehntelang erfahrene Lehranalytiker und Lehrer der Körperpsychotherapie statuiert nachdrücklich: „Will man sog. ´Frühstörungen` angemessen behandeln … so muss die präverbale Entwicklungszeit des Menschen therapeutisch erfasst werden.“ Es wird dabei nicht mehr auf frühe Objekt- und Subjektbilder regrediert, sondern auf frühe Erlebnisstrukturen und Beziehungserfahrungen, die bedeutungsvolle Ereignisse vor allem als sensomotorische Repräsentanzen umfassen, die deshalb nur durch Körperwahrnehmung und Bewegungsimpulse reaktiviert und reinszeniert werden können.

Damit wird der Körper zur via regia zum präverbalen Unbewussten.“ (S. 741) „Die klassische Psychoanalyse hatte mit dem Couchsetting und der Abstinenzregel den Beziehungsaspekt wesentlich reduziert und auf das therapeutische Anliegen hin – eine Übertragungsneurose zu ermöglichen – entsprechend manipuliert. Das heißt, in diesem Setting können praktisch nur unbewusste neurotische Konflikte auf höherem Strukturniveau ausreichend gut behandelt werden, eine vertiefte emotionale Arbeit und die Reaktivierung früher szenischer körperbezogener Interaktionen ist kaum möglich. Dies ist allerdings auch angemessen, da frühe affektmotorische Reaktivierungen und Entäußerungen in einer Übertragungsbeziehung nicht auszuhalten und nicht zu verantworten wären. Immerhin kann es u. a. um Vernichtungsangst, um mörderische Aggressionen, zerreißenden Schmerz und sehnsüchtige Verschmelzungswünsche gehen, die nicht in einer Beziehung im Hier und Jetzt ausgestaltet und ausgetragen werden können.“ (S. 741/2)

Traumazentrierte Psychotherapie, Ulrich Sachsse

Der bedeutende Traumaforscher Ulrich Sachsse hat in seinem umfangreichen Sammelband aus eigener Feder eine Fülle von sowohl stressphysiologischen wie psychotherapeutischen Texte versammelt, ergänzt durch eine Vielfalt von anderen Forschern. Aus einem Vortrag von vor mehr als 20 Jahren und persönlichen Gesprächen weiß ich, dass er in der Gestaltung einer vertrauensvollen und Halt gebenden Kooperation mit seinen Patienten, neben vielen Texten zur therapeutischen Beziehung, Therapieplanung, Stabilisierung, Arbeit mit dem inneren Kind und einem sicheren Ort, Beobachter- und Bildschirm-Technik wie Imaginationsübungen versammelt. Sie scheinen alle vielversprechend zu sein. Aber es fällt auf, dass er, anders als früher, einen körpertherapeutischen Zugang überhaupt nicht mehr erwähnt, obwohl ich weiß, wie sehr „Halt gebend“ damals auch körperlichen Halt zu den beruhigenden und Erstarrung und Panik lösenden Interventionen gehörte, z. B. einen schützenden Arm um den Patienten zu legen, insbesondere bei der intermittierend dosierten Bildschirmtechnik zum Schutz gegen die unvorhersehbar überwältigenden und explodierenden Erregungsschüben. Das wird aber nicht begründet, ich vermute infolge der jahrelangen Zusammenarbeit mit der nicht-berührenden Luise Reddemann. Körperarbeit fehlt in allen anderen von Sachsse vereinigten Texten und allen eindeutig nur verbal arbeitenden Formen.

Pränatal orientierte Körperpsychotherapie, Rien Verdult, Holland

Der durch seine prä- und perinatal bekannt gewordene Former verlängert seine Arbeit mit traumatisierten Neugeborenen und Kleinkindern weiter bis hin zur Jugendlichen- und Erwachsenentherapie. Für ihn steht fest: „Wenn das Erzählen von Geschichten auf die eigene persönliche Geschichte trifft, wird es im Rahmen von Psychotherapie nicht effektiv sein. Das emotionale Gehirn sollte beteiligt werden. Emotionen haben das Gehirn organisiert und beherrschen die Probleme des Klienten. Weil Gefühle eine körperlich empfundene Bedeutung haben, kann dieser Sinn nur durch Arbeit mit dem Körper aufgedeckt werden. … Einsichtsorientierte Psychotherapien (wie Psychoanalyse) können diesenotwendige Veränderung nicht hervorrufen, ebenso wenig die Verhaltenstherapie und kognitive Therapie. … Nur Erfahrungs- und körperorientierte Psychotherapeuten fördern das ´vollständige Funktionieren` (Rogers) des Klienten. ... Einsicht kann nur gewonnen werden, wenn die frühen Gefühle in die bewusste Wahrnehmung aufgestiegen sind. Eine Integration von Geschichtenerzählen und dem Wiedererleben von Trauma und Schock über den Körper kann für Psychotherapie höchst effektiv sein. Emotions- und körperorientierte Psychotherapien können mittels affektiver Neurowissenschaften in der klinischen Praxis integriert werden.“ (S. 75/6, in „Die Neuverdrahtung des Gehirns“ in: Peter Schindler, (Hrsg.), „Am Anfang des Lebens.“ Schwabe-Verlag, Basel 2011.)

Sander Kirsch, psychoanalytisch orientierter Bioenergetiker

„Schock ist eine ´physiologische, keine ´psychologische` Abwehr. Das Überleben selbst wurde bedroht.“ Dabei „reichen die psychodynamischen Modelle nicht aus, um die Tiefe der Traumatisierung oder die notwendigen Prozesse für ihre Durcharbeitung zu erklären. Es ist sehr wichtig, diesen Unterschied zu betonen, weil unaufgelöste Schock-Zustände nicht auf die gleiche Art durchgearbeitet werden können, wie andere psychologische Traumata.“ (S. 61) „Die Analyse von Schock-Zuständen führt zu vielen Ausnahmen von den Regeln der Psychoanalyse.“ (S. 77) „Im Moment, in dem die Diagnose feststeht“, ist „die therapeutische Beziehung in vieler Hinsicht und in gravierender Weise verändert – sie unterscheidet sich radikal von der des klassischen analytischen Modells.“… „Die Analyse der Übertragung ist nicht die Hauptaufgabe der therapeutischen Beziehung.“ …

„Das Arbeitsbündnis ist dazu da, aktive Strukturen herzustellen, die eine Brücke zwischen Realität und Emotionen schlagen.“ … „Um dies zu erreichen, muss der Therapeut im Vergleich zum Psychoanalytiker aktiver sein. Seine wirkliche, leibliche Präsenz muss vom Klienten nicht nur internalisiert werden; er braucht sie vielmehr als lebensrettende Boje, an die er sich klammern kann.“ (S. 78) „Und doch könnten im Lauf der Therapie blitzartige Übertragungswechsel stattfinden.“ „Der Therapeut muss akzeptieren, daß er zum Repräsentanten des Angreifers, ja sogar zum Repräsentanten des Schock-Ereignisses wird. Er wird zum ´Feind`.“ (S. 82, in: „Ich kann nicht glauben, daß mir das jemals geschehen ist.“ In: „Schock und Berührung“, hrsg. von Dagmar Hoffman-Axthelm, Transform-Verlag, Oldenburg 1994.)

Ralf Vogt, Leipzig,Lehranalytiker Behandlungsmodell dissoziativer Psychotraumastörungen

Der psychoanalytisch orientierte Traumaforscher, der gut begründet ein gemischtes Setting – gleichzeitige Einzel- und Gruppentherapie – favorisiert, hat ein eigenes theoretisches Konzept entwickelt, das durch sein neues Sprach-und Begriffssystem keine universale Bedeutung erlangte. Er hat sich in vielen Punkten aber einer allgemeineren Traumatheorie angenähert oder sich in vielen Details von ihr entfernt, sie aber auch bereichert: „Als Flashback wird eine posttraumatische extreme Panikreaktion des Menschen verstanden, die in ihrem Umgang alle Sinnesqualitäten einschließen kann. Wahrnehmung und Orientierung des Betroffenen sind dabei so eingeschränkt, dass die betroffene Person unter aktueller Realitätsverkennung leidet und sich völlig in eine früher erlebte Traumasituation zurückgesetzt fühlt.

Die Betroffenen erleben dabei filmartig konkrete frühere Traumaszenen in schockierendem Detailreichtum mit hoher affektiver Beteiligung nach. Die starken körperlichen und psychischen Reaktionen können dabei die genaue Wiederholung einer Traumaszene hervorrufen oder die späte Folgereaktion einer traumabezogenen psychischen Ohnmacht und Dissoziation sein.“ Wenn sie sich in der Gruppe vollziehen, ist oft nur der Therapeut durch einen plötzlichen Umschlag in eine extrem bedrohliche negative Übertragung konfrontiert, die Gruppe kann schützend bleiben, die Übertragungen ausfächern und die Rückkehr zur Hier-und-Jetzt-Realität erleichtern. Vogt arbeitet dabei mit „symbolisierbaren Großobjekten, die sowohl schützend wie bedrohlich erlebt werden können. Dadurch lassen sich direkte körperliche Interventionen, die Vogt durchaus anbieten kann zur berührenden Erschließung der traumatisierten „Körperlandschaft“, vermindern.“ (S. 40) „Wenn also traditionell ausgebildete Analytiker eine strikte Einhaltung des Einzeltherapiesettings fordern, so spiegelt sich darin zunächst einmal, dass dies das Setting ist, das subjektiv für sie machbar ist. Praktisch kann natürlich bei einer klassischen Neurosetherapie ohne jeglichen traumatischen Hintergrund auf erweiterte Therapiesettings durchaus verzichtet werden. Ein ausreichender Behandlungserfolg ist hier ... erreichbar.“ (S. 89)

Auch hier denkt Vogt physiopsychologisch: „Bei früh traumatisierten Klienten zeigen sich die Symptome in der Regel auf der Ebene der traumatischen psychophysiologischen Informationsverarbeitungsstörung, weil Amygdala- und Cortexstrukturen nicht selbstheilend zusammenarbeiten können, wenn die Traumatisierung einen bestimmten Schweregrad aufweisen. Hierfür müssen Settingsvarianten angeboten werden, die nicht der üblichen verbal-dialogischen Psychotherapie entsprechen. Hier ist es bereits zu einer Settingsveränderung in Form von EMDR-, Screen- oder imaginativen Strukturen gekommen … (S. 89) Vogt bildet aber in mehreren Teilnehmergruppen Kandidaten mit therapeutischer Vorerfahrung aus.

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Lehranalytikern, die entweder privat oder in analytischen Instituten tätig die Grenzen von der reinen Psychoanalyse theoretisch wie praktisch Psychoanalyse überschritten haben. Sie alle kennzeichnet ein fundierte jahre- bis Jahrzehnte lange Ausbildungstätigkeit, in der sie ab bis heute nur in seltenen Fällen ihre neuen Errungenschaften an die Kandidaten weitergeben, weil sie deren. Aufnahme in die Gesellschaften nicht gefährden wollen.

Ein Pionier der psychoanalytischen Körperpsychotherapie,
Günter Heisterkamp, auch bioenergetisch ausgebildet,

mit „Heilsame Berührungen“ (Pfeiffer, Stuttgart 1993)

Der adlerianische Lehranalytiker mit inzwischen jahrzehntelanger Erfahrung mit seinem Therapiemodell, schreibt:„Die große Skepsis, die der Integration körpertherapeutischer Konzepte in analytischen Kreisen entgegengebracht wird, hängt zum Teil auch mit den ´Sperrgut` zusammen, das aus der Sicht der Psychoanalytiker auf der zu überschreitenden Schwelle liegt.“ (S. 24). Gemeint sind die nicht mehr ins rein episodische Gedächtnis aufnehmbaren frühen starken bis überwältigenden Emotionen, die nur in Körpererinnerungen abgespeichert werden. Aber: „Obwohl Freud, Adler und Jung das Körpererleben, die Körpersprache, die Ausdrucksbewegungen ausdrücklich zum Gegenstand der Tiefenpsychologie erklären, haben ihre Ausführungen offensichtlich wenig Schule gemacht. In den Falldarstellungen werden die organismischen Momente der Selbstbewegung nahezu systematisch ausgeblendet, auch in den Veröffentlichungen zur Psychosomatik. Hier geht es zwar immer auch um Körperliches, aber nur punktuell und unter abstrakt diagnostischer Perspektive. Die sich ständig und teilweise sogar viel ´freier` ausformenden körperlichen ´Assoziationen` werden trotz aller Bekundungen nicht zur ´Figur des Erlebens`.“ (S. 33) … „Leibliche Behandlungsweisen ermöglichen unmittelbare Sinnerfassungen, die den Primat hermeneutischen Verstehens in Frage stellen und die analytische Reflexion erst begründen.“ (S. 34) Heisterkamp legt nicht nur großen Wert auf der Orientierung dienende Berührungen, sondern nennt einen Teil seines Vorgehens, wie andere analytische Körperpsychotherapeuten, „Handlungsdialog“, bei denen der Therapeut Ansätze von unbewussten Bewegungen des Patienten beobachtet, spiegelt und imitiert oder handelnd beantwortet. „Dieser Augenblick ereignet sich, wenn der Patient in einem Handlungsdialog eine eklatante Diskrepanz bemerkt zwischen der Harmlosigkeit, mit der er die (zur Wiederholung, T. M.) vorgeschlagene Handlung beurteilt, und der Bedrohung, die er bei der realen Erprobung erlebt.“ (S. 41)

„Die Körperpsychotherapie stellt eine Fülle von Probehandlungen bereit, die so hochsymbolisch sind, daß sie immer wieder den Rahmen für die Herausgestaltung früher Kindheitserinnerungen bilden. In ihnen drücken sich die individuellen Not- und Konfliktlagen mit ihren bis in die aktuelle Beziehungsgestaltung hinein nachwirkenden Sicherungstendenzen aus.“ (S. 43) … „Seine aktuellen Beziehungsstörungen werden erst begreifbar, wenn sie in der basalen Form einer präverbalen, ´sensumotorischen` Bewegungsmuster ausgedrückt werden können. Wenn man das erreicht, tauchen psychologisch auch entsprechende ´Modellsituationen` (Lichtenberg) der frühen Kindheit auf.“ (S. 50) … „Der organismische Ausdruck in der Selbstbewegung des Patienten und in der Mitbewegung des Therapeuten bietet anschauliche und spürbare Orientierungspunkte in ´verödeten Seelenlandschaften` und durchgliedert das psychische Gesamtgeschehen. Er fokussiert die aktuellen Fixstellen der individuellen Formenbildung, die das eiterkommen des Patienten bisher blockieren.“ (S. 62)

Scharf grenzt sich Heisterkamp von der immer wieder polemisch von Analytikern aufgegriffenen Formulierung von G. Bittner zum Verlust der Phantasien bei Berührung oder aktiverInszenierung ab: „Es ist genau umgekehrt: die seelisch-symbolischen Ausdrucksformen sind unendlich viel differenzierter als die sinnlich-körperlichen, und darum zur Entfaltung der ´zentralen Körperphantasie` um vieles geeigneter.“

Dagegen Heisterkamp: „Das Argument verkennt aber, daß einerseits viele Phantasien erst durch die Körpersprache und deren Übersetzung ins Sprachliche existent werden können, und daß andererseits solche psychoanalytischen Imaginationen ohne Fundierung in ihrer sprachsymbolischen Fassung im Leiblichen einer intellektualisierenden Abwehr anheimfallen. … Mit der Wahl des Konstruktes ´Phantasie` ist schon eine Spaltung in ´Körper` und ´Geist` vollzogen. Phantasie scheint ein völlig körperloses Phänomen, und genau das ist das folgenschwere Vorurteil, das in die Kritik der Körperarbeit einfließt.“ (S. 67/8) Hinzu kommt für den Autor: „Verbale Deutungen von präverbalen Prozessen wirken oft wie Verletzungen, wie die Wiederholung der früheren Traumatisierungen“ (S. 86), gemeint sind die verwirrenden elterlichen desorientierenden und schmerzlichen Umdeutungen von unverstandenen frühen Lebensbewegungen. Die von vielen Körpertherapeuten wahrgenommenen Aspekte des „erstickten Schreis“ veranlassen Heisterkamp zu einer Ermutigung des Ausdrucks: „Die körpertherapeutische Behandlung des erstickten Schreis zeigt, welche Vorgänge dabei frei werden. Wenn der Patient immer mehr wagt, sein ersticktes Schreien zuzulassen, dann werden oft erst die grauenvollen Erfahrungen des Vernichtetwerdens und des Nichtigseins, die mit den Verspannungen abgewehrt werden, allmählich wahrnehmbar und bearbeitbar.“ (S. 100)

Seine konsequente Folgerung: „Die Psychoanalyse steht aus meiner Sicht an einer weiteren Schwellensituation ihrer Entwicklung.“ (S. 116) D „Wie die leiblichen Ausdrucksbewegungen, so vermittelt auch der leibliche Kontakt eine vereindeutigende und entschlüsselnde Wirkung. In der Berührung bilden sich exemplarische Beziehungsgestalten heraus, die den Therapeuten für Wiederholungen der frühen Manipulation oder der frühen Vernachlässigung … sensiblisieren.“ (S. 124) Wichtig ist eine angemessene Vorbereitung des Patienten. … Dieses Vorgehen erfordert eine dauernde Erneuerung des Arbeitsbündnisses.(S. 130) Selbstkritisch stellt sich der Autor auch seinen Versagensgefühlen, als er noch in rein analytischer Zeit meinte, „immer wieder auf den unerbittlichen Fels einer alexothymischen Verfassung zu stoßen und diese Erfahrung in das unerträgliche Schicksal eines Kindes wenden konnte, das immer wieder vor eine Wand fehlender Resonanz gestoßen ist.“ (S. 136/7) Darin steckt eine gute Beschreibung dessen, was die um jene Zeit immer deutlicher verstandene „projektive Identifikation“ bedeutet: „ein schmerzhaftes, weil zuerst orientierungsloses Nachempfinden dessen, dem der Patient in früher Traumatisierung und ohne Symbolisierung ausgesetzt war.“

In seiner Arbeit mit so desorientierten Patienten geht Heisterkamp im leiblichen Sich-zur-Verfügung-Stellen so weit, wie er es im folgenden Abschnitt ausdrückt: „Wir tun etwas mit dem Patient: anschauen, wegschauen, berühren, halten, führen, betasten, lockerschütteln, pressen, massieren, in Stresshaltungen bringen u. ä.“ Und nun auch in passiver Form: „Wir lassen den Patienten etwas mit uns tun: uns anschauen, sich vor uns zeigen, uns berühren, betasten, erforschen, sich anlehnen, abstützen, anklammern, sich annähern, sich abwenden, uns fortstoßen, unseren Widerstand erfahren, sich messen, sich mit uns konfrontieren etc. Wir stellen uns dem Patienten mit unserer Körperlichkeit zur Verfügung.“ (S. 148/9)

„Kein Wunder, dass bei der quasi experimentellen Fülle die Schwelle zur Settingsveränderung für klassische Analytiker immer höher wird. Aber zum vorsichtigen Beginn reicht durchaus eine dem Sitzenden oder Liegenden angebotene Hand, wenn er starke Anzeichen von Trauer, Verzweiflung oder Unruhe erkennen lässt. Auch dies wird bereits beantwortet mit staunender Dankbarkeit. „Der Patient lotet den Raum seiner Selbstbewegung (dann mutiger, T. M.) aus.“ (S. 168)

Heisterkamp bildet, wie ich selbst auch, seit Jahren psychotherapeutische und psychoanalytische Kollegen in dieser Form der „analytisch-körpertherapeutischen Psychotherapie“ aus und weiter, wie auch Gisela Worm, Gabriele Poettgen-Havekost und einige andere, sodass sich sehr langsam und sehr verstreut ein lockeres Netz ansprechbarer Therapeuten bildet.

Die Fallgeschichten

Sämtliche Beispiele sind anonymisiert nach P. 3, BDSG