Tilmann Moser

Perversion oder normale Neosexualität

SM zwischen Pathologisierung und Anerkennung

„Fifty Shades of Grey“, der dreibändige Roman von E. L. James

hat sowohl als Text wie als Film weltweit ein Millionenpublikum gefunden. Er hat das Sprechen über sadomasochistische Praktiken und das Denken darüber verändert, und entsprechend steht er auch oft im Zentrum der Texte im vorliegenden Band.Das Zauberwort der Analysen lautet: Konsenssexualität, das bedeutet: Es handelt sich um eine „reziproke Übereinkunft“ zwischen zwei Partnern, die sich verabreden, wie viel Dominanz und wie viel Unterwerfung jeder „leistet“, ohne den Anderen gefährlich zu schädigen. Kluge Aufsätze analysieren die literarischen Vorläufer einer Praktik, die die Freiheit des Willens in der Unternehmung betont, bei der viele auch danach streben, die Grenzen des Zulässigen oder Aushaltbaren auszuloten, bis zu denen man gehen will, zwischen „Mündigen und Gleichberechtigten“.

Norbert Elb betont die „Asynchronizität“ des Strebens nach dem Orgasmus, während Elisabeth Wagner und andere beim Aushandeln der Grenzen feststellen, in welchem Ausmaß bei den meisten Praktizierenden eine offen oder verdeckte Normenorientierung eine Rolle spielt. Oft spielen Probleme der Legitimierung mit und Probleme der Scham und der Heimlichkeit. Und dennoch wird anerkannt, wie sehr „Fithy Shades of Grey“ zur Popularisierung des Phänomens beigetragen hat. Allerdings heißt es auch, Buch und Film seien „Softporno“, oder gehöre gar in die Sparte Ratgeber und Lebenshilfe, also eine Anleitung zum fast gefahrlosen Experimentieren, in fester Bindung oder in der Unverbindlichkeit von „Studios“, in denen, wie bei der normalen Prostitution, nach Angebotskatalogen vorgegangen wird. Dass die Partner in „Shades of Grey“ zum Schluss nach dem Abebben der Stürme in innigen Liebesbeziehung enden, spricht für den Versuch, Themen und Praktiken fast zu verharmlosen.

Auch die Tiefe der jeweiligen Bindung wird analysiert, das Verhältnis von Nähe und Distanz; Zeiten des Anschwellens und der Ermattung werden diskutiert, aber auch die Bedeutung des Handelns an der Front des Experimentierens für die Identitätsbildung und das Pendeln zwischen Normalität und der Explosion des „Abgewehrten und der Schattenseite“ der Individuen wie der Gesellschaft. Faszinierend sind die kurzen Auszüge von Sybille Schulz und ihren Tiefeninterviews, die den Innenaspekt des Erlebens zeigen, und die Auseinandersetzung mit der fortschreitenden Enttabuisierung des Themas.

Ada Borkenhagen und Elmar Brähler (Hrsg.), „Wer liebt, der straft? SM und BDSM-Erotik zwischen Pathologisierung und Anerkennung“, Psychosozial-Verlag, Gießen 2016, 146 S., kart., 22.90 Euro

Tilmann Moser