Tilmann Moser

Methodenabgrenzung oder –integration

Vortrag von Tilmann Moser beim Münchener Symposium des AKW am 1. Juli 1995.

Meine Damen und Herren, liebe Kollegen,

vereinfacht gesagt, folgen in der Psychotherapie die Ansichten über Methoden dem eigenen Erleben, der Identifitiation mit bewunderten Lehrern und der Idealisierung der Ausbildungszeit wie der gelernten Methode. Oder aber sie kommen zustande aus einer Enttäuschung, aus Auflehnung gegen eine als aufgezwungen erlebte Einseitigkeit; schließlich noch stammen sie aus der Neugier und der mühsam erarbeiteten Einsicht, dass die e i n e gelernte Methode Grenzen hat oder bestimmte Formen der Störungen nicht oder nur schwer erreicht. Ralf Zwiebel hat in seinem Buch "Der Schlaf des Analytikers" in beispielhafter Weise vorgeführt, in welche Selbstquälerei der Zwang führen kann, eine einzige idealisierte Methode sozusagen bis in den seelischen Tod ausschöpfen zu müssen, um den Nachweis ihrer therapeutischen Universalität zu erbringen.

Schließlich spielt noch eine Rolle, ob ein Therapeut die lebensgeschichtliche Erfahrung macht, dass eine bestimmte Methode seinem inneren Temperament nicht liegt, handle es sich nun um das Verhältnis von aktiv und passiv, oder um die Entdeckung, dass die besondere Kreativität durch ein anderes Verfahren oder eine Kombination besser ausgeschöpft und entfaltet wird. Und es mag schließlich das Erleben neuer Vorbilder, Lehrer oder Therapeuten wirksam werden, auch Informationen von geschätzten Freunden.

Die Diskussion zwischen den verschiedenen Ausrichtungen wird dadurch erschwert, dass der gewählte Ausbildungsweg tief in der eigenen therapeutischen Identität verankert wird, und Abweichungen von innen wie von außen leicht als Schwäche, Ketzerei, Untreue oder Polypragmatismus verurteilt werden. Außerdem leidet die Diskussion oft an der fehlenden Erfahrung der Kontrahenten an der jeweiligen Orientierung des Anderen. Das führt nach meinem Erleben dazu, dass es oft zu Urteilen bar jedes empirischen Rückhalts kommt, die einem Glaubenskrieg ähnlicher scheinen als einer wissenschaftlichen oder mindestens intersubjektiv nachvollziehbaren Diskussion.

Natürlich plädiere ich nach meiner bisherigen therapeutischen Erfahrung für Methodenintegration. Die wichtigere Frage ist, wie und wann sie zu erlernen ist, und das ist letztlich eine Frage ihres allmählichen Einbaus in die therapeutische Identität.

Nach wie vor halte ich eine gründliche Unterweisung in einer Methode für wichtig, als einen Bezugspunkt, von dem aus sich die weiteren Lernschritte einordnen, abgrenzen oder rechtfertigen lassen. Methodenpluralismus schon in einer frühen Phase der Ausbildung halte ich für verfehlt. Aber wünschenswert erscheinen mir Ausblicke auf die Lösungsformen anderer Methoden für bestimmte Konfliktfelder. Also: statt dem Kandidaten das Gefühl zu vermitteln, die eigene Methode sei der Inbegriff alles Therapeutischen, und sie decke bei gehöriger Anstrengung auch alle Felder möglicher Störungen ab, halte ich es für wichtig, bei bestimmten Störungen zu sagen: hier wählt dieses oder jenes Verfahren einen anderen Ansatzpunkt, mit folgenden Begründungen. Aber das setzt natürlich informierte Lehrer voraus, und damit erweist sich dieser Weg schon im Ansatz für viele Schulen als Utopie. Das integrative Denken wird derzeit zwar gefordert, aber noch wenig praktiziert. Und wo es praktiziert wird, so mein Eindruck, erfolgt eine verfrühte Vermischung alles Ansätze.

Ich versuche, Ihnen ein paar erläuternde Beispiele zu geben für die Vermittlung von Offenheit, die es dem Kandidaten erlauben würde, nicht innerhalb von Treueschwüren oder Identitätsgelübden zu verharren, deren Tragweite er in der abhängigen und oft auch regressiven Position der Ausbildung nicht einmal abschätzen kann. Ich gehe bei der Bildung der Beispiele von meiner eigenen analytischen Ausbildung aus:

Wenn ein 50-jähriger Patient kommt, der über Depressionen klagt, mit der schon mitgebrachten zu erarbeitenden Begründung in Partnerproblemen oder Beziehungsstörungen mit den Kindern, dann sollte das Überdenken einer Paar- oder Familientherapie auch an einem analytischen Institut als eine mögliche Variante präsent sein.

Wenn ein jüngerer Patient wegen Problemen von Beziehungen am Arbeitsplatz, Vereinsamung und Gefahr einer weiteren Isolierung kommt, dann sollte mindestens der Hinweis auf Gruppentherapie, und auch dort von verschiedenen Methoden, präsent sein; oder aber die Phantasie einer Kooperation zwischen Einzel- und Gruppentherapeut.

Schließlich, mehr aus meinem Forschungsgebiet: der Gedanke an die Einbeziehung des Körpers scheint mir in manchen Fällen mindestens als hilfreich, wenn nicht als notwendig geboten. Auch hier stellt sich die Frage nach der eigenen Fortbildung oder der Kooperation mit einem Kollegen, der eben andere Methoden praktiziert, die eine wichtige Ergänzung darstellen können.

Auch Patienten werden leider sehr oft einbezogen in die momokulturelle Loyalitätsverpflichtung des jeweiligen Therapeuten. Die verzweifelte Suche vieler Patienten nach einer Rettung ihrer Therapie durch die Beiziehung einer Ergänzung verfällt oft dem Verdikt des Verrrats, des mangelnden Durchhaltewillens, des Agierens. Der Therapeut kann solche Deutungen nur mit einer gewissen Berechtigung sozusagen als Such-Deutungen aussprechen, wenn er informiert und großmütig genug ist, der Suche des Patienten auch eine latente Kompetenz und einen aktiven Beitrag zu seiner Gesundung zuzuerkennen.

Die notwendige Selbstrelativierung der Ausbildungen

Ich kenne genug Therpeuten, bei denen die differenzierte Erweiterung ihrer ursprünglichen Methode auch lebensgeschichtlich eine Entkrampfung, eine neue Individuation und eine forschende Neugierhaltung erbracht haben. Aber ich kenne auch Kollegen, deren Wachstumsschritte sich durch Fortbildung in anderen Methoden vollzogen haben, sowohl was das diagnostische Denken wie was die Selbsterfahrung und die therapeutische Anwendung betrifft.

Deshalb möchte ich die Lebensentscheidungen für oder gegen Methodenintegration auf der Ebene des sich fortbildenden Einzelnen nicht wertend beurteilen. Wertend gehe ich eher mit ideologischen Haltungen oder Stimmungen in Institutionen um, die ihre Ausbildungsmacht zugunsten von therpeutischen Monokulturen verwenden, die eine andere Orientierung oder Erweiterung der Perspektive als Verrat oder Abfall oder Verunreinigung definieren. Hier ist oft noch, in den verschiedensten Richtungen, ein quasi totalitäres Denken am Werk, das um so stärker sein kann, je charismatischer eine Gründergestalt Treue und narzißtische Unterstützung fordert. Das Phänomen der Jüngerschar, die sich um einen Gründervater oder eine Gründermutter scharen, hat viele Schulen geprägt und durchzieht viele Lagerstreitigkeiten. Sie werden inzwischen nur durch die Fülle der Schulen und eine auch hier greifende postmoderne Beliebigkeit gemildert.

Psychoanalyse und die Integration anderer Verfahren

Zwei Wege möchte ich gerne für die Herstellung eines integrativen Denkens in der Psychoanalyse aufzeigen. Wohl am stärksten vermittelt die Psychoanalyse ihren Schülern das Gefühl, dass sie ein geschlossener Kosmos ist, der fast nur durch interne Ausdehnung von Erkenntnis und Behandlungstechnik sich neue Bereiche erschließt.

Soweit ich sehe, ist die Verhaltenstherapie dieser monopolisitschen Denkweise lange gefolgt unter dem Motto: was wir alles können, und im Prinzip können wir alles - muss erst allmählich erarbeitet werden. Dieses Leitprinzip ist in der Entstehungs- und Wachstumsphase einer neuen Therapieform sicher wichtig, weil es Forscherehrgeiz an die Methode bindet; häufig fruchtbar, gelegentlich ritualisiert und zwanghaft. Auch die Gestalttherapie scheint heute zu schwanken zwischen der Erweiterung ihres Repertoires und der Integration anderer Verfahren in ihren Kanon. Nicht umsonst nennt Hilarion Petzold seine Form "Integrative Therapie", was in Ordnung wäre, bestünde bei ihm nicht die Tendenz zum alles integrierenden Multikonzern, der schließlich alle Lebens- und Störungsbereiche abdecken möchte.

Die eine Möglichkeit in der Psychoanalyse, integrativ zu denken, ist die Erlaubnis, ja vielleicht sogar die Ermutigung der Kandidaten, während der Lehranalyse wenigtens eine andere Therapieform durch Selbsterfahrung kennenzulernen und die Ergebnisse in der Analyse zu verstehen und zu integrieren. Dieses Postulat vertrete ich seit langem, zusammen mit Gisela Worm. Der Vorteil dieser Form der Integration ist ein mehrfacher: der Kandidat lernt, eine andere Quelle der Erfahrung oder gar der Heilung zu achten und sie in den Begriffen seiner Mutter-Therapie zu orten. Der Lehranalytiker lernt, weil er sich vielleicht nicht mehr entschließen kann, ein anderes Verfahren durch Selbsterfahrung kennenzulernen, eine andere Methode, aber auch ihre konkrete Wirkung an einem von ihm begleiteten Patienten, indirekt kennen. Diese Form der Toleranz ist inzwischen sogar einigermaßen verbreitet, auch wenn der Monopolanspruch in der Dyade noch das gängige Modell sein dürfte. Es bedarf der Idealisierung einer integrativen Haltung, um die Erweiterung auch gegenüber konservativeren Kollegen zu vertreten.

Eine zweite Form integrativen Lernens kommt an folgendem Wendepunkt zustande: viele analytischen Kollegen ziehen im Laufe der Jahre, angeregt durch ihre therapeutische Arbeit, Bilanz ihrer Lehranalyse, oder sie werden durch Rückfälle oder andere persönlichen Krisen dazu gezwungen. Früher war das einzig denkbare Modell für diesen Fall: zu einem anderen, bekannten, prominenten oder spezialisierten Kollegen der gleichen Gruppe zu gehen und eine Zweianalyse, oder gar Drittanalyse zu machen. Das führt leicht dazu, dass man zehn bis zwölf Jahre seines Lebens in Analyse verbringt. Fruchtbarer scheint es mir, weitere Therapieteile, die man braucht, mit anderen Verfahren zu machen. Wo die eigene Analyse stagnierte oder mit Ausklammerungen und mäßiger Zufriedenheit beendet wurde, mag grade eine andere Methode vorteilhafte Versionen der Konfliktbearbeitung anbieten. Denn die meisten Verfahren sind, auch wenn dies lange zu unfruchtbarer Polemik geführt hat, entstanden aus spezifischen Unzufriedenheiten mit der analytischen Methode. Die Dissidenten und Pioniere haben sich darauf konzentriert, gerade für diese Sackgassen methodische Zugänge zu entwickeln, die auf Leid und Nachdenken über die Gründe des Scheiterns oder der Unzufriedenheit beruhen. Unzufriedenheit und mitgeschlepptes, aber auch neu entstehendes Leid, das eine Verbindung zu den biographischen Quellen hat, macht neugierig, motiviert zum grenzüberschreitenden Experiment, und hilft, die eigene Erfahrungs- wie therapeutisch-berufliche Identität zu erweitern.

Natürlich kann es passieren, dass der Kollege von der anderen Couleur sich sagt: dem kann ich jetzt einmal zeigen, wie begrenzt Psychoanalyse ist, und wie fruchtbar der neue Ansatz. Aber in der Regel wird sich ein Kollege mit anderer Ausbildung durch die Suche nach Hilfe bei ihm durch einen Vertreter einer anderen Richtung geehrt fühlen und sein bestes geben, ohne für seine Schule Propagandasszu machen. Eine moderate Rivalität der Schulen halte ich sogar für fruchtbar. Destruktiv wird die Konkurrenz nur, wenn sie in Ausschließlichkeiten denkt und nicht fähig ist, den Standord wie das therapeutische Instrumentarium der anderen Schule zu würdigen.

Vielleicht kann ich Ihnen am Beispiel der Nachwirkungen der NS-Zeit kurz verdeutlichen, wie sehr ich glaube, dass bestimmte globale therapeutische Probleme, die schulenübergreifend auf uns zukommen, überhaupt nur durch ein gewisses Maß an Methodenintegration zu bewältigen sind. Psychoanalytiker, die sich dem NS-Thema gestellt haben, berichten fast übereinstimmend, dass die Belastungen des Arbeitsbündnisses schwer auszuhalten sind, wenn sie nur mit Übertragungund Gegenübertragung arbeiten und das Böse, Verfolgerische in die Beziehung einbricht. Möglicherweise ist der Raum der Übertragung gar nicht ausreichend geeignet für eine Aufarbeitung einer politisch induzierten Traumatisierung.

Die Gestalt-Therapie, obwohl von einem emigrierten Juden, nämlich Fritz Perls, entwickelt, hat sich den Schrecken der Geschichte noch kaum zugewandt, ebenso wenig die Bioenergetik. Ebensowenig habe ich von der Verhaltenstherapie gehört, dass sie methodisch etwas zur Bewältigung der versteckten Spätfolgen von Holocaust oder NS-Verstrickung beigetragen hätte.

In den verschiedenen Zweigen der Familientherapie ist zum Teil Pionierarbeit geleistet worden, partiell auch vom Psychodrama. Sie greifen beide auf Formen der Inszenierung zurück, die dem Therapeuten eine andere als die pure Übertragungsrolle zuweisen. Im Grunde wäre es angesichts des späten Auftauchens des Problems, fünf Jahrzehnte nach Kriegsende, notwendig, dass sich Vertreter all dieser Therapieformen zusammensetzten und über behandlungs-technische Aspekte des lange beschwiegenen Themas diskutierten. Der Gegenstand wäre es wert, einen Schritt über die Schulgrenzen hinaus zu wagen und integrativ zu forschen. Jede Schule, so scheint mir, hat einen spezifischen Zugang beizutragen, der aber für sich allein genommen nicht ausreicht, die generationsübergreifenden Traumatisierungen zu verstehen und therapeutisch anzugehen, ohne dass auch für den Therapeuten eine späte Beschädigung droht. Die großen Herausforderungen wie Drogensucht, Alkoholismus, Folter, Gewalt usw. haben oft einen Schub der Kooperation nach sich gezogen. Ich hoffe, dass der späte Umgang mit dem NS-Erbe noch einen solchen Schub nach sich zieht. Denn angesichts der Größe des noch gar nicht voll erkannten Problems und angesichts von fast fünf Jahrzehnten forschungsfreier Latenz erscheint die Kooperation, bzw. die Verständigung über Zugangswege überfällig. Ich danke Ihnen.