Tilmann Moser

Leonhard Schrenker: Strukturen des Unbewussten

Über die Verbindung von Seele und Körper

von Tilmann Moser

Unter den zahlreichen, neu entstandenen und neu entstehenden Formen der Psychotherapie ragt ein Verfahren heraus, das in ungewöhnlicher Intensität das Gedächtnis des Körpers, seine Bewegungsformen und deren symbolische Bedeutung mit tiefenpsychologischem Denken und biographischer Früherfahrung verbindet. Es ist die aus den USA kommende Pesso-Therapie, die inzwischen an mehreren deutschen Instituten und weltweit an verschiedenen Orten gelehrt und angewandt wird, mit erheblicher Ausbreitungsgeschwindigkeit. Ihre "Erfinder" und Lehrer sind das Ehepaar Albert und Diane Pesso-Boyden aus New Hamshire.

Es wird in Gruppen und neuerdings auch in Einzeltherapie angewandt, in der Form von "Strukturen", also einem spezifischen Setting, das dem Patienten unter Anleitung eine Tiefenregression erlaubt, die dazu führt, dass alte destruktive und lebenshemmende Erinnerungen durch neue Erinnerungen und Erlebnisformen überschreibt.

Dazu ist es notwendig, dass der Patient in der Gestalt von passenden, seinen tiefsten Bedürfnissen angemessene Interaktionen alternative Erfahrungen erlebt, die ihm durch instruierte Rollenspieler angeboten werden. Voraussetzung ist die genaue Beobachtung der feinen Körperzeichen, die auf die frühen Erlebnisse hinweisen. hinweisen, die zu schädlicher Abwehr und leibseelischer Verformung geführt haben. Die neuen Interaktionsformen müssen in der Regression so "gepasst" werden, dass neue Erlebnis- und Handlungsmuster entstehen können.

Eine zentrale Bedeutung hat das Konstrukt von "idealen Eltern", die dem Patienten angeboten werden, und die auf der Ebene seiner Traumatisierung, seiner frühen Entbehrungen und seiner bedrohlichen Überfremdung durch falschen Rollenzwang durch die Eltern ansetzen. In seiner neueren Entwicklung der Therapie werden diese "idealen Eltern" auch den Eltern des Patienten angeboten, denen die Klienten oft verfrüht ihre Fürsorge und Stützung angeboten haben, mit der Folge, dass sich eine Mischung von tiefer Entbehrung und Größenphantasien herausgebildet hat. Diese unbewussten Größenphantasien bilden das Zentrum des Widerstandes gegen eine mögliche Annahme von heilsamer Aufnahme des therapeutischen Angebots, und sie müssen mit spezifischen Techniken aufgelöst werden.

Natürlich gibt es zahlreiche Varianten dieser wiedergutmachenden Angebote. Einen hervorragenden Führer durch die Fülle der heilsamen Möglichkeiten bietet neuerdings einer von Pessos informiertesten und erfahrensten Schüler, der Münchner Psychotherapeut Leonhard Schrenker, der Theorie und Technik der neuen Therapieform gleichermaßen kompetent darstellt. Er instruiert über Ursprung und Entwicklung des neuen Verfahrens, legt in großer Breite ihre vielfältigen Möglichkeiten dar und verknüpft die Darstellung mit einer Fülle von klinischen Beispielen, unter anderem mit der detaillierten Wiedergabe einer solchen Einzelbehandlung in der Gruppe, durch die die kleinen und kleinsten Beobachtungen und weiterführenden Schritte anschaulich erhellt werden. Jede einzelne Therapiebewegung wird in präzisen Erläuterungen erklärt und in der plausiblen Aufeinanderfolge der vom Patienten durch Körperzeichen und Worte geleiteten Bewegungen des Prozesses dargestellt.

Schrenker schreibt anschaulich und allgemeinverständlich, getragen von der nachfühlbaren Überzeugung und dem Wunsch, einem neuen therapeutischen Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen.. Obwohl die Pesso-Therapie zuerst ein Gruppenverfahren war, kristallisiert sich inzwischen auch die Form der Einzeltherapie heraus, bei der die Funktion der Rollenspieler durch beseelte Symbole ersetzt wird, die Aspekte der innerseelischen Bühne repräsentieren.

Großes Gewicht wird dabei auf die dauerhafte Verinnerlichung der erarbeiteten Alternativen gelegt, die "neuen Erinnerungen", deren Wirksamkeit direkt abhängt von der Tiefe der Regression und der Stimmigkeit der Antworten auf frühe, nicht angemessen beantwortete Bedürfnisse.

Es ist Schrenkers Verdienst, die neue Therapieform in gut lesbarer Vollständigkeit anschaulich und durchdacht darzustellen, Indikationen und Gegenindikationen , Vorzüge und Einschränkungen zu erhellen und auch von schweren seelischen Störungen therapeutisch hoffnungsvoll zu sprechen.

Leonhard Schrenker: Pesso-Therapie. Das Wissen zur Heilung liegt in uns. Klett-Cotta, Reihe Leben Lernen, Stuttgart 2008, 333 S., kart., Ärzteblatt PP 6/2009