Tilmann Moser

Der Körper und die Seele. Neuere Entwicklungen der analytischen Körperpsychotherapie.

Vortrag von Tilmann Moser bei der DGPT vom 27. bis 29. September 2002 in Lindau.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

von dem wohl besten Kenner und Theoretiker der modernen Baby- und Kleinkindforschung, Martin Dornes, heißt es im Vorwort zu seinem Buch "Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre" (Frankfurt 1997) lapidar: "Die ersten psychischen Aufzeichnungen haben die Gestalt sensomotorisch-affektiver Schemata, die mit etwas einem Jahr durch das bildhafte Denken überformt werden... Mit eineinhalb Jahren werden die zunächst 'statischen' Bilder flexibler und frei evozierbar. Sie können dann zu Bildsequenzen kombiniert werden - und damit beginnt das Phantasien im ansprungsvollen Sinn.... Zugleich mit der Fähigkeit zum evokativ-bildhaften symbolischen Denken entsteht als dritter Schritt die sprachliche Codierung des Psychischen.... Knapp ausgedrückt, postuliere ich also eine Entwicklung des Mentalen von der Empfindung über das Bild zum Wort." (S. 14/15) Das beinhaltet natürlich die gravierende Frage: Wie werden die interaktionellen Inhalt der ersten eineinhalb Lebensjahre für die Analyse zugänglich, will man sich nicht damit begnügen, dass die frühen Szenen später von quasi retrospektiven Phantasien eingeholt und überformt werden. Denn die frühen Inhalte, so auch die psychoanalytische Babyforschung, sind nicht etwa in neurotischen Sinne verdrängt, sondern entweder quasi konstitutinell unbewusst oder nur im prozeduralen, im Gegensatz zum deklarativen Gedächtnis vorhanden. Zentral sind hier bei die sogenannten Modellszenen, die eine Verdichtung von besonders häufig vorkommenden Interaktionsformen darstellen.

Dornes bezieht sich vor allem auf Theorien Lichtenbergs und meint, "dass Wahrnehmungen, Handlungen und Affekte zunächst nur in einer 'phantasiefreien', körpernahen Form gespeichert werden und ihre Wirkung ausüben. Zum Teil bleiben sie in dieser Form ein Leben lang erhalten. Das daraus gewonnene Konzept eines 'prozeduralen Unbewussten'... hat auch Auswirkungen auf die Sicht des therapeutischen Prozesses.... Außerdem kann es als Anregung für die (psychoanalytisch orientierte) Körperpsychotherapie dienen. Ich überlasse es andere, für die Nützlichkeit und Berechtigung einer solchen Therapieform (von der ich überzeugt bin) zu streiten." (S.17)

Sie wissen alle, dass ich, zusammen mit einigen Kampfesbrüdern und -schwestern, zu diesem Streit angetreten bin, und mir scheint, die Zeit ist reif für weitere Geländegewinne. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass auch prominente Analytiker die Bedeutunng averbaler Kommunikation entdecken in Form unbewusster Handlungssssprache oder auch enactment, für deren Entzifferung ein neues Sensorium entwickelt werden muss.

Das neue der analytischen Körperpsychotherapie ist nun, dass sie auf encatments, also unbewusste Handlungs-Inszenierungen, nicht nur mit Deutungen antwortet, sondern, natürlich in begrenztem Umfang, mit einem akkomodierenden Mit- oder Gegenhandeln und einer komlementären Rollenübernahme. Aber nicht nur das: Sie bietet auch initiativ körperliche Interaktionen an, die dann unbewusste und zunächst nicht sprachlich fassbare Szenen evozieren. Sie sucht also, so könnte man sagen, einen weiteren Königsweg zum Unbewussten, der nach den Erfahrungen unserer noch kleinen Gruppe äusserst fruchtbar ist.

Ich zitierte noch einmal Dornes zur Frage einer frühen Übertragung von Affekten der Mutter auf das Kind: "Die Kommunikation solcher Gefühlszustände findet also im Medium nicht-sprachlicher Affektsignale (Körperhaltung, Vokalisierung, Bewegungstempo, Gesichtsausdruck) statt. (S. 69)

An einem Beispiel möchte ich Ihnen nun zeigen, wie ich und einige andere analytischen Körperpsychotherapeuten bei frühen Störungen vorgehen, und welche affektiven, aber auch strategischen, aus der Diagnostik wie aus Übertragung und Gegenübertragung folgenden Überlegung ihre Wahrnehmungen wie ihr Handeln leiten. Sie werden sehen, dass es sich um durchaus analoge Vorgänge wie in der verbalen Analyse handelt, und dass den Interaktionen ein analoges, aber natürlich den Körper einbeziehendes Verständnis von Abstinenz zugrundeliegt, das beide Partner schützt und Missbrauch verhindert.

Ausgangspunkt sind die bereits angesprochenen Modellszenen der frühen Kindheit mit ihren emotionalen Wurzeln in der Beziehung. Sie können sich natürlich bis in die affektiven Verstrickungen der Erwachsenenzeit erstrecken. Sie beschränken sich nicht auf die frühe Kindheit; insbesondere kommt den schwierigen, in der Pubertät zu leistenden Integrations- und Desintegrationsprozessen eine große Bedeutung zu. Die Ablösungsvorgänge von den Eltern, der Schule, den vertrauten Personen wie der vertrauten Umgebung sind hier besonders zu nennen. Diese Vorgänge können auch im analytisch-körpertherapeutischen Setting im Rollenspiel wie in der räumlichen Inszenierung vertieft werden. Aber auch das Hineinwachsen in eine Erwachsenenrolle und das Aufnehmen sexueller Beziehungen k"nnte noch unter dem Begriff affektiver Modellszenen gefasst werden. Ich beschränke mich hier jedoch auf frühe Modellszenen.

Nun zu dem Beginn einer körpertherapeutischen Intervention in einer über einige Monate dauernden zweistündigen Analyse. (Es handelt sich nicht um einen exakten Fallbericht, sondern um eine Kombination von Erfahrungen aus mehreren Fallgeschichten und einer idealtypischen Verdichtung.) Hinter der Couch spüre ich, dass der Bericht der Patientin und ihre Assoziationen sich ausdünnen, ein Zögern wird spürbar, die Beziehung unsicher, die Sprache brüchiger. Vielleicht nehme ich einen leichten Druck wahr, der von ihr ausgeht, und der mir mit einem Gefühl intensiver Entbehrung zusammenzuhängen scheint. Meine Form der Aufmerksamkeit verändert sich: die Konzentration wendet sich eher vom gesprochenen Wort ab und dem Atmosphärischen zu. Ich sehe, als ich mich zur Patientin wende, einen flacheren und unregelmäßigen, kaum hörbaren Atem. Auch meine inneren Bilder verschieben sich, sie folgen weniger dem verbalen Text, sondern einer Stimmung der Not: ich spüre eine enorme Bedürftigkeit nach Anwesenheit und Nähe, auch nach Halt und Trost, und Angst vor einer noch unklaren Katastrophe. Ich habe Kinderbilder vor meinem inneren Auge, die von stimmlicher Beruhigung und verbaler Einfühlung reichen bis zu einem haltenden Umschließen mit den Armen. Ich überprüfe meine Stimmung, die wahrgenommene Stimmung der Patientin, blättere sozusagen in den mir bekannten infantilen Szenen in ihrem Leben, die für ein Trauma, eine massive Entbehrung, ein schweres Verlusterlebnis sprechen, oder für einen Bruch in der frühen Einfühlung und Nähe und ähnliches. Als klassischer Analytiker, der ich mehr als zehn Jahre lang war, würde ich es mit einer empathischen sprachlichen Annäherung versuchen, oder mit einfachen Fragen: "Sie verstummen fast, die Stimme klingt matt, was passiert?" Sie alle könnten noch viele weitere Varianten für eine angemessene analytische Intervention finden. Möglicherweise würde ich sogar in schonender Weise meine Gegenübertragung mitteilen, was natürlich von der erreichten analytischen Kultur zwischen uns beiden abhinge. Und möglicherweise würde die Patientin die sprachliche Brücke betreten und mitteilen können, in welche Gefühlslage oder sogar welche frühe Szene sie geraten ist. Vielleicht würde sie aber auch ganz verstummen und sich spürbar noch weiter ins Elend verlieren und den Rückweg in die Beziehung nicht finden. Sie könnte sogar durch meine verbale und durchaus empathische Bemerkung aus meiner Unsichtbarkeit heraus in ein tiefes Loch fallen, weil sie sich nicht mehr erreicht fühlt.

Ich folge zunächst einer denkbaren Nebenvariante des Prozesses: Sie ist als Kind in ihrem Elend alleingelassen worden, oder sie erhielt tröstende Präsenz nur im Krankheitsfall, wenn die Mutter oder der Vater ausnahmsweise ihre Arbeit oder innere Abwesenheit ruhen ließen und sich ans Krankenbett setzten. Die blosse Stimme des Analytikers könnte nun, eine destruktive symbolische Verknüpfung vorausgesetzt, genau diese Konstellation in der Übertragung heraufrufen, weil er unsichtbar bleibt und "sich nicht von der Stelle rührt". Auch diese Szene k"nnte man versuchen, sprachlich zu bewältigen, vorausgesetzt, die Patientin lernt, die unsichtbare Stimme einem verlässlichen und bereits konturierten Objekt und seiner ausreichenden Präsenz zuzuordnen.

In mir jedenfalls verdichten sich Gefühle für die Verlorenheit der Patientin und eine gewisse Dringlichkeit meiner sichtbaren Präsenz, vor allem dann, wenn auf die sprachliche Empathie sich eine Verschlechterung der Situation ergeben hätte. Damit meine ich natürlich nicht ein verzweifeltes Weinen, das sich durch die sprachliche Empathie lösen konnte. Ich will überhaupt hier keine Überlegenheit der analytischen Körperpsychotherapie konstatieren, weil ich weiß, wie weit sprachliche Empathie führen kann. Sondern ich möchte Varianten aufzeigen und immer wieder betonen, dass es darauf ankommt, mit welchen analytischen Mitteln sich ein Therapeut am meisten kompetent und hilfreich fühlt.

Meine therapeutische Kompetenz hat sich durch die Einbeziehung des Körpers erhöht, so wie sich andere Kollegen durch Melanie Klein, Objektbeziehungstheorie, Selbstpsychologie, systemische Therapie, Familientherapie usw. neue Kompetenzen angeeignet haben. Die gegenwärtige Tagung will ja gerade verstehen, wie sich diese zusätzlichen Fähigkeiten in die Grundkompetenz der Psychoanalyse einfügen lassen.

Ich folge also meiner erfahrungsgeleiteten Intuition und frage die Patientin, ob sie sich vorstellen könne oder es wünsche, dass ich mich neben die Couch zu ihr setze. Sie könne auch Neinsagen oder sich Bedenkzeit lassen oder über ihre durch die Anfrage ausgelösten Gefühle sprechen. Auf jeden Fall handelt es sich, wenn das Angebot zum ersten Mal kommt, um einen wuchtigen Übergang zu etwas Neuem. Ich lasse einmal die Varianten weg, bei denen jemand gereizt oder misstrauisch fragt: "Wie kommen Sie denn darauf?" Dann hätte ich vielleicht die Bedürftigkeit zunächst stärker gespürt als die spontan aufschießende Abwehr, aber auch hier kämen wir in eine stark affektbetonte Auseinandersetzung, wenn ich ihr erklärt h"tte, wie ich "darauf komme". Die aggressive Zurückweisung einer körperlichen Interaktion ist allerdings etwas schwerer zu ertragen als der aggressive "Abschuss" einer Deutung, weil der körpertherapeutische Analytiker sich stärker exponiert hat. Aber damit umzugehen gehört zu seinem Training.

Weitere Reaktionen der Patientin reichen von zögerlichem bis zu dringlichem Ja, besonders dann, wenn sie bereits eine gewisse Einfühlung in ihre Gefühle und Bedürfnisse erreicht und den Wunschcharakter längst erfasst hat, oder wenn bestimmte Szenen früher Entbehrungen schon herausgearbeitet wurden.
Meist erfolgt nun bei beiden Partnern eine intensive Auseinandersetzung mit der plötzlichen körperlichen Nähe. Wenn ich das Gefühl habe, die Nähe sei auch mit Angst verbunden oder mit einem Verlust von Autonomie, mehr als mit einem unproblematischen Zugewinn von Präsenz, dann verlangsame ich die Annäherung und frage erst einmal stehend und mit dem Stuhl in der Hand, in welchem Abstand ich mich setzen soll. Meistens erfolgt nach einer emotionalen Gewöhnungszeit die Bitte, mich näher zu setzen.

Die Auseinandersetzung mit der Nähe erfolgt durchaus transmodal, also fast mit allen Sinnen: die Stimmen haben sich leicht verändert, die Augen erarbeiten sich ein neues Gesichtsfeld, man kann eine gewisse Wärmestrahlung spüren, aber in der Gegenrichtung auch eine ängstliche oder abweisende Abkühlung der zugewandten Seite. Gelegentlich ist auch die Nase beteilgt, in den allermeisten Fällen positiv, und eine Wahrnehmung des Atems wie den feinen, Aufregung oder Lösung signalisierenden Körperbewegungen. Später kann man ermutigen, diese feinen Köperbewegungen zu verstärken, weil es sich, in Analogie zu den sprachlichen Assoziationen, zu Bewegungsassoziationen handelt, die zu unbekannten Szenen hinführen.

Kurz, das körperlich Näheangebot erfolgt einerseits aufgrund von Wahrnehmungen der Übertragung und Gegenübertragung, aber es löst auch zum Teil noch unbekannte Veränderungen aus, die meistens mit einer Intensivierung bestimmte Beziehungsaspekte mit starken Impulse und Abwehren einhergehen. Aus der Fülle der Veränderungen greife ich nun die Vorgänge zwischen den beiden Gesichtern heraus, die der Analytiker hinter der Couch normalerweise nicht zu sehen bekommt. Manche Patienten schließen sofort die Augen, weil die Nähe Reaktionen hervorruft, zu deren Verarbeitung sie länger Zeit brauchen. Sie können das ganze Objekt mit allen Sinnen noch nicht ertragen, aber man spürt, dass sie sich mit der neuen Beziehungsform intensiv auseinandersetzen. Die geschlossene Augen bedeuten also nicht nur Abkehr, sondern auch eine Konzentration auf andere Beziehungskanäle. Mancher sagt nach ein paar Tagen, Wochen oder Monaten: "So, jetzt kann ich die Augen aufmachen." Das ist dann wie ein gemeinsam erarbeitetes Geschenk. Andere haben versucht, durch einen winzigen Augenspalt meine Anwesenheit optisch zu erforschen. Wenn ich es anspreche, gibt es meist Gelächter. Die ganze schizoide frühe Beziehungswelt kann dann bearbeitet werden.

Andere Patienten halten die Augen offen, beobachten; oder halten sie offen und schauen dezidiert weg. Das Beziehungsgeschenk, das sie sich und mir machen, lautet dann eher: "So, jetzt kann ich die Augen mal zumachen, ohne zu viel Angst zu kriegen." Das Nachlassen der Wachsamkeit bedeutet einen Zuwachs an Vertrauen und Geborgenheit. Die Gefühle, die dann zugelassen werden können: Ruhe, Hoffnung, Trauer, ein Nachlassen der Kontrolle, ein Pendeln zwischen Zuwendung und Abwendung, als auch ein Stück Autonomie, auch wenn die Bewegung erst einmal in Richtung Regression geht. Es gibt ein Spiel mit den Fingern, die gleichzeitig mehrere Affekte des Schauens umspielt: die Patienten bilden vor dem Gesicht ein Gitter, durch das sie schauen und beobachten können, ohne selbst gesehen zu werden, ein Spiel, das Kinder in mehrere Altersstufen gerne spielen. Die Prozesse zwischen Vertrauen, Beobachtung und Misstrauen bis hin zu paranoider Skepsis werden hier noch einmal nahe an ihrem lebensgeschichtlichen Ursprung erlebt, und die in projektiver Identifizierung gebundenen Energien, die in vielen Analysen auf bemächtigendes Eindringen und manipulative Machtausübung zielen, können zurückfließen in viel weniger verstrickte und verstrickende Vorgänge früher Blick-Interaktion. Projektive Identifikation ist immer eine Notwehr aufgrund von missglückter sozusagen "natürlicher" Interaktion.

Mit der Zeit lernt man, die verschiedenen Bedeutungen des frühen Augenkontaktes zu unterscheiden und sie angemessen zu beantworten oder zu thematisieren. Am eindrucksvollsten war für mich in letzter Zeit der Vergleich des Blicks eines zwei Monate alten Babys, mit dem es die Mutter unverwandt anschaute, und dem ernsten, ja manchmal investigativen Blick einiger Patienten, von deren Augen ich mich regelrecht erforscht fühlte, bis eine allmähliche Lächelreaktion uns beide auf eine andere Stufe der Beziehung hob. Das Baby verweilte in großen Ernst, und nicht zu Lächeln verführbar, auf dem Gesicht der Mutter. Diese verstand nach kurzer Zeit, dass es nicht der Moment des Lächelns war, sondern die Phase der Blickwissenschaft, und dass man dieses Engagement nicht durch Beziehungsversuche anderer Art stören dürfe. Die Mutter ist diesem Forschblick ein wenig ausgeliefert, weil sie nicht weiß, bis in welche Tiefen sie gesehen, innerlich abgebildet, durchschaut, angeeignet wird. Es sieht aus, als werde ein Grundriss der Beziehung gebildet, den die Mutter nur gewähren, nicht steuern, höchstens stören kann, wenn der scheinbar ausdruckslose Ernst für sie etwas Unheimliches bekommt.

Manche Patienten können nur sprechen, wenn sie mich nicht anschauen und doch meine körperliche Nähe spüren. Sie arbeiten (noch) nicht mit transmodalen, sondern nur auf mono- oder bimodalen Kanälen. Ein Patient, der vielleicht im Sitzen noch mit vollem Augenkontakt zu mir gesprochen hat, bricht diesen Augenkontakt ab, wenn er liegt. Dann wird plötzlich Thema, auf welchen Altersebenen er mit welchen Mittel kommuniziert oder die Verständigung abwehrt, weil vielleicht frühe Traumen damit verbunden waren. Oder aber: der Patient kann nur reden, während er mich anschaut, und gerät in die Verlorenheit, obwohl ich nahe bin, er mich aber aus irgendeinem Grund nicht sehen kann oder will. Diese Beispiele zeigen auch, dass es nicht stimmt, dass körperliche Interaktion hauptsächlichen verwöhnend sei und versuche, destruktive Aggression gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Übertragung will sich durchsetzen, auch wenn alternative Erfahrungen erst einmal, schon zugunsten der Ich-Stärkung, im Vordergrund stehen. Wichtig ist für mich auch, dass ein Teil der destruktiven Aggression, für deren Bearbeitung sich Pfannschmidt so heftig einsetzt, partiell etwas zu tun hat mit den Frustrationen auf der Couch: weil oft primäre Bedürfnis versagt werden, was zu einem heftigen Rachewunsch der Patienten führen kann. Hier gilt es zwischen primären und auf schädigende Weise unerfüllt gebliebende Bedürfnisse und solchen zu unterscheiden, die der kompensatorischen Scheinerfüllung zugeführt wurden. Der Analytiker kann sich auf eine sehr anschauliche, aber auch körperlich sich identifizierende Weise den jeweiligen Zuständen des Patient annähern. Ich war erstaunt, welchen Reichtum an averbalen Beziehungsformen ich zu sehen und zu spüren bekam, als ich mich dieser größeren Nähe beim liegenden Patienten aussetzte.

Von der Berührung mit den Augen zu Berührung mit den Händen Bei passender Gelegenheit (ich weiß, wie lange man über diesen Ausdruck diskutieren könnte) frage ich die oder den Patienten, ob er sich vorstellen könne, dass ich ihm eine Hand auf die obere Brust, also aufs Brustbein lege. Die Reaktionen reichen wieder von Abwehr, Erstaunen bis hin zu einem "Ja!" oder "Na klar!" Ich sage: "Lassen Sie den Vorschlag ruhig auf sich wirken." Dabei kann das Gespräch, falls man es noch als solches bezeichnen kann wegen der Trauer, der Erschöpfung, der Verzweiflung, aber vielleicht auch einer eingeschlossenen Wut, noch fortgeführt werden, während ein anderer Teil des Patient mit dem screening der neu aufkommenden Affekte und der damit verbundenen Gefahren beschäftig ist. Er oder sie mag plötzlich von den Kindern sprechen, von einem Problem mit Berührung überhaupt, von einem Schwanken zwischen Widerwillen und brennender Sehnsucht, und auf einmal kann er ausbrechen: "Na wann kommt die Hand denn endlich! Stehen Sie nicht mehr dazu; haben Sie kalte Füße bekommen, oder ist es der Widerwillen, ja vielleicht sogar der Ekel vor meiner Person. Haben Sie Angst, Sie werden mich nicht mehr los? War es unbedacht, mir das anzubieten? Aber Sie sind doch Körpertherapeut. Mein früherer Analytiker würde jetzt aufschreien. Aber sie gelten sowieso als verrückt. Man hört immer mal wieder, dass Körpertherapeuten ihre Patienten vernaschen. Kann mir das hier auch passieren? Hören Sie mal, ich bin glücklich verheiratet! Nein, unglücklich! Wann kommt jetzt endlich ihre Hand?" Oder ein kräftiger siegfriedartig gebauter Mann fragt, halb ernst, halb im Scherz: "Aber schwul sind sie nicht?" Und dann fällt ihm aus dem ersten Schuljahr der Kaplan aus dem Religionsunterricht ein, der ihn und andere so merkwürdig berührt habe, bis er strafversetzt wurde. Es war eine Erinnerung, die ihm in den zwei Jahren tiefenpsychologischer Therapie im Sitzen nie eingefallen war, und die doch, neben seinem Vater, die Beziehung zu Männern mitgeprägt hat. Der Auslöser der angebotenen Hand auf der Brust hat die Erinnerung und einen Teil des damit verbundenen Affekts freigesetzt. Doch zurück zur Schwelle des Fühlens auch für andere Patienten. Die Phantasiehand, die durch das Angebot entsteht, hat viele Formen, zwischen väterlichem Schutz, Geborgenheit, aber auch Verführung, Bemächtigung, Tröstung, ein Sog in die Regression, Sehnsucht nach ihr, aber ebenso Angst vor der schiefen Ebene des Rückfalls in Schmerzen der Kindheit; die angebotene Hand wird zur Mutprobe, zum Sympathiebeweis von Seiten des Analytikers, zu einer Prüfung, einer Belohnung, einer Herausforderung usw.

Wo die Hand als eine Mischung von Schutz und Container für starke Affekte erlebt wird, öffnen sich oft Kanäle für nie oder höchstens nur verdünnt zugelassene Affekte. Die Regel ist ein tiefes Aufatmen, ein ganzes Konzert in den Eingeweiden durch die Entspannung, ein stilles oder auch starkes Weinen mit den ausgesprochenen oder unausgesprochenes Worten: "So viel Halt und Nähe hat mir nie jemand angeboten." Wir sind in eine organismische Beziehung eingetreten, mit scheuen Blicken, sich wieder schließenden Augen, oder aber auch einem Redestrom über oder inmitten von Gefühlen, die allmählich auftauen und sich heraustrauen.

Die körperliche Nähe ist jetzt noch größer, weil der Patient sich weiter an den Rand der Couch legen muss, damit ich ihn bequem erreiche. Ebenso die Auslieferung, weil meine Hand die obere Brustbedeckt und mein Kopf weiter in seiner Nähe ist. Manche Reaktion ist ein sofortiges Schließen der Augen, wie um sich dem Fühlen ganz hinzugeben, man könnte sogar, neben dem Genießen der Geborgenheit, auch von einer Flucht in den Schutz sprechen, bei der die Augen zunächst stören, und die eine noch wenig abgegrenzt objektgerichtete Form der Beziehung darstellt. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die inneren Objekte, und je nach deren liebevoller Präsenz oder bedrohlicher Aggressivität kommt Rührung oder Wut auf, oder beides zugleich. Die haltende Hand mit dem Therapeuten bringt insofern einen Neuanfang, als eben dieser Platz des schützenden und haltgebenden Objekts oft unbesetzt war. Ganz analog zur verbalen Analyse kommt es, aber hier über Blick und Berührung, zu Rudimenten eines neuen inneren Objekts.

Beim Überwiegen des Misstrauens oder der negativen Erwartung erfolgt eine spürbare Verhärtung des Brustbereichs und eine Minderung des Atems. Die Augen, die der Patient nicht geschlossen hatte, werden zu lauernden Sehschlitzen. Erleichterung bringt die Frage: "Was passiert?", und wenn sie nicht weiterführt, hilft oft die Spiegelung der eigenen Wahrnehmung mit einem akzeptierenden Kommentar: "Ich sehe Ihr Misstrauen, und bei Ihrer Lebensgeschichte scheint mir das nur zu verständlich. Ich bin froh, daß Sie es so deutlich durchscheinen lassen." Das nimmt dem Patienten die Angst, er kränke den Therapeuten durch mangelndes Vertrauen, und die Verknüpfung mit der Biographie ist geschaffen und sein Misstrauen als wichtiger und mutiger Beitrag gewürdigt. Das Misstrauen und die Angst im Bereich eine nahen Begegnung war bisher nicht zum Vorschein gekommen; eher hatte es die Beziehung schleichend ausgedünnt, ohne dass zu fassen gewesen wäre, wogegen des sich richtete. Im Bereich der körperlichen Interaktion kommt es sichtbar zum Vorschein, und mutmaßlich auch schon deutlich näher heran an der Phase seines Entstehens. Es kann durchaus sein, dass es sich längst manifestiert und eingegraben hatte in einer präverbalen Phase mit einer nur prozeduralen Erinnerung, die auf verbale Weise allein nicht mehr abrufbar gewesen wäre. Wenn aber die Primärquelle nicht ermittelbar oder erinnerbar ist, dann sucht sich der Affekt später entfremdete Bilder von gefährlichen oder bösen Objekten, er generalisiert sich, wie bei den schizoiden Störungen, oder er taucht in ganz unangemessenen sozialen Szenen auf und befremdet alle Teilnehmer der Interaktion.

Das schizoide Misstrauen kann erstaunlich schnell abklingen, wenn der Analytiker die Zuverlässigkeitsprüfung der körperlichen Nähe besteht. Natürlich muss die Szene mehrfach wiederholt werden, und sie bringt auch Material aus vielen späteren Erlebnisse hervor. Besonders wichtig ist es, dass der Patient mit seiner Hand entweder das Handgelenk umfassen kann oder seine Hand oder Hände auf die des Analytikers legt. Dies geschieht auf zweierlei Initiative hin: Manche Patienten tun dies spontan und aus eigener Autonomiebewegung; andere muss man erst darauf bringen und ermutigen, weil sie die Hand der Mutter oder des Vater nicht festhalten durften. Sie wären dann der Angst ausgesetzt gewesen, wann ich willkürlich meine Hand wegziehe und sie "verlasse." Das Festhalten der Hand vermittelt den eigenen Beitrag, den eigenen Wunsch nach Dauer, aber auch nach Kooperation bei der Wiedergewinnung von körperlichem Grundvertrauen in sich selbst, den Analytiker und vielleicht die Welt.

Es ist dann sehr berührend, wenn der Patient noch in der gleichen oder in späteren Stunden darum bittet, die Hand auch auf den Bauch zu legen. Hier spürt der Therapeut in der Gegenübertragung, dass der Patient eine Schwelle in eine neue Intimität und vielleicht Regression überschreitet, weil die Bauchdecke die weichsten Partien schützt. Nur gelegentlich verhärtet sich die Muskulatur trotz der Bitte um die Hand; dann sollte auch die Angst und der Selbstschutz gewürdigt werden. Die Hand lege ich auf den Bauch nicht ohne eine gewisse Andacht vor dem Wiederentstehen von Vertrauen, das einem mütterlichen Objekt zu gelten scheint, das schützt und Empathie anbietet. Bei der Verhärtung der Muskulatur kann es hilfreich sein anzuregen, in die Hand hineinzuatmen. Mit einer verstärkten Autonomie und Initiative, wie ich es von einem Atemtherapeuten gelernt habe, verringert sich die Angst, nur passiv und ängstlich abwartend ausgeliefert zu sein. Wenn der Analytiker den Atem mit kleinen Auf- und Ab-Bewegungen begleitet, vermittelt das dem Patienten oft ein ganz organismisches Gefühl der Empathie, wie es der Säugling und das Kleinkind wie selbstverständlich erwarten, hervorlocken und im guten Fall auch kriegen, als Lohn ihrer spezifischen Kompetenz, denken Sie an Martin Dornes schönes Buch "Der kompetente Säugling". Auf der Seite der negativen Übertragung ist es aber auch möglich, dass Wut hochkommt über eine andauerndes Mis-matching mit der Mutter, oder über auftauchende, zunächst rein körperliche Erinnerungen an einen intrusiven Umgang mit dem kindlichen Körper.

Nach einer Weile ist es meist auch möglich, die Hand auf Brust oder Bauch ruhen zu lassen, wieder Augenkontakt aufzunehmen, und so die Kommunikation auf mehreren Kanälen zu bündeln und den Analytiker und einem ganzheitlicheren Objekt werden zu lassen. Auf der Basis einer Regression im Dienste des Ichs, einer Kräftigung des leibseelischen Potentials, kann sich der Patient dann progressiv auch auf eine ganz andere, spätere Konfliktebene begeben. Manche wollen plötzlich wieder aufsitzen, die feinen Körpersignale deuten auf Bewegungs- oder Angriffslust.

Die Aufgabe des analytischen Körpertherapeuten ist es auch, analog der des klassischen Analytikers, ein zu langes Abtauchens in die Regression anzusprechen, den Abwehrcharakter aufzuzeigen und die Ängste vor dem Wachstum anzugehen. Mit den Worten analytischer Säuglingsforscher: Herauszufinden, an welchen psychodynamischen Modellszenen und Motivationssystemen der Patient hängengeblieben oder gescheitert ist. Die reine Triebtheorie kann hier die Aufmerksamkeit nur verkürzen.

Die analytische Körperpsychotherapie verändert die Balance zwischen einem vorwiegend rückwärtsgewandten Aufarbeiten der Vergangenheit, die das Neulernen alternativer Lebensformen weitgehend dem Patienten "draußen" überlässt. Sie scheut sich nicht, in der Interaktion mit dem Analytiker den Patienten zu neuen Lebensbewegungen in seinem eingeengten Körper zu ermuntern und mit ihm leibn"her zu erforschen, wann und wo sich die Angstbarrieren gebildet haben.

Die tiefenpsychologische Körpertherapie, auf dem soliden theoretischen, diagnostischen und behandlungstechnischen Fundament der Psychoanalyse beruht, schöpft daneben aus vielen Quellen, nicht ohne den Pionieren Ferenczi, Winnicott, Balint und Kohut dankbaren Tribut zu zollen: Primärtherapie, Bioenergetik, Gestalttherapie, Atem- und Tanztherapie, Biosynthese und wie sie alle heißen Ihnen allen ist gemeinsam ein hohes Potential zur Mobilisation von Affekten. Was ihnen meist fehlt, ist eine analytische Beziehungslehre, also der Umgang mit Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand. Den charismatischen Pionieren sind oft erstaunliche Veränderungen bei Patienten geglückt, die die vielen Schüler nicht wiederholen konnten. Es war das Charisma, das über Widerstände hinwegging, das die Wunderheilung zu Wege brachte. Deswegen sind viele der körpertherapeutischen Schulen heute auf dem Wege der Nach-Entdeckung der unbewussten Beziehungskomponenten aller therapeutischen Partnerschaften, selbst die Verhaltenstherapeuten wenden dem Problem von Übertragung und Gegenübertragung heute große Aufmerksamkeit zu. Die ideologischen Kämpfe gegen die analytische Körperpsychotherapie scheinen im Abklingen, selbst wenn gelegentlich durch massive Diffamierung noch versucht wird, das Rad zuungunsten der Patienten zurückzudrehen. Ein kleines Stück Selbsterfahrung zur besseren eigenen Orientierung empfiehlt sich in jedem Fall, weil Dogmatismus nicht sehr lange vor dem eigenen Urteil schützt.

Ich danke Ihnen.