Gabriele Fürst-Pfeifer: Biographie und (un)bewusste Berufswahlmotive von Psychotherapeuten.
Psychoanalytiker und systemische Familientherapeuten erzählen aus ihrem Leben.
von Tilmann Moser
Dass Psychotherapeuten selbst durch eine belastete, ja oft traumatisierende Kindheit gegangen sind, um schließlich "verwundete Heiler" zu werden, wurde schon lange angenommen, aber noch nie mit solcher Nachhaltigkeit und Präzision begründet. Die erfahrene Therapeutin Gabriele Fürst-Pfeifer, nach eigenem Bekunden selbst ein verletztes Kind, ist der Frage mit einem originellen Forschungsvorhaben auf dem Grund gegangen. Sie wählte zehn Therapeuten verschiedene Praxisrichtungen aus, fünf Psychoanalytiker und fünf systemische Familientherapeuten aus, um sie in jeweils zweistündigen Tiefeninterviews nach ihrer familiären Sozialisation zu befragen wie nach ihren eigenen Hypothesen zum Einfluss ihrer frühen Erfahrungen auf die Berufswahl. Ihre plausiblen Vorerwartungen wurden eindrucksvoll bestätigt: Allen Beteiligten waren die Zusammenhänge längst aus ihren Lehrtherapien deutlich geworden, aber unter den Fragen der Autorin verstärkte sich zu Überraschung der Befragten noch einmal die Evidenz der unmittelbaren Zusammenhänge: sie waren an frühes Leid gewohnt und früh aufgerufen, das Leid der Eltern zu verstehen und zu mildern, zum Teil unter Aufopferung ihrer eigenen seelischen Entwicklung. Sie nahmen bewusst oder unbewusst Aufträge war, sich mit eigenem und fremden Leid zu beschäftigen, ihr Einfühlungsvermögen zu schulen und sich als Container für Schwächen und Verletzungen der Eltern zu Verfügung zu stellen. In den glücklichen Fällen stießen die bereits so Gezeichneten auf beeindruckende Vorbilder, an denen sie sie orientieren und mit denen sie sich identifizieren konnten.
Bei manchen Therapeuten bestimmten die frühen Erfahrungen sogar die Wahl ihrer späteren Methoden und die Auswahl bestimmter Patientengruppen, um ihr heilendes Potential voll zu entfalten. Und so wurden die Interviews gelegentlich zu dankbar wahrgenommenen Kurz- oder Nachtherapien, selbst für die Interviewerin, mit dem Ergebnis einer tiefen Solidarität und einem Gefühl, einer stolzen Gemeinschaft der seelisch Heilkundigen anzugehören. Wo es noch nicht überwundene Scham gab über die eigenen Belastungen der Herkunft, stellte sich ein gemeinsames Annehmen eines schicksalshaften Zusammenhanges her: Wir haben frühes Elend in Kompetenz, Geduld und Einfühlung verwandeln können. Das Buch der Autorin stellt aber auch ein Sammlung von Kategorien zur Verfügung für alle Therapeuten, um die Motive ihrer Berufswahl noch einmal klärend zu überprüfen. Denn trotz oftmals mehrerer Lehranalysen bleiben immer wieder neurotische Reste in der Persönlichkeit, die schwierigen Patienten durchaus zum Schaden gereichen können.
Die Autorin hat zwei Bücher in einem in ihrem überreich dokumentierten Text geschrieben: die spannende Serie der transkribierten Interviews, und eine 165-seitige Dokumentation ihres methodischen Zugangs, der grundlegenden Störungen, deren Opfer die meisten Therapeuten früh geworden sind, und spannende Kurzbiographien der wichtigsten Erforscher dieser Störungen auf den Hintergrund ihrer Lebenswelt.
Freud und Adler, sowie ein kommentiertes Verzeichnis der Autoren, die hinsichtlich des Themas des Buches ihre Vorläufer in der selbstprüfenden Introspektion gewesen sind. Das Buch sollte zur Pflichtlektüre aller jungen Menschen und Kandidaten werden, die sich vom Beruf der Psychotherapeuten angezogen fühlen.
Gabriele Fürst-Pfeifer: Biographie und (un)bewuste Berufswahlmotive von Psychotherapeuten. Psychoanalytiker und systemische Familientherapeuten erzählen aus ihrem Leben. Waxmann Verlag, Münster 2013, Psychologie Heute